Kortsch – breit am Hang angelegt und gut beieinander, massiv und fest verwebt seine Höfe mit den Menschen und deren Landschaft, eine fruchtbare Nahrung spendende Stätte am Moränenberg, wo drei wie auf einer Perlenkette gereihte romanische Kirchen heidnischen Ursprungs den Hang hinauf- bzw. hinuntersteigen, verkörpert die gütige, hegende Urmutter der Vinschger Dörfer.
Ein geschmackvolles Dorf mit Tiefe und Sinn für Wertschätzung alter Höfe. Zuviel Geld mache alles hin, sagt man gerne, das verderbe nicht nur den Charakter, sondern auch die Sinneseindrücke, was sich in geschmacklosen Materialschlachten und Grobheit äußere. Anders in Kortsch, dort gehen die meisten Menschen mit ihren Häusern achtsam und bescheiden um, pflegen und renovieren, überlegen und schätzen ihr Gut von dem sie herkommen. Der konstruktive Umgang mit dem Erbe ist mit der Zeit langsam herangereift. Die Kortscher gestalten ihre Höfe vorbildlich, einfallsreich und enkeltauglich (nachhaltig), was sich indirekt auch positiv auf das Dorfbild auswirkt. Hier scheint der neue Reichtum nicht in Präpotenz abzugleiten, sondern zeigt sich im behutsamen Umgang mit dem Erbe als Geschenk. Die einzelnen Höfe sind eingebettet in das Dorf, jeder Hof bleibt für sich und ist doch gemeinschaftlich angeordnet und verbunden. Somit sind die Kortscher nicht nur reich an Geld, sondern auch kultiviert.
Die Leute wohnen hier also recht gut in den alten Hütten. Es ist eine spannende Kombination aus Alt und Neu, aus alt hergebrachtem Material und Werten mit neu gelebten Kenntnissen und Erfahrungen. Hier sind menschliche Maße spürbar in Steinmauern und Wegen und in den Gebäuden. Mit alten Flächen- und Raummaßen wie Fuß oder Elle, Klafter oder Muth erbaut und gewachsen, wirkt das Dorf, wirken die Höfe runder, dicker, reicher. Kortsch ist demnach behäbiger als andere Dörfer, wärmer, greifbarer und gemütlicher, langsamer und schwerfälliger. Das alles lässt das Dorf sehr präsent erscheinen, man ist dabei und klinkt sich ein. Die Straßen schlängeln sich entlang den groben unregelmäßigen Steinmauern, begleitet von unzähligen Brunnen und Nischen - scheinbaren Sinnlosigkeiten, die das Dorfleben bereichern und verzaubern. Heute würde man solch eine Siedlung ganz anders bauen: funktional, wirtschaftlich berechnend, logisch ...
Doch etwas stört. Es ist der dunkelfarbene Asphalt, der das ganze Dorfgeschehen verplombt und mit den Häusern (Be- wohnerInnen) nicht kommuniziert, ohne grüne Übergänge (Rasen oder Bäume), die sozialen, emotionalen Austausch erleichtern. Undurchdringliche Asphaltdecken Teerschläuchen gleich, baumlose Straßen und unbegrünte Wegränder lassen die Bewohner in die nächste Ortschaft nach Schlanders absacken und drücken bleiern auf die Dorfstimmung. Dieser Eindruck verschärft sich, wenn man von Allitz kommend durch Kortsch ins tiefer liegende Schlanders geht. Dort wird das Dorf allmählich ungemütlich. Zunehmend wird das Archaische, Bodenständige und Authentische von einfältig Modernem, neumodisch Billigem abgelöst. Die Durchfahrtsstraße zerhaut die Dorfstimmung und verwüstet den Dorfcharakter.
Die Straßendimensionen sind für Fahrzeuge und nicht für Fußgänger (Dorfbewohner) gemacht. Steil und zu breit bis zum Kirchplatz angelegt, saust sie wie eine Schnellstraße mitten durchs Dorf. Für Maschinen verbindlich gebaut, wirkt sie schonungslos entmenschlicht, deshalb unecht und verfälscht. Ersetzt man die Asphaltflächen durch Pflaster mit Grünflächen statt der Randsteine, pflanzt man Bäume entlang den Straßenwegen, wirkt das Dorf ausgeglichen und ruhig und die Lebensqualität würde zunehmen. Den Dorfbewohnern in ihren Höfen ist es scheinbar egal ob ihr Verkehrs - und Kommunikationsnetz (= Plätze und Fußwege: Verbindungswege, Tore, Durchgänge, Abkürzungen, Pfade, Treppen ...) funktioniert oder nicht. Dafür haben die Menschen in ihren Höfen kein Auge und keinen Sinn, denn sie verweilen in ihren Höfen, nicht im Dorf und gehen dort kaum zu Fuß.
