Latsch
Den Himmel und die Hölle der Liebe malt der Autor in den Farben der Grausamkeit - grausam genug, dass sich der Protagonist in Joseph Zoderers neuem Roman zwischen zwei Frauen permanent „glückszermürbt“ fühlen muss. Die Erfüllung schwankt zwischen Selma als der tragenden Säule von Richards Leben und Ursula, dem Schmetterling. Mit Selma beginnt Richard am konkreten Lebensglück zu bauen, mit Ursula lässt er das Drüberhinausglück geschehen. Richard, Reporter bei einem Radiosender, ist also schwer hin- und hergerissen zwischen der geerdeten, sicher abgesteckten Welt Selmas und der bunten, offenen Ursulas. Die Liebe wird zum Problem, sie will nicht gedeihen, nicht im Haus, das Richard mit Selma baut, „als Start hinein in den Sinn“, und nicht unter den lockenden Rufen Ursulas, in Berlin, wo das Leben pulsiert und von wo Richard vom Mauerfall berichtet, und auch nicht in Barcelona, wo Richard vor lauter Verliebtheit „zu verblöden“ beginnt.
Subtil ist die Grausamkeit, deren Farben Joseph Zoderer beschreibt, fassbarer ist die brodelnde Vitalität, die freilich von einer galant feierlichen Selbstzerfleischung ständig kontrolliert und gebremst wird. Richard lebt das Leben in einer heftigen Gefühlsvölle, eingebettet in die melancholische, milde Ambivalenz von gleichzeitigem Klagen und Genießen.
Die eingeschobenen, kursiv gedruckten Texte fungieren als Monologe über die tieferen Schichten des Bewusstseins, als Selbsterkenntnis, als Proben dazu, „eindringen zu können in den Sinn der Dinge“. Der Autor webt in einer ausgefeilten, den Leser bezirzenden Sprache Motive und Metaphern ineinander – vom blauen Himmel und der Sorglosigkeit, vom Hausbauen und Gefestigtsein, vom Aufbrechen und Aufsspielsetzen. Obwohl Zoderer auf die kraftvollen Erfahrungen der Sinne setzt, nutzt er sie wenig für die Entfaltung der Figuren: Man möchte Selma besser kennen lernen und die braven Buben, immerhin zwei Heranwachsende am Ende des 20. Jahrhunderts, und Richard und Ursula über das Sich- in-den Glückswunden-Verlieren hinaus. Richards reifes Leben also besteht vorwiegend im schuldgefühligen Lustreisen, und wenn Richard auf S. 240 „sich auf die Nerven“ geht, schwappt das auch auf den Leser über.
Die Farben der Grausamkeit, Haymon, 2011, 334 S.
Claudia Theiner