Bergkirche Marul, Großes Walsertal im „Ländle“ (Vorarlberg), 27. August 2023:
Im Rahmen des Walserherbstes - des „steilsten Festivals in den Bergen“- rezitierte die Schauspielerin Helga Pedross aus Kortsch aus der vom Ultner Blasius Marsoner ins Deutsche übertragenen Divina Commedia Dantes.
Helga Pedross hat sich in Berlin ausgebildet und hat dort ihre Schauspielkarriere begonnen, weitere Stationen waren das Theater Basel, Freiburg, Graz, Luzern. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Bludenz und arbeitet u. a. mit walk-tanz.com: „Am Zug“ für Feldkirch 800, „Hannah Arendt ohne Geländer und im Stück „Nur nachts“ von Sybille Berg. Es gibt auch eine Zusammenarbeit mit dem Theater die-heroldfliri.at: im Stück „DI-VER*SE und bei „Aberland“ von Gertraud Klemm. Außerdem ist sie Sprechtrainerin beim ORF Vorarlberg.
Ihr Vortrag in Marul war ein Erlebnis! Etwa 120 Personen füllten die Kirche bis auf den letzten Platz und erwarteten sich eine - wenn auch anspruchsvolle - Lesung. Gelesen wurde aber nicht, vielmehr rezitierte Frau Pedross fast 300 vierzeilige Strophen der Commedia brillant aus dem Gedächtnis: 2 Kapitel aus dem Inferno, 2 aus dem Purgatorio und 2 aus dem Paradiso; eine gigantische Leistung! Und es kam dabei ihr dramaturgisches Talent voll zur Geltung; ihre nuancenreiche, modulierende Sprache ließ die in der Schrift gefangenen Verse aufleben zu spannenden Bildern. Dazu musste sie sich tief in das Werk hineingedacht haben, hineingehört in Marsoners musikalische Nachdichtung. Er selber, der Narziss, hatte sich stets von seinen Besuchern gewünscht, dass sie ihm aus seinen Gedichten vorlesen, dazu kam es aber selten - und wenn, so stets zu seiner Unzufriedenheit.
Was noch zum gelungenen Vortrag in Marul beitrug, waren das sakrale Ambiente und die musikalischen Einlagen von Heidelinde Gratzl aus Wien in den Pausen, mit ihren eigenen, einfühlsamen Musikbildern auf dem Akkordeon. Bühnen, wie sie das kleine „Ländle“ den Südtirolern Helga Pedross und Blasius Marsoner bereit hielt, gäbe es in unserem wohlhabenden Land zur Genüge! Na also!
Zu Blasius Marsoner (1924 – 1991): er war Poet, Denker, Übersetzer/Nachdichter der Divina Commedia Dantes - ein hochgebildeter Autodidakt; gelebt hat er in bescheidensten Verhältnissen zurückgezogen
im Bauerndorf St. Pankraz in Ulten. Mehr als 10 Jahre widmete er intensiv der Übersetzung, entstanden ist ein titanisches Werk aus geschätzten 4500 Strophen zu je 4 Zeilen im vierfüßigen Rhythmus in der Reimordnung aabb; aber auch Lyrik und Philosophisches; publiziert ist zu seinen Lebzeiten, wie auch nachher, fast nichts. Humanist und Mystiker, wenn auch kein unaufgeklärter, war er ein früher, vehement mahnender, unbequemer Umweltschützer - und Verteidiger der Künste.
Im schönen Vorwort zur eigenen Dante-Übersetzung schrieb er u. a.: „Allen anderen Zweigen der Kunst stehen gewaltigere Mittel zur Verfügung: Die Wucht der Architektur, die Linienstärke der Skulptur; die strahlende Farbenwelt dem Gemälde; der Töne Schwingungsbereiche der Musik. Schlicht ist aber das gefeilte, das geformte und in Zucht gebrachte Wort, dieses sich verflüchtigende Ding der Luft. Und doch, aus dem Herzen kommend, wie findet es zum Herzen! Gewalt ist ihm gegeben, unermessliche Gewalt den Worten des Alltags, und unermessliche Gewalt den Dichterworten…“
Paul Preims, Anna Nigg