Dienstag, 27 Mai 2014 09:06

Der Beichtstuhl

Artikel bewerten
(0 Stimmen)

01 OTDie Welt als Gitter, besser gesagt, die Welt wie durch ein Gitter … dieser Eindruck entsteht beim Betrachten der Kunstwerke von Esther Stocker. Schon im Vorfeld des Schlosses Kastelbell begegnet uns eine bemerkenswerte Installation: Rein geometrische Formen aus schneeweißem Marmor, Quaderblöcke wie zufällig hingeworfen. Aber nur scheinbar, in Wirklichkeit steckt dahinter die ordnende Kraft der Künstlerin.


Besucher der Ausstellung durchwandern die auf mehrere Stockwerke verteilten großen Säle der Burg, überrascht und fragend. Manchem konservativen Kunstfreund drängt sich wieder einmal die Frage auf, was das alles soll? Einige bekommen sogar Kopfweh, besonders Frauen, weil sie diese Zerstückelung nicht schätzen, vielleicht auch nicht ertragen. Zu rational, einseitig verstandesbetont?
20140523 152912Der einst in katholischen Kirchen überall gegenwärtige Beichtstuhl ist heute nur mehr wenigen vertraut, ist aber in aller Erinnerung. Der Beichtende spricht auf Kopfhöhe durch ein Gitter zum Beichtvater, bekennt dabei die Sünden, bekommt Rat und Trost vom Gegenüber, also von einem im Dunkel des Beichtstuhls verschwindenden Männerkopf.
So ein Beichtgitter habe ich vor Jahren in einer Kirche im Münstertal entdeckt und fotografiert, weil das Bild der rautenförmigen Öffnungen im dünnen Holzbrett als Kunstwerk gelten kann. Eine handwerkliche Geduldsarbeit zur Konzentration des Gewissens. Schauen durch ein Holzbrett, durch geschnitzte Öffnungen in eine andere Welt. Durch die Gitterstruktur betrachtet, scheint sich die Welt von beiden Seiten aus gesehen in Schwarzweiß aufzulösen, vielleicht in rautenförmigen Elementen … bis die Esther kommt und alles wieder in Ordnung bringt.
Ob die Künstlerin mein Beichtgitter kennt? In ihrer am Ausgang des Münstertales gelegenen Heimat, in Laatsch, ester1Gemeinde Mals, gibt es eine große Beichtkultur, überwacht und veredelt durch die Mönche des Klosters Marienberg. „Veredelt“, weil mit der Beichte zugegeben viel Unfug getrieben wurde, aber vielen Menschen hat sie geholfen und tut es immer noch.
Jetzt aber beichte ich bei der Esther, vor ihrer Gitterwelt. Als Sünde nenne ich die Verwirrung, die durch ihre Kunst in mir entsteht. Wo bleibt die Farbe? Ich begegne in einer Beschreibung einen Hinweis auf das „gestische Moment“ in ihrer Kunst; darunter versteht man die freie malerische Entfaltung. Und dann weiter: „In der Knitterung und Faltung der Installationen kommt doch ein gestisches Moment hinein.“ Liebe Esther, ich kenne mich schon lange nicht mehr aus - habe mich wahrscheinlich noch nie ausgekannt! Ich flüchte zu Dir, zumal ich durch einen weiteren Begriff bei der Analyse Deines Werkes P1250890verunsichert wurde, und zwar von der „Gerechtigkeit der Form“. Eines ist sicher, der verwirrte Kunstfreund muss gründlich aufräumen, alles zusammenkratzen, was er an Aufnahmefähigkeit zur Verfügung hat. Einige Begriffe sind so kompliziert, wie es einstmals die Sünden-logik des Beichtens war. Ich helfe mir dabei durch Begriffe aus der Philosophie, so etwa durch den Titel von Schopenhauers Hauptwerk „Die Welt als Wille und Vorstellung“. Dieser pessimistische Mensch, also der Arthur Schopenhauer, sieht nur triebhaften Willen und trügerische Scheinwelt. Auch er entwirft einen Raster, durch den er die Welt sieht, wie durch ein Beichtgitter.
„Raster sind existenziell mit dem Menschen verbunden“, kann man über Dich lesen. Liebe Esther, die Begegnung mit Deinem Werk ist sehr verwirrend, aber auch klärend, ist also eine reinigende Beichte.
Hans Wielander


Warning: count(): Parameter must be an array or an object that implements Countable in /www/htdocs/w00fb819/vinschgerwind.it/templates/purity_iii/html/com_k2/templates/default/item.php on line 248
Gelesen 2271 mal

Schreibe einen Kommentar

Make sure you enter all the required information, indicated by an asterisk (*). HTML code is not allowed.

