Kühe an die Leine?

geschrieben von

Aus dem Gerichtssaal - Peter Tappeiner meldet sich mit seiner Rubrik erfreulicherweise zurück. Aus dem Winterschlaf aufgeweckt hat ihn ein Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 29. Jänner 2024.

Kühe an die Leine - unter diesem Titel brachten wir im Frühjahr 2017 (Vinschgerwind 8/2017) einen Beitrag über eine tödliche Kuhattacke auf der Pinnis-Alm im Tiroler Stubaital, bei der im Juli 2014 eine deutsche Urlauberin von Mutterkühen zu Tode getrampelt wurde. Die Staatsanwaltschaft Innsbruck hatte das Strafverfahren wegen fahrlässiger Tötung, das auf Antrag der Hinterbliebenen gegen den Almbauern eingeleitet worden war, zwar eingestellt. Im anschließenden Zivilverfahren, das alle Instanzen durchlief, wurde er jedoch zu Schadenersatz in beträchtlicher Höhe verurteilt.
Ein ähnlicher Fall hat sich im Juli 2027 auf der Kranzhornalm in Erl bei Kufstein zugetragen. Eine 70-jährige Einheimische wollte mit Hund ein Foto mit einer Herde Mutterkühen machen. Diese betrachteten das Kläffen des Hundes jedoch als Angriff auf ihre Jungen, gingen auf die Hundehalterin los und trampelten sie zu Tode. Der Casus beschäftigte ebenfalls die Innsbrucker Gerichte. Das Landesgericht sprach den Angehörigen noch Schadenersatz in Höhe von Euro 200.000 zu Lasten des Almwirts und des Besitzers der Kühe zu. Das Oberlandesgericht Innsbruck hob diese Entscheidung mit einem richtungsweisenden Urteil, das am 29.01.2024 rechtskräftig wurde, allerdings wieder auf. Darin wird festgehalten, dass Weiden und Almflächen nicht zwingend abgezäunt werden müssen, auch weil gerade in Bergregionen offene Weiden üblich sind. Und nachdem mit einem in der Nähe der Alm angebrachten Warnschild auch noch auf die von Mutterkühen ausgehende Gefahr hingewiesen worden war, hatte der Almwirt der ihm als Tierhalter obliegenden Sorgfaltspflicht Genüge getan.
Mit dieser Entscheidung müssten zumindest in Österreich solche und ähnliche Rechtsstreite im Zusammenhang mit Unfällen auf Almweiden seltener werden, zumal auch das Parlament im Jahre 2019 eine Änderung des Paragraphen 1320 des ABGB zur Tierhalterhaftung beschlossen hat. Damit wurde die „erwartbare Eigenverantwortung der Besucher von Almen und Weiden“ im Haftungsrecht verankert. Und unter diesem auch Juristen nicht unbekannten Stichwort muss man solche für die Betroffenen sicher tragischen Vorfälle betrachten, nämlich die Bereitschaft für die Folgen des eigenen Tuns die Verantwortung zu übernehmen und die Schuld nicht immer bei anderen zu suchen. Aber damit stochern wir in ein Wespennest, denn wir berühren ein Verhaltensmuster, das schon der deutsche Dichter Kurt Tucholsky einmal mit Blick auf seine Landsleute so beschrieben hat: „Wenn der Deutsche hinfällt, dann schaut er sich, bevor er aufsteht, erst einmal um, wen er für sein Hinfallen verantwortlich machen kann.“
P.S. Beim Sammeln von Material für diesen Beitrag landete ich auch bei einem Urteil des österreichischen Obersten Gerichtshof (OGH) aus dem Jahre 2015. Wie „putzig“ die Titulierungen der Mitglieder des entscheidenden Senats: Der „Vorsitzende Präsident Hon.-Prof.Dr“...; die beisitzenden Richter „Hofräte“ Dr. ... und ... die ebenfalls beisitzende Richterin „Hofrätin“ Frau Dr. ...!
In diesem Zusammenhang auch eine persönliche Erinnerung: Vor über einem halben Jahrhundert inskribierte ich an der Fakultät für Rechtswissenschaften der Universität Wien. Ab diesem Zeitpunkt konnte ich mich als „stud. iur.“ bezeichnen, nach Ablegung der 1. Staatsprüfung als „cand. iur.“. Hätte ich das Studium an der Uni Wien fortgesetzt, wäre ich nach Bestehen der 2. Staatsprüfung zum „abs. iur.“ avanciert, um dann die akademische Laufbahn mit dem „Doktor beider Rechte“, des Kirchen- und des Bürgerlichen Rechts abzuschließen. Durch den Wechsel an eine italienische Universität wurde daraus am Ende nur ein „einfacher“ Doktor, denn ... „un dottore in legge e un sigaro toscano non si nega a nessuno“.
Peter Tappeiner,
Rechtsanwalt

Gelesen 942 mal

Schreibe einen Kommentar

Make sure you enter all the required information, indicated by an asterisk (*). HTML code is not allowed.

