Wir wechseln ein paar Worte über die Terrasse miteinander, schimpfen über das immer gleich schlechte Wetter dieses letzten Sommers. Die Sonnenstrahlen, vom Tabernackl kommend, scheinen uns aber heute wohlig ins Gesicht und tauchen die Umgebung in ein sattes Grün.
Der schüchterne Hund wird von meiner Tochter versuchshalber gestreichelt. Aber auch der ist mehr weite Strecken in Einsamkeit gewohnt, als Kinder und Trubel auf der Hütte. Der Matscher Schafhirte, von allen Fliri genannt, ist, allen Klischees zum Trotz, kein verschlossener Einzelgänger, kein Sonderling, kein komischer Kauz. Er bleibt auch gerne stehen für „a Raat-schrli“, kehrt ein, um etwas zu trinken, wenn auch oft in Allerherrgottsfrüh’.
Dann lockt er, mit etwas Salz und dem typischen Ruf: „Pamperlieeeehhhh“, die Schafe von der anderen Seite des Bergkessels. Minutenlang. Schließlich sind sie da, rotten sich zusammen, laufen Hirt und Salz entgegen. Der Hund liegt folgsam etwas abseits, die Ohren für den
nächsten Befehl jederzeit gespitzt.
Ein archaisches Bild das sich unter der Hüttenterrasse abspielt. Der Hirt und seine Tiere, eins in der Natur. Viel Klischee und Sehnsucht steckt in dieser morgendlichen Szene. Ja man schaut irgendwie seiner eigenen Sehnsucht zu.
Der Matscher Schafhirte gehört zu den typischen unter Seinesgleichen: männlich, einheimisch, nicht mehr ganz so jung. Doch in den letzten Jahren kommen andere, neue Typen von Hirten daher: junge Städter oder junge, gut ausgebildete Frauen und Männer, ganze Familienbanden, die den Job des Hirten auf sich nehmen wollen. Die Hinwendung zum Naturschönen und das Interesse am ländlichen, einfachen Leben ist neuerdings Trend. So lässt es sich jedenfalls beobachten. Zumindest für einen Sommer und einen weiteren und vielleicht einen dritten. Dann wieder zurück ins Urbane.
Die Obsession der Verstädterten für das Land reicht zwar weit zurück, doch heute ist die wiedererwachte Volkskultur der Ort, wo man seine Wurzeln nachwachsen hört und sieht. War Volkskultur, Stall, Stadel und Wiese, Almen und das Hüten noch vor Jahren bei jungen Menschen verschmäht und eher zum Nase-Rümpfen, ist neuerdings vieles zum Schwärmen. Nicht wenige Aussteiger versuchen sich als Senn oder Sennerin, laufen Kälbern, Schafen, Kühen hinterher.
Es gibt in den französischen Pyrenäen gar eine Schule für Schäfer, die sich vor Bewerbern kaum retten kann, jährlich aber nur einige Wenige ausbilden kann und will. Von 180 werden nur 10 angenommen. Auch hier kommen fast alle Anwärter und Anwärterinnen aus den großen Städten.
Wer kann, geht „aft Olp“, entflieht dem Tal, dem Trubel, dem Kultur- und Freizeitstress, dem Bürojob samt PC und virtueller Welt.
Weil es also um Zerstreuung und Entspannung geht, nimmt man auch den Schönheitsfehler kaum wahr, der an all dem haftet: Nicht nur in der Stadt hat das Leben wenig mit der Hirtenkultur zu tun. Das Alm- und Bergleben, das wir alle lieben und konsumieren, entspringt vor allem unserer eigenen Einbildung, unserem Bild vom Hirten, der in und mit der Natur lebt.
Denn die Rahmenbedingungen passen häufig nicht mehr- rückläufige Bestoßungszahlen auf den Almen lassen auf eine rückläufige Zahl an Bauern schließen. Auch für die passen die Rahmenbedingungen vielfach nicht mehr. Da helfen auch Prämien, Subventionen und planierte Almwiesen wenig. Ohne Almvieh keine Almen und ohne Almen keine Hirten.
Wiedererwachte, sehnsuchtsbeladene Volkskultur in einer globalisierten Welt, Hirtenkultur als Teil unserer Erlebnisgesellschaft… Ist das eine neue Art von Heimweh oder einfach nur ein besonders starkes Fernweh?