Die verschiedenen Arten der Fortpflanzung
Bei den Fischen gibt es verschiedene Formen der Fortpflanzung. Die Grundform ist die externe Befruchtung: Der Milchner (das Männchen) spritzt seinen milchig trüben Samen über den vom Rogner (Weibchen) abgelaichten Rogen (die Eier). Neben dieser körperexternen Befruchtung der Eier gibt es auch lebendgebärende Fische wie beispielsweise die Zahnkarpfen. Die Aquarianer kennen den exotischen Warmwasserbewohner Millionenfisch oder Guppy als lebendgebärend. Bei wieder anderen Fischarten kommen Zwitter vor, Arten mit beiden Geschlechtern in einem Tier. Und eine weitere Entwicklungslinie hat im Laufe der Evolution sogar unisexuelle Arten hervorgebracht. So sind beispielsweise beim Giebel ganze Populationen ausschließlich aus weiblichen Tieren aufgebaut.
Auch bei den in Südtirols Fließ- und Stillgewässern vorkommenden heimischen (autochthonen) und eingebürgerten (al-lochthonen) Kleinfischarten finden wir verschiedene Formen der Fortpflanzung und auch der Brutpflege. Die Fortpflanzungsorte und Laichzeiten sind artspezifisch und verschieden. Bei mehreren Arten gibt es eine geschlechterspezifische Körperausfärbung. In der Fachsprache spricht man von Geschlechterdimorphismus.
In punkto Eizahl kann folgende Grundregel gelten: Fischarten ohne Brutpflege und Ablaicher in Gewässer mit hoher Strömungsgeschwindigkeit legen große Zahlen von Eiern ab, weil auch der Verlust groß ist. Fische mit Brutpflege, vorwiegend in Stillgewässer ablaichend, produzieren wesentlich niedrigere Eizahlen. Lebendgebärende Fischarten, gepaart mit aktiver Brutpflege erfüllen mit noch geringeren Anzahlen von Nachkommen ihre Hauptaufgabe, nämlich die Erhaltung der Art. Sie verteidigen und schützen ihren Nachwuchs aktiv und müssen daher als Art weit weniger Verluste durch Fraßfeinde hinnehmen.
Kein Artenschutz ohne Lebensraumschutz
Längst wissen wir es: Es gibt keinen tierischen und pflanzlichen Artenschutz ohne Schutz des dazugehörigen Lebensraumes. Lebensraumschutz ist unabdingbare Voraussetzung für den Artenschutz. Dies gilt auch für die Gewässerlebensräume der Fische als Kiemenatmer und wechselwarme Tiere. Die Lebensräume der Südtiroler Kleinfischarten reichen von den Hochgebirgsseen in der sauerstoffreichen, nährstoffarmen Kaltwasserregion bis zu Abflussgräben in den verschiedenen landwirtschaftlichen Kulturflächen der Talsohlenböden mit warmen Wassertemperaturen und mehr oder weniger starker Eutrophierung.
Bedrohungen für die heimischen Fischarten
Welches sind nun die Hauptursachen für die Lebensraumveränderungen mit negativen Folgen für die Kleinfischarten in Südtirols Gewässern?
• Die Beeinträchtigung des Lebensraumes vor allem durch Verminderung der Wasserführung zum Zweck der Erzeugung von hydroelektrischer Energie und dem oft damit zusammenhängenden Schwallbetrieb;
• die Verbauung der Gewässer zum Hochwasser- und Überschwemmungsschutz. Sperrenstaffelungen mit unüberwindlichen Höhenunterschieden verunmöglichen den Fischen das Bachaufwärtsschwimmen, um die Laichplätze am Oberlauf der Gewässer zu erreichen;
• die Wasserverschmutzung durch Einträge aus der landwirtschaftlichen Düngung, aus ungeklärten häuslichen oder industriellen Abwässern;
• die Einbürgerung fremder Fischarten. Diese fremden Arten, welche bewusst oder zufällig importiert werden, bezeichnet man als Neozoen. Diese Neuankömmlinge können als invasive Arten die heimischen Fischarten auch stark bedrohen.
Gefährdungsgrade
Auf gesamteuropäischer Ebene sind in der Klassifizierung der Internationalen Union zum Schutz der Natur (IUCN) fast 40% aller Fischarten im Süßwasser als gefährdet eingestuft. Im Bereich des Mittelmeeres stuft dieselbe Organisation IUCN sogar mehr als die Hälfte aller Fischarten als bedroht ein.
Die „Rote Liste der gefährdeten Tierarten Südtirols“ stuft sechs der Südtiroler Kleinfischarten als besonders bedroht ein: das Norditalienische Rotauge, den Gemeinen Steinbeißer, den Maskierten Steinbeißer, die Bachschmerle, den Dreistacheligen Stichling, die Martens Grundel.
Weitere drei Arten werden als bedroht eingestuft: die Elritze oder Pfrille, die Norditalienische Laube oder Alborella, die Mühlkoppe (dialektal: der „Tolm“)
Zwei Arten von Kleinfischen werden als nicht bedroht eingestuft: das Rotauge und die Rotfeder.
