All diese Faktoren machen das Produkt Tourismus schwierig aber auch reizvoll. Diese Faktoren zu händeln ist unser Job“, so definiert Kurt Sagmeister seine Arbeit bei Vinschgau Marketing. Seit drei Jahren schaukelt Sagmeister als Direktor die Nachfolgeorganisation des Tourismusverbandes Vinschgau. Auf unzähligen Baustellen muss sich Sagmeister beweisen, als Schnittstelle für die Tourismusvereine, als Drehscheibe für Events, als Klagemauer für Hoteliers, als Bindeglied zur SMG, als Verhandler mit Bus, Bahn und Aufstiegsanlagen, als Imagepolierer des Vinschger Tourismus nach innen und nach außen.
Ausgerechnet im Vinschgau, dem Tal, in dem neben ausgeprägtem Genossenschaftswesen im Agrarbereich höchst individuelle Ansichten und daraus resultierende Handlungsmaxime im Tourismusbereich herrschen, ausgerechnet in diesem Vinschgau ist Sagmeister vorerst ein Abschalten der Kirchtürme gelungen: Die einzelnen Tourismusvereine treten mit einheitlichem Erscheinen im Internet und in Katalogform auf. „Ein Vinschgau-Denken hat eingesetzt“, sagt Sagmeister. Bei der Organisation des Giro d’Italia habe sich das gezeigt. Alle Tourismusvereine des Vinschgaus haben dieses Großereignis mitgetragen und auch mitfinanziert. „Obwohl beispielsweise die Ferienregion Reschenpass möglicherweise am wenigsten davon profitiert hat“, sagt Sagmeister. Man habe erkannt, dass der Giro für das Tal wichtig war. Vielleicht fahre der Giro in einigen Jahren über den Reschenpass, dann werde aber auch Martell den Giro mitfinanzieren.
Der Giro muss einen bleibenden Eindruck vor allem bei den Organisatoren hinterlassen haben. Man sei, beurteilt es Sagmeister, auch aus einem Minderwertigkeitskomplex herausgekommen. Das Selbstbewusstsein konnte man enorm steigern. Mittlerweile werde der Vinschgau im Land als „gutes Beispiel“ genannt. Das Bild vom Vinschgau, was den Tourismus betrifft, habe sich innerhalb von Südtirol geändert.
Auch die Arbeitsweise, die Einladungen, das Aussehen eines Briefes, einer E-Mail, das Abhalten einer Versammlung, werde in den Toursimusvereinen und bei den Touristikern als professionell und auch als Vorbild wahrgenommen.
Aber was vermarktet Sagmeister? Wie wird der Vinschgau positioniert? Wie wird der Vinschgau wahrgenommen? Sagmeister zitiert dazu eine Gästeumfrage. Wie nehmen Gäste den Vinschgau wahr? Die Landschaft wurde da mit Abstand als Nummer eins genannt, dann das Wandern, Sehenswürdigkeiten, Kirchen und Klöster...
Dem Einwand, dass diese Wahrnehmung durchaus auf den gesamten Alpenbogen zutreffen könnte, gibt Sagmeister recht. Das Problem vieler Destinationen sei die Austauschbarkeit. Allerdings gebe es gerade bei der Landschaft markante Unterschiede. Ob ein Gast eher eine mediterrane Landschaft sucht, oder eher eine schroffe hochalpine Landschaft, sei ein Unterschied. Oder etwa die Gletscherwelt in Sulden. „Genau solch markante Unterschiede müssen wir in den Vordergrund stellen“, sagt Sagmeister. Ob er sich um die Landschaft sorge? Eigentlich nicht, sagt Sagmeister. Natürlich müsse man aufpassen. Im Vinschgau habe man noch einiges an unberührter Landschaft. Das hintere Matschertal oder das hintere Martelltal - das sind archaische Landschaften, die von Gästen gesucht werden. „Bei uns geht nicht, wie in anderen Landesteilen, auf jeden Bichl ein Lift oder eine Straße hinauf.“
Auch bergen die alten Dorfkerne, wie in Burgeis etwa, oder die Stadt Glurns einiges an Potenzial. Man hätte sich vielleicht vor 20-30 Jahren überlegen sollen, ob jedes Dorf eine Industriezone brauche, sinniert Sagmeister.
Sagmeisters Team im Glurnser Büro ist jung, sportlich. Im Grunde, von der Altersstruktur her, weit entfernt, von der Gästeschicht, die den Vinschgau besucht. So ganz stimme das allerdings auch nicht, sagt Sagmeister. Der Vinschgau habe im Verhälntnis zum übrigen Land jüngere Gäste. Das habe mit dem Angebot an sportlicher Betätigung zu tun, Biken, Skifahren, Langlaufen.
Wie händelt Vinschgau Marketing die neuen Medien, die technologischen Speerspitzen? Der Auftritt im Internet sei ein permanenter Wettlauf mit den technischen Möglichkeiten. Eine Zeitlang war man der Meinung, dass alles über das Internet ablaufe, dass sich die klassische Werbung in herkömmlichen Zeitschriften erledigt habe. Da gibt es ein Umdenken. Facebook etwa habe bereits seinen Sättigungsgrad überschritten. Aber mit den interaktiven Wanderkarten, bei denen wir die Ersten waren, haben wir durchaus Erfolge aufzuweisen.
