Der Plenarsaal ist noch halb voll. Alle Abgeordneten stehen auf. Die Präsidentin erinnert an die Tragödie und die vielen Toten. Es war keine Naturkatastrophe, sondern die Katastrophe war vorhersehbar und die vielen Toten hätte es nicht geben müssen. Auch der Staat habe seine Schuld und man erkenne diese in Gedenken an die vielen Toten an. Eine Schweigeminute. Ich denke an die Toten und ob der Staat aus dieser Katastrophe auch etwas gelernt hat. Mir fällt Stava im Trentino ein, die Überschwemmung von Martell vor 25 Jahren....
Wir im Vinschgau hatten wohl mehr Glück? Auch bei uns wurden bei der Reschenseestaumauer geologische Bedenken über Bord geworfen und die geologischen Untersuchungen und Bohrungen - mit Staatshilfe- gefälscht. Felsen wurde vorgegeben, Schotter oder fauler Fels war vorhanden. Der amerikanische Ingenieur war aber aus unserer Sicht ein Genie. Der hat zwar vorgegeben, eine auf felsgegründete Staumauer (diga propria) zu errichten, in Wirklichkeit wurde aber eine »diga impropria« geplant, die dem Wasserdruck nur mit dem eigenen Gewicht (550.000 m3) standhält. Es war die erste Staumauer dieser Art in Europa und die zweite weltweit. Wir im Vinschgau hatten im Gegensatz zu den Bewohnern von «Longarone, Casso, Erto catellavazze« wohl mehr Glück, aber auch bei uns hatte der Staat verantwortungslos seinen Bürgern gegenüber weggeschaut und eine Katastrophe zumindest riskiert. Mittlerweile wissen wir aber, dass unser Staudamm absolut sicher ist - auch aus Erdbebensicht besser als jeder in Fels gegründete Staudamm. Dies haben mir Schweizer Ingenieure und die Ingenieure im Staatsbauamt in Rom -als die Sicherheit des Staudamms vor Jahren ein Thema war- versichert. Seit »Vajont» sind die Staudammkontrollen in Italien schärfer als in allen anderen Ländern . Bei den Stauseen ja, so die Schweizer Ingenieure, aber bei den Druckleitungen und Wasserstollen ist sicher noch nicht alles getan. Man sollte also nicht ein weiteres Vajont abwarten, sondern endlich die Hausaufgaben machen.
Die Gedenkminute ist vorbei, man geht halt schon wieder zur Tagesordnung über. Die Präsidentin spricht noch von einem einstimmigen Beschluss der Umweltkommission, den auch wir Südtiroler Abgeordnete mitgetragen haben, welche den Staat auffordert , das Territorium hydrogeologisch besser zu schützen und der rücksichtslosen Bodenversiegelung und Verwahrlosung bestimmter Gegenden entgegenzuwirken. Ein guter Ansatz, aber höchstwahrscheinlich wird er ohne Folgen bleiben, wenn die großen Winter und Frühjahrs-Regenmengen Italien wieder treffen werden. Wir können auf etwas gefasst sein.
10 Redner sind noch eingeschrieben. Niemand hört aber zu, auch nicht den Worten eines ehemaligen Bürgermeisters der Gegend um Vajont, der uns alle darauf hinweist, dass wir Parlamentskollegen und die Mitglieder auf der Regierungsbank (als Vertreter des Staates) unsere Hausaufgaben leider noch nicht gemacht haben, dass wir der Toten mit »gesenktem Haupt« zu gedenken hätten, gerade weil wir unsere Hausaufgaben auch bei Druckleitungen und Stollen bei Weitem noch nicht gemacht hätten. Während dieser wirklich eindrucksvollen Rede muss die Präsidentin einige Male um Ruhe bitten, bevor sie selbst ihm - als direkt Betroffenen - das Wort entzieht, weil er einige Sekunden bei der Redezeit überzogen hat. Auch dies eine Respektlosigkeit. Als der letzte Redner über Vajont und über die Lehren , die daraus zu ziehen wären, spricht ist der Saal halbleer. Wen interessiert’s? Unverbesserlich dieses Land!