Überall brennen Lichter, die sich im Wasser der Kanäle spiegeln. Das Paar genießt die einzigartige Stimmung und ihr junges Glück. In einem idyllischen Hotel erwartet sie ein Fischessen. Die Meeresfrüchte allerdings irritieren Luisa. Sie hat so etwas noch nie gegessen und kann sich im Gegensatz zu ihrem Mann auch nicht mit den Muscheln und Krabben anfreunden. Während er diese genüsslich verspeist, knabbert sie an eim belegten Brot. Das trübt aber keineswegs die Romantik des Abends. „Oa Nocht in Venedig…,sel isch a Traum gweesn“, schwärmt sie. Bereits am Tag danach geht die Fahrt wieder zurück nach Schlanders, wo in Luisas elterlichem Bauernhof die Arbeit wartet.
Anpacken hatte Luisa gelernt, daheim und auch als Hütmädchen in Latsch, wo sie sich ihr erstes Geld verdiente. Noch heute denkt sie mit Entsetzen an die unbändigen Kühe, die Reißaus genommen hatten und die sie stundenlang suchen musste. In den Wintermonaten besuchte sie die italienische Schule im schwarzen Balilla-Kleid. Sie lernte fleißig und prägte sich die Zahlen in Italienisch so gut ein, dass sie diese heute noch im Kopf hat.
„I rechn heint olm nou af Italienisch“, sagt sie. Gut erinnert sie sich an die Tiefflieger während des Krieges, die an Schlanders vorbeischossen und an die amerikanischen Soldaten, die 1945 auf dem Kinoplatz Bonbons an die Kinder verteilten. Nachdem ihr Vater krank aus dem Krieg heimgekehrt war und kurz darauf starb, war Luisa die Stütze ihrer Mutter. Die Frauen führten die kleine Landwirtschaft. Hauswirtschaftliche Fertigkeiten eignete sich Luisa in der „Haushaltungsschule Dietenheim“ an. Nach der Hochzeit erhielt sie Unterstützung durch ihren Mann, der aus St. Valentin stammte. Dieser verdiente sich als Holzarbeiter etwas dazu. Da er viele Leute im Oberland kannte, vermittelte er für einen Handelsbetrieb dort gelegentlich auch den Verkauf von Kohlen. Das Paar verstand sich gut, umsorgte schon bald vier Kinder, drei Buben und ein Mädchen. Dann kam der verhängnisvolle 23. Jänner 1963. Gregor fuhr morgens als Beifahrer mit einer Landung Kohlen ins Oberland. Stunden später erreichte Luisa die Nachricht, dass ihr Mann schwer verunglückt war. Der Transporter war auf glatter Fahrbahn gegen einen Baum geprallt. Die beiden Verletzten hatte man auf dem Rücksitz des Linienbusses ins Krankenhaus von Schlanders gebracht. Das erfuhr sie, als ihr Mann vor ihr im Koma lag. Er starb einen Tag später an den Folgen des Schädelbasisbruches. Der Schock saß tief und die Tage darauf erlebte Luisa wie in Trance. Wenn sie an die Beerdigung denkt, sieht sie noch heute ihre Mutter mit dem drei Monate alten Alfred im Arm auf dem Balkon stehen. Sie sieht den fünfjährige Erich und die dreijährige Maria Luise, die sich verzweifelt an die Verwandten klammern. Und sie hört den vierjährigen Herbert rufen „Tata steh auf“. „I bin do gstondn, wia a Pfandl ohne Stiel“, sagt sie. In mitten der Trauergemeinde fühlte sie sich einsam und verlassen. Luisa fiel es schwer die Endgültigkeit des Todes anzunehmen, doch sie rappelte sich auf, den vier kleinen Kindern zuliebe. Sie nahm alle Kraft zusammen, um über die Runden zu kommen. Entschädigung für den Unfall bekam sie keine. Mit Hilfe ihrer Mutter und eines Neffen hielt sie die Landwirtschaft aufrecht, und Spenden aus der Bevölkerung halfen ihr aus dem Gröbsten. „I hon s Gelt zeiln gmiaßt unt wear di Hilf nia vergessn“, sagt sie. Als ihre Mutter starb, gab Luisa das Vieh auf und verpachtete die Wiesen. Sie nahm Gelegenheitsarbeiten an, als Köchin und Putzfrau. Jahrelang verköstigte sie Lehrbuben. Eine gute Schulbildung für ihre Kinder war Luisa wichtig und sie setzte alles dran, ihnen das zu ermöglichen. Diese verdienten sich in den Sommermonaten regelmäßig etwas Geld als Saisonarbeiter.
Luisa hat alles gemeistert und ist glücklich, dass alle Kinder einen Beruf haben und mit beiden Beinen im Leben stehen. Eine Genugtuung für sie ist es, dass die Vier gut miteinander auskommen. Sie teilen sich das sanierte Elternhaus und Luisa genießt die Tage im Kreise ihrer Lieben. Ihr Reich ist die Dachwohnung, und das Treppensteigen hält sie körperlich fit. Ihrem Gemüt tut der tägliche Frühschoppen beim „Rosenwirt“ gut. „Selm weart graatscht“, sagt sie. Oft schwelgt sie dort in Erinnerungen und erzählt hie und da von ihrer glücklichen Zeit mit ihrem Mann und von der einen Nacht in Venedig.
Magdalena Dietl Sapelza