Hans Unterholzner wurde 1929 in St. Walburg im Ultental in eine zwölfköpfige Kinderschar hineingeboren und besuchte dort die Schule. Da er einige Sommer auf der Alm verbrachte , erwuchs in ihm eine besondere Liebe zur Natur und vor allem zu den Tieren. Aber sein Wunsch, Tierarzt zu werden, konnte sich nicht erfüllen. Nun galt es, sich für einen Handwerksberuf zu entscheiden. Er fand eine Lehrstelle bei einem Schuster seines Heimatdorfes und musste gleich erfahren, dass „Lernjahre keine Herrenjahre“ sind. Es gab damals keinen Urlaub, keine Sozialversicherung, keine Unterkunft und Verpflegung, nur Tage mit vierzehn Arbeitsstunden und das gleich vom Anbeginn der Lehre. Diese strenge Zeit hat aber sein Leben geprägt und dieses Aufwachsen und Lebenlernen in einer Welt der Bräuche und Traditionen stählte seinen Willen und seine Kraft, bis auf den heutigen Tag. Lange Arbeitszeiten sind dem Schuster zur Lebensgewohnheit geworden. So ist er auch heute noch unermüdlich in seiner Werkstatt tätig. Auf die Frage, wie lange er dies noch machen will, antwortet er gelassen: „Bis i vom Schuasterstuahl oi foll.“
Erneut die Ärmel hochkrempeln musste er, als er 1950 nach Naturns zog und da das Schuhgeschäft im „Huaterhaus“ erwarb. Mit großem Tatendrang startete er dort gleich mit fünf Gesellen und einem Lehrling. Zu siebt arbeiteten sie im Betrieb und hatten die Hände voll zu tun, obwohl es in Naturns damals noch weitere fünf Schuhmacher gab. Insgesamt waren dann vierundzwanzig Leute in dieser Branche beschäftigt. Hans absolvierte auch einen Orthopädiekurs und erlangte bald den Meistertitel.
Als besonders schöne Zeit betrachtet Hans Unterholzner jene Zeit, in der er als Störschuster, zuerst in Ulten, dann auch noch in Naturns herumgezogen ist. Er besuchte die Kunden auf den entlegenen Bauernhöfen und fertigte dort jedem Hausbewohner Schuhe an. Der Störschuster störte zwar den gewohnten Tagesablauf der Bauernfamilie, daher vermutlich der Name, brachte aber auch Abwechslung in den bäuerlichen Alltag, für die Erwachsenen Neuigkeiten aus dem Tal, für die Kinder einen Anschauungsunterricht, den es heute nicht mehr gibt. Sie konnten den Werdegang eines Schuhes vom Maßnehmen bis zum Einfädeln der Schuhlitzen miterleben.
Der Störschuster brachte all sein Werkzeug in einem Rucksack oder Ruckkorb selbst mit und baute sich in einer Stubenecke die Werkstatt auf. Da fanden Schusterstuhl, Dreifuß, Leisten, Raspeln, Hammer, Ahlen, Zangen und Schachteln mit „Scharnägeln“, „Mausköpfen“ und Holznägelchen ihren Platz. Das Schaff mit Wasser zum Einweichen des Leders besorgte die Bäuerin, und der Bauer Rind- und Ziegenleder beim Gerber. Nachdem alles vorbereitet war, ging es ans Maßnehmen, Nähen, Einbinden, Hämmern, Besohlen, gewaltsame Herausziehen der Leisten und das Beschlagen der Sohlen mit Nägeln. Der Schusterdraht aus verdrillten Hanffäden wurde mit Pech eingerieben und mit Honig geglättet. Gespaltene Schweineborsten ersetzten die Nadel beim Nähen des weichen Oberleders. So wurden Werktagsschuhe, Feiertagsschuhe und feine Hochzeitsschuhe angefertigt. Auch Flickarbeiten waren gefragt. Ein Kuriosum stellten Schuhe dar, die bei jedem Schritt „greinten“. Besonders bei Hochzeitsschuhen stellten die
Bräute diese Forderung und waren auch bereit, dem Schuhmacher dafür ein Trinkgeld zu geben. Also fügte der Schuster zwei Lederflecken lose übereinander in den Sohlen ein. Hans Unterholzner erzählte: „Af dr Stear isches lustig und voller Harmonie gwesen“. Die Abende verbrachte man oft bei froher Geselligkeit.
Heute geht niemand mehr auf die Stör. Das Schusterhandwerk wurde von der Industrie verdrängt. Die Gummisohlen lösten Ende der fünfziger Jahre auch die mit Nägeln beschlagenen Sohlen ab, und so ist der Schuhmacher zum Schuhhändler geworden. Hans Unterholzner bekam die Verkaufslizenz und verlegte anfangs der Achtzigerjahre seine Tätigkeit in die neu errichtete „Alte Post“.
Er bedauert es immer mehr, dass das Schustern ein aussterbendes Handwerk geworden ist und möchte an zuständige Stellen appellieren, durch gezielte Maßnahmen den Beruf attraktiver darzustellen.
Unter der Jägerschaft ist der Naturnser Handwerker als guter Kamerad geschätzt, weniger bekannt ist er als Filmer. Er hat auf seinen Wanderungen sämtliche Berghöfe und die Bauersleute bei der Arbeit, Tiere, Blumen und Besonderheiten der Natur gefilmt. Von seiner Sammlertätigkeit zeugen die Gerätschaften im Schaufenster seiner Werkstatt. Dort findet sich altes Schuhwerk vom Kriege bis auf den heutigen Tag. Mit Vorliebe zeigt Hans Unterholzner von ihm gefertigte Schmugglerschuhe, deutsche Wehrmachtsschuhe und Schuhe für Gebirgsjäger. Der bald Vierundachtzigjährige wird oft auf seinen Beruf angesprochen, er erzählt den Interessierten gerne von seinen Tätigkeiten und betont, dass er ganz sicher, auch heute, wieder Schuster werden würde.