Aus dem Gerichtssaal - Die Geschichte reicht zurück bis in die Anfänge meiner beruflichen Karriere. Die Namen der Beteiligten müssen aus Gründen der Schweigepflicht und des Datenschutzes wie üblich unerwähnt bleiben. Ludmilla ist daher ein Phantasiename. Der Ort des Geschehens war ein kleines Dorf im oberen Vinschgau. Dort lebte Ludmilla mit ihrem Mann. Sie muss ein wahrer Drachen gewesen sein. Außerdem hatte sie es, wie man damals zu sagen pflegte, „mit den Nerven“. Das war jedenfalls die Veranlassung, weshalb der Amtsarzt, wohl auch unter Mitwirkung des Mannes, ihre Einlieferung in die Nervenheilanstalt von Pergine verfügte. Damit glaubte der Mann, seine Beziehungsprobleme gelöst zu haben. Denn die Scheidung gab es damals noch nicht. Die wurde in Italien erst im Jahre 1970 eingeführt und dann auch noch unter erschwerten Bedingungen. Man musste später sogar zittern, ob sie nicht dem Fallbeil eines Referendums zum Opfer fallen würde. Denn die katholische Kirche und Teile der Democrazia Cristiana angeführt vom Langzeitpolitiker und bei jeder der vielen Regierungskrisen als obligater „Retter in der Not“ auftauchenden Amintore Fanfani, was ihm den Spitznamen „Amintore Rieccolo“ eintrug, machten gegen die „Legge Fortuna-Baslini“ mobil. Nun, der Rest ist Geschichte: das Volksbegehren auf Abschaffung der Scheidung erhielt keine Mehrheit, sogar Südtirol votierte für deren Beibehaltung.
Doch zurück zur Frau Ludmilla. Die verbrachte zwar einige Jahre in Pergine, wurde dann aber als geheilt entlassen. Und damit ging für deren Mann die Hölle erst richtig los. Denn ein Nachbar nahm sich des Falles Ludmilla an und goss kräftig Öl ins Feuer, mit dem Ergebnis, dass die Frau ihren Mann enterbte und an dessen Stelle den Nachbarn als Universalerben einsetzte. Ludmilla verstarb kurze Zeit nach dieser Testamentserrichtung. Der Mann bekam bald darauf Post vom Anwalt des Nachbarn: Er möchte das Haus verlassen, denn Ludmilla hatte ihn damit bedacht. Es folgte ein jahrelanger Rechtsstreit, in dem das Testament wegen Unzurechnungsfähigkeit der Verfasserin angefochten wurde. Die eingeholten Beweise waren alles andere als eindeutig, was den Richter schließlich veranlasste, die Klage auf Annullierung der letztwilligen Verfügung abzuweisen: Die Frau Ludmilla war aus der Nervenheilanstalt als geheilt entlassen worden, somit könne man davon ausgehen, dass sie das Testament in einem lichten Augenblick verfasst hatte. Ein Glück, dass in der Klage ein Hilfsantrag eingebaut war, nämlich der auf Zuerkennung des Pflichtteilsanspruchs für den Ehemann der Frau Ludmilla.
Peter Tappeiner, Rechtsanwalt
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