Wolfgang Platter, am Tag des Hlg. Matthias, 25. Februar 2024
Die Europäische Kommission hat ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Italien eingeleitet wegen der Nicht-Einhaltung von Umwelt- und Tierschutzrichtlinien. Die EU-Kommission hat nämlich festgestellt, dass Änderungen in den italienischen Jagdvorschriften nicht den EU-Richtlinien entsprechen. Kernpunkt der Beanstandung ist die Verwendung von Bleimunition bei der Jagd in und um Feuchtgebiete herum. Diese Verwendung von Bleimunition verletzt sowohl die Bestimmungen der Vogelschutzrichtlinie 2009/147/EG, als auch die REACH-Verordnung (=Registration, Evaluation, Authorization of CHemicals). REACH ist die Europäische Chemikalienverordnung zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe. Vogelschutzrichtlinie und REACH-Verordnung sollen die wildlebenden Vogelarten und ihre Lebensräume schützen und die menschliche Gesundheit vor den schädlichen Auswirkungen u.a. des Schwermetalls Blei bewahren. Die nationalen italienischen Regelungen zum Gebrauch von Bleimunition weichen von den EU-Standards ab. Die EU-Kommission hat Italien aufgefordert, innerhalb von zwei Monaten auf die Beanstandungen zu reagieren und die notwendigen Änderungen vorzunehmen.
Hintergrund
Die REACH-Verordnung ist am 16. Februar 2023 in Kraft getreten. Diese Verordnung verbietet die Verwendung von Bleimunition bei der Jagd, v.a. auch bei der Vogeljagd, im Umkreis von 100 Metern um Feuchtgebiete.
Zur Erinnerung: Der Bartgeier Ikarus
Der Bartgeier Ikarus ist an einer Bleivergiftung verendet. Nachstehend gebe ich den Text noch einmal wieder, den ich im Februar 2015 zum Lebenslauf dieses Bartgeiers im „Der Vinschger Wind“ geschrieben hatte:
Ikarus war am 5. Mai 2008 im Zoo von Hannover aus dem Ei geschlüpft und für das Wiederansiedlungsprojekt „Bartgeier in den Alpen“ freigegeben worden. Die erste Freilassung erfolgte am 19. Juni desselben Jahres im Schludertal in Martell. Nach einem sehr ergiebigen Neuschneefall ist Ikarus am 19. Dezember 2008 flugunfähig auf einem Hausdach in Rabbi geborgen worden. Die nachfolgenden tierärztlichen Untersuchungen ergaben, dass der Bartgeier nicht Hunger gelitten hatte, sondern in seinem Blut wurde Blei nachgewiesen. Nach der kompetenten Pflege an der Bartgeier-Zuchtstation Haringsee von Prof. Hans Frey von der Veterinärmedizinischen Universität Wien konnten wir den Vogel am 20. Juni 2009, mit einem neuen Satellitensender bestückt, am Kleinboden in Trafoi erneut freilassen. Dank Satellitensender konnten die Flugbewegungen und Ortswechsel des Vogels lückenlos verfolgt werden. Am 10. November 2009 wurde Ikarus ein zweites Mal in der Zentralschweiz noch lebend geborgen. Er hatte sich über längere Zeit am selben Ort am Boden aufgehalten. Trotz sachkundiger Pflege im schweizerischen Tierpark Goldau, ist Ikarus am 19. Dezember 2009 nicht ganz zweijährig verendet. Der Bleigehalt in seinen Knochen lag bei 58,9mg pro kg Körpergewicht, der Bleigehalt im Blut war mit 0,6 mg/kg vergleichsweise niedrig. Das bereits in den Knochen eingelagerte Blei belegt die chronische Vergiftung durch Blei, für die es keine Heilung gab.