Ausgaben zum Blättern

titel 23-24

titel Vinschgerwind 22-24

titel vinschgerwind 21-24

 sommerwind 2024

 

WINDMAGAZINE

  • Jörg Lederer war ein Holzschnitzer aus Füssen und aus Kaufbeuren. Die Lederer-Werkstatt hat viele Aufträge im Vinschgau umgesetzt. Wer will, kann eine Vinschgautour entlang der Lederer-Werke machen. Beginnend in Partschins.…
    weiterlesen...
  • Die Burgruine Obermontani bei Morter am Eingang ins Martelltal wurde für einen Tag aus ihrem "Dornröschenschlaf" wachgeküsst. von Peter Tscholl Die Akademie Meran, die Gemeinde Latsch und die Bildungsausschüsse Latsch…
    weiterlesen...
  • Vinschger Radgeschichten - Im Vinschgau sitzen alle fest im Sattel: Vom ultraleichten Carbon-Rennrad bis hin zum E-Bike mit Fahrradanhänger, Klapprad, Tandem oder Reisefahrrad. Eine Spurensuche am Vinschger Radweg. von Maria…
    weiterlesen...
  • Kürzlich wurde von den Verantwortlichen im Vintschger Museum in Schluderns das Kooperationsprojekt Obervinschger Museen MU.SUI gestartet. Es handelt sich um den gemeinsamen Auftritt der Museen in Schluderns VUSEUM/Ganglegg, Mals, Taufers…
    weiterlesen...
  • Blau, dunkelgrün, schneeweiß schäumend, türkis oder azur - Wasserwege im Vinschgau von Karin Thöni Wasser ist Quell des Lebens und unser kostbarstes Gut. Aber es wird knapper. Der „Wasserfußabdruck“ jedes…
    weiterlesen...
  • Martin Ohrwalders Liebe zu den Pferden muss ihm wohl in die Wiege gelegt worden sein. Bereits im Alter von drei Jahren schlug er seiner Mutter vor, die Garage in einen…
    weiterlesen...
  • Manfred Haringer ist Sammler, Modellbauer und Heimatforscher. Im letzten Jahr konnte er seinen alten Traum verwirklichen. In seinem Elternhaus in Morter, wo bis Ende des Zweiten Weltkrieges die Dorfschule untergebracht…
    weiterlesen...
  • Die historische Bedeutung von Schlossruinen und ihre Geschichte faszinieren die Menschen. Mit mehreren Revitalisierungsmaßnahmen erwacht derzeit die Ruine Lichtenberg in der Gemeinde Prad am Stilfserjoch zu neuem Leben. von Ludwig…
    weiterlesen...
  • Il grano della Val Venosta era conosciuto e apprezzato in tutto l' impero Austroungalico. Testo e Foto: Gianni Bodini Oggi sono i monotoni ed estesi meleti punteggiati da pali in…
    weiterlesen...
  • Questa importante strada romana attraversava tutta la Val Venosta. Testo e Foto: Gianni Bodini Iniziata da Druso nel 15 a.C., venne completata dall’imperatore Claudio Cesare Augusto. Questa importante via transalpina…
    weiterlesen...
  • von Annelise Albertin Das Val Müstair mit seiner intakten Naturlandschaft und den kulturellen Besonderheiten ist das östlichste Tal der Schweiz. Es liegt eingebettet zwischen dem einzigen Schweizerischen Nationalpark, den „Parc…
    weiterlesen...
  • Eine Symbiose zwischen der Geschichte und dem Lebensraum rund um das kunsthistorische Hotel „Chasa Chalavaina“ im benachbarten Val Müstair von Christine Weithaler Das Hotel Chasa Chalavaina wurde am 13. November…
    weiterlesen...

Sommerwind 2024

zum Blättern

Sommer Magazin - Sommerwind 2024 - Bezirk Vinschgau Südtirol - Wandern, Menschen, Urlaub, Berge, Landschaft, Radfahren, Museen, Wasser, Waale, Unesco, Tourismus

wanderfueher 2024 cover

zum Blättern

Wanderführer 2024 - Bezirk Vinschgau Südtirol - Traumhafte Touren Bergtouren Wanderungen Höhenwege

 

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.