Die pflanzliche Abfolge von der Graslandschaft zum Wald geht in der alpinen Höhenstufe über das Zwischenstadium der Sträucher. Wo die Almsömmerung von Weidetieren aufgelassen wird, werden große Teile der vormaligen Weideflächen von Sträuchern überwachsen. In den Bergen der Zentralalpen tragen zur Verbuschung die Rostrote Alpenrose (Rhododendron ferrugineum) und der Zwergwacholder (Juniperus nana) stark bei. In Lawinenstrichen und Bachrunsen bildet die Grünerle (Alnus viridis) einen Laubwaldgürtel und gegen die Obergrenze des Holzwuchses hin sind es verschiedene Weidenarten (Salix spec.), welche als Spaliersträucher die Gräser der Rasengesellschaften ersetzen.
Verbuschung reduziert Artenvielfalt
Eine Folge der Verbuschung besteht darin, dass die optimalen Lebensbedingungen für verschiedene Tierarten reduziert werden. Bei unserer vierjährigen Erhebung der vier Arten von Raufußhühnern auf ausgedehnten Probeflächen im Nationalpark Stilfserjoch in den Jahren 2004-2008 haben wir bestätigt gefunden, dass das Auerhuhn und das Birkhuhn in ihren Beständen zurückgehen, wo das Beerenangebot aus Zwergsträuchern fehlt. Dabei kann der Nahrungsmangel aus Schwarzbeeren und Preiselbeeren als Herbstnahrung der Wildhühner verschiedene Ursachen haben: Auf Flächen mit einer sehr großen Dichte an Rotwild werden die Schwarzbeeren von den Hirschen gefressen und fehlen für andere Glieder der Nahrungskette wie das Auerhuhn. Auf höher gelegenen Flächen ober- und unterhalb der Baumgrenze werden die Preiselbeeren von der Almrose überwachsen und verdrängt.
Pilotprojekt Cerena
Cerena heißt eine Almfläche auf der orographisch linken Seite des Forni-Tales bei Santa Caterina Valfurva im lombardischen Anteil des Nationalparks Stilfserjoch. Die Weideflächen auf dieser Alm sind in den letzten Jahren stark verbuscht, weil die Almsömmerung von Weidetieren bis auf wenige Pferde von Hobbytierhaltern eingestellt worden ist. Im Veltlintal sind viele Menschen von der Landwirtschaft auf Berufe des Tourismusgewerbes und in den Dienstleistungsbereich umgestiegen.
Die Almweiden von Cerena im Wald- und Baumgrenzbereich sind als Habitat von Birkhühnern und zu den windaperen Graten nach oben hin als Lebensraum für Schneehühner bekannt. In Cerena ist in den letzten Jahren großflächig die Grünerle eingezogen, nach oben hin hingegen haben sich ausgedehnte Teppiche von Weiden-Gesellschaften gebildet. Diese Verbuschung mit Laubholz und Spaliersträuchern macht den Raufußhühnern das Leben zunehmend schwerer. Die Hühnervögel brauchen in ihrem Habitat auch offene Landschaftselemente. Aus dieser Erkenntnis haben wir als Nationalpark-Verwaltung im abgelaufenen Sommer auf einigen öffentlichen Flächen im Eigentum der Gemeinde Valfurva Entstrauchungsarbeiten durchgeführt. Dieses Ausholzen und Auflichten dient der Verbesserung des Lebensraumes vorrangig für das Birkhuhn. Die Entstrauchung von Grünerlen ist dabei durch Abholzen in Handarbeit erfolgt. Dabei wurden in unregelmäßigen Mustern Freiflächen und Lichtungen angelegt. Gegen das Verbuschen mit niederliegenden Weiden im Spalierwuchs und gegen die teppichartige Verbreitung von Horsten des Zwergwacholders haben wir versuchsweise Maschinen eingesetzt. Ein Schreitbagger mit einem speziellen Arm und Fräskopf war auch im steilen Gelände dank seiner Spinnenfüße unfallsicher und zeitökonomisch einsetzbar. EineTrentiner Firma, die wir über das Forstinspektorat der Autonomen Provinz Trient in Malè im Sulzberg ausfindig gemacht haben, hat sich auf die maschinelle mechanische Entstrauchung von verbuschenden Almweiden spezialisiert. Mit dieser Maschinentechnik waren hohe Tagesleistungen möglich. Bäume bis zu 20 Zentimeter Stammdurchmesser, aber auch das reichverzweigten Almrosen-Gestrüpp und die flach anliegenden Teppiche des Zwergwacholders wurden in kürzester Zeit bis zur Bodenoberfläche zu einem feinen Hächselgut aufgehächselt. Dieses blieb in einer dünnen Lage zur Bodenverbesserung liegen. Bodenverwundungen entstehen bei diesem Maschineneinsatz nur lokal, wo sich der Schreitbagger mit seinen Armen abstützt und weiterbewegt.