Sich selbst überlassene Eier und Brutpflege
Es gibt Fischarten, die auf große Eizahlen setzen. Viele Vertreter aus der Familie der Karpfenartigen (Cypriniden) produzieren Eizahlen die in die Aberzehntausende je Weibchen gehen. Diese Fische betreiben keine Brutpflege und die Eier sind nach dem Ablaichen sich selbst überlassen. Trotz vieler Verluste überlebt die Art, weil es allein schon statistisch nicht möglich ist, dass alle Eier und Jungfische von Fraßfeinden vertilgt werden.
Verschiedene Kleinfischarten unter der heimischen Fischfauna weisen eine weit geringere Fruchtbarkeit auf. Die Mühlkoppe, die Martens Grundel, der Dreistachlige Stichling, der Bitterling und der Sonnenbarsch beispielsweise erhalten die Art mit der Produktion und dem Ablegen von wenigen Dutzenden Eiern pro Weibchen. Dies deshalb, weil sie erstaunliche und verschiedenartige Strategien zur Pflege der Brut entwickelt haben.
Brutpflege
Ein paar Strategien der Brutpflege bei verschiedenen heimischen Kleinfischarten sollen genannt werden:
Die Mühlkoppe oder Groppe
Das Männchen der Mühlkoppe (in unserem Dialekt der „Tolm“) bewacht die Eier nach deren externen Befruchtung während ihrer gesamten Entwicklungszeit. Die etwa 100-200 Eier werden vom Weibchen im Frühjahr bei Wassertemperaturen von 8 – 10° C an die Unterseite größerer Steine geheftet. Während der mehrwöchigen Brutpflege nimmt das Männchen keine Nahrung auf und kommt gegen Ende der Bewachung in Hunger- situationen. Es gibt Beobachtungen, dass das Männchen dann als Selbstschutz vor dem Hungertod einige Eier des arteigenen Geleges in kannibalischer Weise frisst.
Die Martens Grundel
Diese Kleinfischart heftet ihre Eier an den Deckenboden der Wohnhöhle, wo sie vom Männchen besamt und während der Entwicklungszeit bewacht werden.
Der Dreistachlige Stichling
Das Männchen legt zur Laichzeit ein farblich auffälliges Hochzeitskleid an, dessen markanteste Farbtupfer die azurblaue Iris der Augen, die orange Brust und der blaugrün schimmernde Vorderbauch sind. Zur Laichzeit der Weibchen baut der Stichlingsmann ein Nest in Form einer kleinen Tunnelröhre: Am Gewässergrund werden abgestorbene Pflanzenteile mit einem Sekret aus der Nebenniere verklebt und sodann mit Sand überdeckt. Mit einem Werbetanz lockt das Männchen eines oder mehrere Weibchen zur Eiablage in das Häuschen. Nach erfolgtem Ablaichen besamt der Stichlingsvater die Eier und bewacht die Eier und Jungbrut. Eindringlinge werden vom aggressiven und mutigen Winzling durch Schwimmattacken aus dem Nestrevier vertrieben.
Für die Entschlüsselung dieser Verhaltensweisen im Brutgeschäft des Stichlings, aber auch für bahnbrechende Verhaltensforschungen beispielsweise an den Wespen hat der Holländer Nikolaas Tinbergen 1973 zusammen mit Konrad Lorenz und mit Karl von Frisch den Nobelpreis für Medizin und Physiologie erhalten. Konrad Lorenz wurde vor allem für seine Forschungsarbeiten zum Verständnis der Verhaltensweisen von Graugänsen und anderen Tieren, Karl von Frisch für die Entschlüsselung der Bienensprache geehrt.
Der Bitterling
Der Bitterling ist noch raffinierter. Er delegiert seine Brutpflege an verlässliche Ammen. Das laichbereite Weibchen legt seine Eier in das Innere von offenen Teich- und Malmuscheln ab, wo sie sich im sicheren Raum dieser kalkgepanzerten Kinderstube entwickeln können. Nach ca. einem Monat verlassen die Jungfische die Muschelstube.
Der Sonnenbarsch
Auch der bunt gefärbte Sonnenbarsch-Mann bewacht seinen Nachwuchs aktiv, indem er Artgenossen und andere Fischarten aus der Umgebung der Laichgrube vertreibt. Sein Mut beflügelt ihn dabei, so dass er Fische von der Brut fernhält, die ein Vielfaches größer sind als er selbst.
Lesetipp: Wer vertiefend lesen und mehr über die heimischen Kleinfischarten wissen will, besorge sich die Broschüre von Andreas Meraner „Schmerle, Steinbeißer, Koppe und Co.: Kleinfischarten in Südtirol“. Das Büchlein ist im Oktober 2013 erschienen. Es ist eine Initiative des Energiefonds, in welchen ein kleiner Teil der Wasserzinsgelder fließt. Die Ausarbeitung der Publikation wurde vom Landesamt für Jagd und Fischerei, Abteilung Forstwirtschaft der Autonomen Provinz Bozen Südtirol koordiniert.