Ein halbes Jahr lang besuchte Otto den deutschen Unterricht, dann wechselte die Sprache ins Italienische. Die faschistische Ära hatte begonnen, mit all ihren Schikanen für die deutsche Bevölkerung. Otto machte das Beste daraus. Nach dem Schulabschluss konnte er beim „Fabi-Schneider“ in Burgeis eine Lehre beginnen. „Mit di Knopflöchr honn i oungfongen“, erinnert er sich. Unter den gestrengen Augen des Lehrmeisters schneiderte er schon bald Joppen, Hosen, Hemden, Röcke… Er nahm Maß und zeichnete Schnitte. Die Kunden brachten die Loden- und Leinenstoffe meist selbst mit, die sie bei Wanderhändlern erworben hatten. Otto war begeistert, als eines Tages eine neue Nähmaschine in der Schneiderei stand. „A Zick–Zack- Maschin isch selm eppas Bsundrs gweesn“, meint er. Insgesamt sechs Jahre arbeitete er beim „Fabi Schneider“. Laufend musste er sich von Kollegen verabschieden, die für Hitler in den Krieg zogen. Es waren Söhne von Optanten. Auch Ottos Mutter hatte 1939 für Deutschland gestimmt. Er erhielt einige Male Aufschub, weil er daheim die Mutter und einen alten Onkel zu betreuen hatte.
Im September 1943 erreichte auch ihn die Einberufung zur Wehrmacht. Er kam nach Piemont an die französische Grenze. Nach der Verbrüderung zwischen Hitler und Mussolini kämpften dort italienische und deutsche Truppen gemeinsam gegen Partisanen. „Miar hoobm inz nit hoamschreibn traut, dass miar pa die Walschn sein“, bekennt Otto. Seine Italienisch-Kenntnisse und sein Schneiderhandwerk kamen ihm zugute. In Pinarolo wurde er als Dolmetscher gebraucht und in einer Schneiderei, in der zerschlissene Uniformen repariert wurden. Bevor die Flickarbeiten begannen, musste die Kleidung entlaust werden. „Oanmol sain miar decht in di Lais kemman unt selbst entlaus gwortn“, erklärt er. Nächste Station war eine Kleiderfabrik bei Mailand. Nach dem Einmarsch der alliierten Truppen erhielten die Partisanen Auftrieb. Die Lage war unübersichtlich und gefährlich.
Eine Begebenheit Ende April 1945 hat er noch genau vor Augen. Partisanen gestikulierten mit blutverschmierten Händen aus einem vorbeifahrenden Auto und brüllten: „ Vi amazziamo anche voi“. Kurz darauf erfuhr Otto, dass diese Männer Mussolini ermordet und öffentlich aufgehängt hatten. Und er erfuhr auch, dass sich der Duce einige Zeit als Schutzhäftling in derselben Kaserne aufgehalten hatte, wie er. Otto geriet in die Hände der Amerikaner, kam in ein Massenlager nach Pisa und dann in ein Arbeitslager nach Neapel. Dort war er einem Autosammelplatz zugeteilt. „Di guatn Wagn sein noch Amerika gongen, di schlechtn hot ma ausgschlochtet“, erklärt Otto. Als Dolmetscher leistete er auch hier wertvolle Dienste mit dem Neben-effekt: Er musste keine Drecksarbeit machen. Im September 1946 kehrte Otto nach Hause zurück. „Norr hon i gmiaßt nui ounheebm“, betont er. Er übernahm daheim die kleine Landwirtschaft und eröffnete eine Schneiderei. „I hon aa di Hoor gschnittn unt viel mit Ledr gorbatet“, betont er. Sein Spezialgebiet war das Trachten-Schneidern. „Wenn di Konfektion kemman isch, hon i lei mea sell toun.“ Regelmäßig ging Otto „af Stear“. Tagelang nähte er auf den Höfen vor allem in Schlinig. In Tschars lernte er seine Frau Katharina Winkler kennen, die ihm nach Burgeis folgte. Sie schenkte ihm acht Kinder. Dazu kamen noch zwei Pflegekinder. Katharina half ihm, wo sie konnte und hielt ihm daheim den Rücken frei, während er viel Zeit der Dorfgemeinschaft widmete. Jahrzehntelang setzte sich Otto ehrenamtlich in führender Position ein: im Verkehrsverein, im Frontkämpferverband, bei der Freiwilligen Feuerwehr, bei den Schützen, bei der Pflege der Städte-Patenschaften...
„Miar hoobm viel Reklame gmocht unt di Bettn gfüllt“, erklärt er. Der Lohn sind viele Ehrenurkunden und das Ehrenzeichen des Landes Tirol. Dankbar betrachtet er die Auszeichnungen und meint: „Eppas isch decht draus gwortn, asn ledign Bua.“