Kontrollierte Weide
Wenn solche entstrauchten Almflächen auch mittel- und längerfristig strauchfrei bleiben sollen, muss durch Beweidung der Wiederaustrieb der Sprosse aus den Wurzelballen verhindert oder verlangsamt werden. Dies wollen wir im Falle von Cerena in einem Pilotprojekt mit der Generaldirektion der Abteilung Landwirtschaft der Region Lombardei und lokalen Tierhaltern aus der Valfurva versuchen. Dieses Pilotprojekt ist von der Europäischen Gemeinschaft als sinnstiftend bewertet und zur Finanzierung zugelassen worden. Der Lösungsansatz heißt kontrollierte Weide: Schafe, Ziegen und Pferde sollen in kontrollierter Anzahl flächenbezogen und in definierten Zeiten auf den entstrauchten Flächen weiden. Das Pflanzenspektrum, das diese drei Haustierarten fressen, ist verschieden und dieser selektierende Weidegang sollte die Flächen in Zukunft frei von Holzbewuchs und Verbuschung halten. Zur Verbesserung des Lebensraumes für das Birkhuhn in diesem Falle.
Höhlenbrüter in Not
Eine andere Vogelfamilie mit Wohnraumnot sind die Nachtgreifvögel oder Eulen. Mehrere Arten der Eulen sind Höhlenbrüter. Den Bergwald bewohnen der höhlenbrütende Raufußkauz (Aegolius funereus, Civetta capogrosso ) und der ebenfalls höhlenbrütende Sperlingskauz (Glaucidium passerinum, Civetta nana). Beide Kauz-Arten können aber nicht selber Höhlen in die Baumstämme hauen, sondern sie benutzen aufgelassene Specht-Höhlen. Und Specht-Höhlen werden bevorzugt nur in alten Bäumen angelegt und gezimmert. In der forstwirtschaftlichen Nutzung des Waldes wird heute versucht, diesem Wohnraumbedürfnis der Höhlenbrüter Rechnung zu tragen. Sogenannte Spechtbäume werden von ökologisch orientierten Förstern bei der Holzauszeige ausgespart. Um die Wohnraumnot von Bergwald bewohnenden Nachtgreifen zusätzlich zu mildern, können auch Nistkästen in geeigneter Größe als künstliche Nisthilfen aufgehängt werden. Im Bergwald von Valfurva haben wir 50 solcher Nistkästen in verschiedenen Bemaßungen für den Raufußkauz und den Sperlingskauz aufgehängt. Eine Teleskop-Kamera wird uns diskret Einblick in die Nistkästen vermitteln, ohne dass die Vögel mit unsanften Methoden im Brutbetrieb gestört werden. Und es wird sich zeigen, ob und wie viele der Nisthilfen von den beiden dämmerungs- und nachtaktiven Eulenarten angenommen werden.