Ausgaben zum Blättern

titel 19 24

titel Vinschgerwind 18-24

titel vinschgerwind 17-24

 sommerwind 2024

 

WINDMAGAZINE

  • Jörg Lederer war ein Holzschnitzer aus Füssen und aus Kaufbeuren. Die Lederer-Werkstatt hat viele Aufträge im Vinschgau umgesetzt. Wer will, kann eine Vinschgautour entlang der Lederer-Werke machen. Beginnend in Partschins.…
    weiterlesen...
  • Die Burgruine Obermontani bei Morter am Eingang ins Martelltal wurde für einen Tag aus ihrem "Dornröschenschlaf" wachgeküsst. von Peter Tscholl Die Akademie Meran, die Gemeinde Latsch und die Bildungsausschüsse Latsch…
    weiterlesen...
  • Vinschger Radgeschichten - Im Vinschgau sitzen alle fest im Sattel: Vom ultraleichten Carbon-Rennrad bis hin zum E-Bike mit Fahrradanhänger, Klapprad, Tandem oder Reisefahrrad. Eine Spurensuche am Vinschger Radweg. von Maria…
    weiterlesen...
  • Kürzlich wurde von den Verantwortlichen im Vintschger Museum in Schluderns das Kooperationsprojekt Obervinschger Museen MU.SUI gestartet. Es handelt sich um den gemeinsamen Auftritt der Museen in Schluderns VUSEUM/Ganglegg, Mals, Taufers…
    weiterlesen...
  • Blau, dunkelgrün, schneeweiß schäumend, türkis oder azur - Wasserwege im Vinschgau von Karin Thöni Wasser ist Quell des Lebens und unser kostbarstes Gut. Aber es wird knapper. Der „Wasserfußabdruck“ jedes…
    weiterlesen...
  • Martin Ohrwalders Liebe zu den Pferden muss ihm wohl in die Wiege gelegt worden sein. Bereits im Alter von drei Jahren schlug er seiner Mutter vor, die Garage in einen…
    weiterlesen...
  • Manfred Haringer ist Sammler, Modellbauer und Heimatforscher. Im letzten Jahr konnte er seinen alten Traum verwirklichen. In seinem Elternhaus in Morter, wo bis Ende des Zweiten Weltkrieges die Dorfschule untergebracht…
    weiterlesen...
  • Die historische Bedeutung von Schlossruinen und ihre Geschichte faszinieren die Menschen. Mit mehreren Revitalisierungsmaßnahmen erwacht derzeit die Ruine Lichtenberg in der Gemeinde Prad am Stilfserjoch zu neuem Leben. von Ludwig…
    weiterlesen...
  • Il grano della Val Venosta era conosciuto e apprezzato in tutto l' impero Austroungalico. Testo e Foto: Gianni Bodini Oggi sono i monotoni ed estesi meleti punteggiati da pali in…
    weiterlesen...
  • Questa importante strada romana attraversava tutta la Val Venosta. Testo e Foto: Gianni Bodini Iniziata da Druso nel 15 a.C., venne completata dall’imperatore Claudio Cesare Augusto. Questa importante via transalpina…
    weiterlesen...
  • von Annelise Albertin Das Val Müstair mit seiner intakten Naturlandschaft und den kulturellen Besonderheiten ist das östlichste Tal der Schweiz. Es liegt eingebettet zwischen dem einzigen Schweizerischen Nationalpark, den „Parc…
    weiterlesen...
  • Eine Symbiose zwischen der Geschichte und dem Lebensraum rund um das kunsthistorische Hotel „Chasa Chalavaina“ im benachbarten Val Müstair von Christine Weithaler Das Hotel Chasa Chalavaina wurde am 13. November…
    weiterlesen...

Sommerwind 2024

zum Blättern

Sommer Magazin - Sommerwind 2024 - Bezirk Vinschgau Südtirol - Wandern, Menschen, Urlaub, Berge, Landschaft, Radfahren, Museen, Wasser, Waale, Unesco, Tourismus

wanderfueher 2024 cover

zum Blättern

Wanderführer 2024 - Bezirk Vinschgau Südtirol - Traumhafte Touren Bergtouren Wanderungen Höhenwege

 

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.