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Dienstag, 17 Dezember 2013 09:06

„Deis isch a ormselige Weihnacht gweesn“

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s17 0091Am Tag vor dem Heiligen Abend 1935 lag auf dem „Ratschöl-Hof“ in Außersulden ein neugeborenes Mädchen auf der Ofenbank. Dessen Mutter hatte es in der Einsamkeit alleine auf die Welt gebracht und notdürftig in Windeln gewickelt. Niemand hatte etwas von der Schwangerschaft gewusst. Das Neugeborene war Erna Pfeifer.

von Magdalena Dietl Sapelza

Ernas Mutter lebte zum Zeitpunkt der Geburt allein auf dem Hof. Die Eltern waren gestorben, der Bruder leistete Militärdienst und die Schwester war ausgewandert.

Am Hl. Abend erhielt die junge Mutter Besuch aus dem Tal, und die Nachricht vom ledigen Kind auf „Ratschöl“ verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Bei der Christmette in Stilfs sprach der Pfarrer auf der Kanzel die Schande an und forderte die Gläubigen auf, darauf zu achten, dass die Kleine auf „Rätschöl“ nicht „verputzt“ wird.  „Deis isch für mai Muatr s‘ Traurigste gweesn“, erzählt Erna. Immer wenn sie nach ihrem Vater fragte, begann die Mutter zu weinen. Erna hörte schließlich mit dem Fragen auf, um ihrer Mutter nicht weh zu tun. „Do isch selm eppas passiert, wos si miar nit hot drzeiln gwellt“, meint Erna. Was immer auch geschehen sein mochte, an Mutterliebe fehlte es der kleinen Erna nie. Doch das Leben auf dem Hof mit wenigen Stück Vieh war karg und beschwerlich. „Miar hoobm gschuntn bis geat nicht mea“, betont sie. Etwas leichter wurde es für die beiden nach dem Krieg, als der Onkel mithalf, wenn er nicht als Bergführer unterwegs war. 1947 änderte sich Ernas Leben durch die Heirat ihrer Mutter mit Franz Schöpf vom „Untervellnairhof“. Sie zog mit ihrer Mutter dorthin und bekam endlich einen Vater - einen Ziehvater. „I honn an guatn Ziavoter kopp – a ogener hat nit kennt besser sein“, unterstreicht sie. Sie blieb einziges Kind.  Mit der Übersiedelung nach „Untervellnair“ brachen bessere Zeiten an, obwohl es auch dort zupacken hieß. In der Bergschule begegnete Erna den fünf Jahre ältere Heinrich Wallnöfer vom „Löschhof“, den sie nie mehr aus den Augen verlieren sollte.  Mit 18 Jahren verdiente sie sich als „Mädchen für alles“ auf einer Suldener Berghütten ihr erstes Geld. Es folgten weitere Saisonen. Daheim kreuzten sich Ernas und Heinrichs Wege. Gemeinsam unternahmen sie Bergtouren und besuchten jene Höfe, auf denen mit der Ziehharmonika aufgespielt wurde. Erna tanzte gerne. „Er hot nit tonzt, er hot miar olm lai zuagschaug“, lacht sie. Im November 1961 traten beide vor den Traualtar und zogen in Ernas Elternhaus. Sie bewirtschaftete den Hof, unterstützt von ihren Eltern, während Heinrich sich als Waldarbeiter etwas dazu verdiente. Er kam meist nur am Wochenende heim. 1962 erblickten Zwillingsbuben das Licht der Welt. Ein Jahr später kam ein weiterer Bub dazu. Die Kinder entwickelten sich prächtig und das Leben nahm seinen Lauf. Erna war glücklich.
Dann kam die neblige Nacht vom 14. auf den 15. Oktober 1973. Ein lautes Krachen und Feuerschein riss die Familienmitglieder jäh aus dem Schlaf. In Panik stürzten sie.sich ins Freie. Erna war die Letzte, denn sie musste ihre mittlerweile halbseitig gelähmte Mutter stützen. Weinend konnten sie nur noch zuschauen, wie Stall, Stadel und Haus ein Raub der Flammen wurden. Die Feuerwehren hatten im Nebel Mühe gehabt, den Brand zu lokalisieren und waren zu spät gekommen.  „Zun Glück sain miar olle ausi kemman“, sagt Erna. „Fünf Minutn spater, unt miar warn olle drstickt“. Brandstiftung wurde als Brandursache vermutet. „Norr sain miar nockat dogstondn“, erinnert sich Erna.  Die Familie fand zuerst Unterschlupf auf einem Nachbarhof und dann in der Schulwohnung. Zu Weihnachten 1973 flossen dort Tränen, obwohl ein Christbaum im Raum stand und Menschen aus dem Dorf einige Päckchen darunter hingelegt hatten. „Deis isch a ormselige Weihnacht gweesn“, erinnert sie sich. Drei Jahre lebte die Familie in der Schulwohnung und Erna kochte auch für den Lehrer. Dann war der wieder aufgebaute Hof bezugsfertig.  „Mit Gott unt guate Leit hoobm miar insn Houf obr aufbaut“, erklärt sie. Es fehlte zwar an allen Ecken und Enden, doch sie lebten wieder in den eigenen vier Wänden. Jede Münze drehte Erna zweimal um, bevor sie etwas kaufte. Erst langsam ging‘s aufwärts.  
Nachdem der älteste Sohn die Zügel auf dem Hof in die Hände genommen hatte, verbrachte Erna mit ihren Mann mehrere Sommer auf den Vinschger Almen, wo dieser als Hirte arbeitete. Vor einem Jahr zog das Paar nach Prad, um den Jungen auf dem Hof Platz zu machen.
Erna und Heinrich leben jetzt dort in einer Wohnung und fühlen sich wohl. „Christbam, sell stell i oan auf, suscht tuatn nit weihnachtalan“, meint sie. Oft denkt sie an die traurigen Umstände ihrer Geburt auf „Ratschöl“. Besonders lebendig werden die Erinnerungen an ihrem Geburtstag, am Tag vor dem Hl. Abend.


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