„Wenn wir es schaffen, dass Gäste übers Internet bei einem unserer Betriebe um Informationen oder konkret um Nächtigungen nachfragen, haben wir unsere Arbeit geleistet. Alles andere liegt nicht mehr in unserer Hand“, sagt Sagmeister.
Ja, wie schlägt sich die Arbeit von Vinschgau Marketing, konkret in Nächtigungen nieder? Hat man das Ruder schon herumreißen können? Schließlich bildete der Vinschgau beim Antritt von Vinschgau Marketing mit Auslastungstagen von 100 bis 110 das Schlusslicht Südtirols. Tatsächlich habe sich die Situation nicht verändert, gibt Sagmeister unumwunden zu. Bei den Auslastungstagen vermutet Sagmeister allerdings einen statistischen Fehler. Denn die Übernachtungen auf Campingplätzen seien da miteingerechnet worden. Mit einem Anteil von 12 Prozent, das entspreche rund 200.000 Nächtigungen, habe der Vinschgau einen besonders hohen Anteil an Campinggästen.
Nicht richtig sei es, die Tätigkeit von Vinschgau Marketing allein an der Anzahl der Nächtigungen, im Positiven wie im Negativen, zu messen, sagt Sagmeister. Als Beispiel nennt Sagmeister den Sommer 2014. Man habe keine Chance, das schlechte Wetter zu beeinflussen. Es sei auch nicht Ziel, die Nächtigungen zu steigern. Ziel sei es, die Wertschöpfung zu steigern. „Das ist ein großer Unterschied“, sagt Sagmeister. Nächtigungen könne man durch einen Ausverkauf tatsächlich steigern. Nur am Ende des Jahres haben die Tourismusbetriebe dann weniger Geld in der Tasche. Die Anzahl der Nächtigungen allein sagt noch nichts über die Wertschöpfung aus.
Allerdings ist es Gang und Gäbe, dass Gastwirte bzw. Hotelbesitzer oder Zimmervermieter die Arbeit von Vinschgau Marketing genau an der Anzahl der Nächtigungen messen wollen. Dem widerspricht Sagmeister und weist darauf hin, dass es sehr viele Faktoren gebe, die Vinschgau Marketing eben nicht beeinflussen könne. Wenn man die Arbeit schon messen wolle, dann sicher nicht an den Nächtigungen, sondern viel mehr an den Ankünften.
„Unsere Arbeit ist es, die Gäste herzubekommen“, sagt Sagmeister. Die Analyse von Nächtigungsstatistiken habe oftmals hervorgebracht, dass ein Rückgang mit Betriebsschließungen einhergehen. Das bereite ihm eher Sorgen. Warum schließen Betriebe, warum gehen Betten verloren? „Das sollte uns beschäftigen. Das sollte die Politik, Vinschgau Marketing, den jeweiligen Tourismusverein usw. beschäftigen.
Der Tourismus steht und fällt mit dem Angebot vor Ort, sagt Sagmeister. Das Produkt, so die touristische Redensart, müsse stimmen. Mountainbiken sei eine solche Art von Produktentwicklung. Die Verhandlungen mit den Grundbesitzern, die Beschilderung, die Trailpflege - das müsse vor Ort passieren. Das könne Vinschgau Marketing nicht leisten. Gleichwohl könne die Bewerbung dieses Produktes übernommen werden. Oder der vom Tourismusverband Vinschgau übernommene Vinschger Höhenweg. Es beginne sich drumherum einiges zu bilden.
Was würde sich der Direktor von Vinschgau Marketing für den Winter und was für den Sommer im Vinschgau noch wünschen? Sagmeister: „Im Obervinschgau Watles - Haideralm-Schöneben muss es uns einfach gelingen, für den Gast ein anprechendes langfristiges Produkt zu gestalten. Das ist für das Skifahren im Winter zentral. Ich bin überzeugt, dass durch eine Fusion für die ganze Region ein enormer Schub gegeben werden kann. Die Frage Langtaufers-Kaunertal ist für mich derzeit außen vor, zuerst gilt es, bei den vorhandenen Liftbetreibern eine Lösung zu finden. Tatsache ist auf der anderen Seite, dass der alternative Wintersport immer mehr an Bedeutung gewinnt und da sind wir nicht schlecht aufgestellt - Langlaufen, Schneeschuhwandern, Winterwandern, Skitouren.
Im Sommer? Die generelle Frage der Erreichbarkeit wird von zentraler Bedeutung. Gerade auch, weil der Gast kürzer bleibt. Ich sehe die Zugverbindung in die Schweiz als wichtige Vision. Die wäre Schubkraft für die ganze Region. Wenn ich etwas wünschen könnte, wäre dieses Projekt das erste, das ich realisieren würde. Auch der Golfplatz ist ein Baustein, der bei uns hineinpassen könnte. Als Zusatzangebot.
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