Bildlich gesehen wird die Dorfbegabung (das Allgemeingut) also nicht gefördert, sondern bleibt verborgen hinter einer lieben alten Urmutter (=Kortsch), welche in ihren vier Wänden gastfreundlich herrscht und ausgezeichnet kocht (es gibt in Kortsch nicht umsonst eine Haushaltsschule), aber dann zu einer dunklen großen Dorfgestalt wird, zu einer unantastbaren mächtigen Autorität, wenn es um das Dorfleben, um das Dorfbild und Allgemeingut geht. Das heißt, es fehlt an einer umfassenden Gesamtschau, welche auf ein gutes Leben für alle zielt und deren Reichtum sich in der Qualität der Beziehungen untereinander ausdrückt. Es mangelt an Dorfkommunikation, Dorfwegen und Durchgängen zum neuen Siedlungsgebiet im Süden, die Durchlässigkeit und Toleranz verkörpern, aber es fehlt auch ein zwangloses Treffen in einer Café-Konditorei im Zentrum, was emotionale Bindungen fördert.
Fraglich ist, ob das Haushaltsschulgebäude nicht eher belastend für die bauliche Umgebung ist, denn die Schule mit städtischem Flair wirkt wie ein in sich geschlossener Kunstkörper ohne Bindung zur dörflich-bäuerlichen Nachbarschaft, dessen Dynamik ganz im Widerspruch zum Dorfgeist steht. Scheinbar haben Land und Gemeinde damals durch den Bau der Haushaltsschule im kostbaren Dorfkern rücksichtslos die (bauliche) Nachbarschaft entmündigt, um ein Schulgebäude mitten hineinzusetzen. Die Schule, ursprünglich prädestiniert Leben ins Dorf zu bringen, schafft genau das Gegenteil: Der Baukörper verdrängt das Dorfleben und betont das Bild der leerstehenden Häuser. Natürlich muss ein Ortsbild besondere Wertigkeit für alle besitzen, um es rücksichtsvoll umgestalten und durchsetzen zu können, doch haben die Kortscher hier ihre Qualität, aus alten Gütern Neues zu formen, gedankenlos einer belanglosen Idee geopfert, die sich nun negativ auf das soziale Dorfleben auswirkt.
Das neu entstehende Wohngebiet südlich des Dorfzentrums zur Hauptstraße birgt dieselben Gefahren. Man weiß nicht mehr, wo sich die Grenze zu Schlanders befindet, inzwischen ist es auch egal. Das Siedlungsareal zieht sich übergangslos von Kortsch über die Melaunen bis zum Bahnhof oder über die Handwerkerzone bis zur immer dominanter werdenden Obstgenossenschaft und zum Berufsschulzentrum. Für die Kortscher bedeutet das neue Siedlungsgebiet bestenfalls ein Unterdorf ohne Zugang zum Oberdorf. Die Oberen bestimmen und schauen auf die da unten in ihrer Bestlage, ohne Sinn für den Nächsten. So entstehen immer mehr Häuser und Wohnungen am Dorfrand. Falls weiterhin nichts an Infrastruktur für das Allgemeinwohl und nichts für soziale und emotionale Bindekräfte unternommen wird, wird das Wesen des Großdorfes zerstört. Weder Nahversorgung noch gemeinschaftliche Anlagen, Kleingärten, noch öffentliche Plätze (keine Parkplätze) sind garantiert. Wo bleiben Grünanlagen und Plätze mit ruhigen Innenhöfen für die Siedlungen?
Eine einzige Beton- und Asphaltplage, ein dicht besetztes Gebiet mit unzureichender Nahversorgung und ohne Bäume - Mono in Reinkultur. Wie freudlos und vegetationsarm heutige Planungen in ihrer Gesamtschau aussehen, wie erbärmlich eintönig sie im Zusammenspiel wirken, kann man mit dem aus dem 19. Jahrhundert stammenden großzügig und weitsichtig angelegten Bauensemble rund um die Bahnhofs- und der jüngeren Kasernenanlage mit Wohnhäusern, Gasthof, vielfältigen Baumarten, Alleen, Garten- und Grünbereichen, gut erkennen.
Planen bedeutet nachhaltig - enkeltauglichen- Einfluss nehmen auf die Gesellschaft mit ihren kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Anforderungen, denn eine so große Siedlungsdichte - dazu zählen auch die hohen Schüler- bzw. Pendlerfrequenzen untertags - fordert eine andere Zusammenschau und Vision als ein einzelnes Dorf. Das leerstehende Kasernenareal bietet dafür eine einmalige Gelegenheit: Sport- und Freizeithallenbad im botanischen Garten und Nahversorgung stillen grundlegende Bedürfnisse, würden das Gebiet aufwerten und Lebensqualität für Generationen ins zukünftige Dorf Vinschgau bringen.