Die Erkenntnisse der Wissenschaft
Mein vormaliger Mitarbeiter im Nationalpark Stilfserjoch Dr. Enrico Bassi aus Bergamo ist Ornithologe. Enrico hat von 2004 bis 2022 die Steinadler und Bartgeier im Nationalpark Stilfserjoch und darüber hinaus beobachtet und wissenschaftlich monitoriert. Und Enrico war einer der Initiatoren und Hauptorganisatoren des 1. nationalen Kongresses zur Problematik der bleihaltigen Munition bei der Jagd. Die vielbeachtete Wissenschaftstagung hat am vergangenen 2. Dezember 2023 im Naturmuseum von Bergamo stattgefunden. Neben italienischen Experten haben dabei mit Deborah Pain von der Cambridge University in England und Niels Kanstrup von der Universität Aarhus in Dänemark zwei international anerkannte Wissenschaftler Referate gehalten. Die Cambridge-Professorin Pain stellte fest, dass in Europa jährlich zwei Millionen Wildvögel durch Vergiftungen mit Blei („Saturnismus“) sterben. Das Blei kommt über die Nahrungskette in die Vogelkörper. Besonders gefährdet sind einerseits Enten- und Gänsevögel und Flamingos, weil sie Bleikügelchen aus Schrottmunition beim Gründeln und Schlappern im Schlick und Schlamm aufnehmen. Und zu den gefährdeten Vogelarten gehören dann auch die Greifvögel und Aasfresser wie eben beispielsweise der Steinadler und die Geier-Arten.
Enrico Bassi präsentierte in seinem Referat die aktuellen Ergebnisse der Bleianalysen bei Todfunden von Steinadlern, Tag- und Nachtgreifen und den drei Geierarten Bartgeier, Mönchsgeier, Gänsegeier: 44 % der 252 untersuchten Todfunde von Steinadlern, Bartgeiern, Mönchsgeiern und Gänsegeiern war bleivergiftet aus Jagdmunition, nachdem sie Aufbrüche von geschossenen Huftieren durch die Nahrungskette aufgenommen und in ihren Körpern angereichert hatten. An der Spitze dieses Negativrekordes liegen die Regionen Friaul-Julisch Venetien, Trentino Südtirol, Abruzzen und Lombardei. Allein in der Lombardei sind 69 % der 45 untersuchten Beutegreifer unter den Vögeln an akuter Bleivergiftung gestorben. Von akuter Bleivergiftung spricht man dann, wenn der Bleispiegel im Blut letale Werte erreicht, von chronischer Bleivergiftung hingegen dann, wenn das Blei auch schon in die Knochenbälkchen eingebaut ist.
Wer unter den Jägern aktiven und präventiven Vogelschutz von gefährdeten Arten betreiben will, verzichtet sowohl bei Schrott- als auch bei Kugelpatronen auf Blei. Niels Kanstrup hat bei seinem Referat in Bergamo ausgeführt, dass in Dänemark schon seit dem Jahr 1996 die Verwendung von Bleischrott und seit 2024 jedwede Verwendung von Bleimunition verboten ist. Bei großen Stichprobenbreiten ist wissenschaftlich schon lange belegt, dass blei-freie Munition die gleiche Tötungseffizienz hat wie Bleimunition. Im Zuge der Regulierung der Rotwilddichten sind im Nationalpark Stilfserjoch zwischen den Jahren 2011 und 2022 über 3.500 Hirsche mit bleifreier Munition erlegt worden. Im Kanton Graubünden wurden im Dreijahreszeitraum 2021-2023 insgesamt 23.000 Huftiere ohne Verwendung von Bleimunition geschossen.
Beim gleichen Kongress in Bergamo hat der Veterinär Dr. Giorgio Fedrizzi vom
Zooprophylaktischen Institut der Regionen Lombardei und Emilia Romagna ausgeführt, dass in Italien für Wildbret, das mit Bleimunition erlegt wurde, nach wie vor kein oberer Grenzwert festgelegt ist und das Fleisch auf dem Markt verkauft werden darf, während es für das Fleisch von Nutztieren schon länger gesetzlich festgeschriebene Grenzwerte gibt.