Schlanders/Vinschgau/Südtirol
Vinschgerwind: Was ist ein Haiku, Frau Gorfer?
Helga Gorfer: Haiku ist eine japanische Gedichtform, die heute weltweit verbreitet ist. Es ist die kürzeste Gedichtform der Literatur und besteht in der Regel aus drei Zeilen, in deutscher Sprache in 5-7-5 oder weniger Silben verfasst. In seiner traditionellsten Form bezieht es sich auf die Natur und die jeweiligen Jahreszeiten. Vorwiegend in der Gegenwart verfasst, unterliegt es weiteren, sehr strengen Regeln.
Vinschgerwind: Wie sind Sie zu dieser besonderen Dichtform des Haiku gekommen?
Helga Gorfer: Ich habe immer schon gern gedichtet. 1985 hat mich ein deutscher Literaturkritiker darauf hingewiesen, dass meine Gedichte den japanischen Haiku sehr ähnlich wären. Ich wusste damals nicht, was ein Haiku ist und habe mich ein wenig eingelesen. Dem folgte dann allerdings nur eine kurze Experimentierphase. Im Nachhinein betrachtet, muss ich zugeben, nicht annähernd verstanden zu haben, um was es geht. Während des Corona-Lockdowns dann habe ich das Dichten – angeregt durch eine Aktion der Sprachstelle im Südtiroler Kulturinstitut - wieder für mich entdeckt. Dadurch ist auch der erste Kontakt mit dem Südtiroler Haikukreis entstanden.
Vinschgerwind: Sind beim Haikukreis Südtirol die Mitglieder im ganzen Land verstreut?
Helga Gorfer: Die Gruppe ist noch klein und Mitglieder findet man in Bozen, im Eisacktal und im Vinschgau. Es gibt auch Fernmitglieder aus Deutschland. Mitglieder sind jene, die beim monatlichen Kukai mitmachen, also eine Haiku-Auswahl an den künstlerischen Leiter schicken, die dann gegenseitig bewertet, kommentiert und besprochen wird. Seit kurzem „treffen“ wir uns auch regelmäßig beim Zoom-Meeting. Ein gutes Kommunikationsmittel, weil wir ja weit auseinander wohnen.
Vinschgerwind: Der Vinschger Wind veröffentlicht seit einiger Zeit das „Haiku des Monats. Zeigen die Vinschger:innen Interesse?
Helga Gorfer: Es besteht Interesse und Nachfrage, aber auch sehr viel Aufklärungsbedarf. Nur wenige wissen, was ein Haiku ist, und das Üben und das Verständnis für dieses Kurzgedicht wird meistens unterschätzt. Unsere traditionell-moderne Dichtkunst erfordert auch Verständnis für die Denk- und Lebensweise der Japaner:innen, was eine zusätzliche Herausforderung für mich und die anderen Mitglieder darstellt.
Als Südtiroler Haikukreis sind wir sehr dankbar, diese japanische Kurzlyrik im Vinschger Wind veröffentlichen dürfen und würden uns über motivierten Zuwachs freuen.
Interview: Erwin Bernhart