Vinschgau - Die Corona-Pandemie stellte die Seniorenwohnheime im Vinschgau vor große Herausforderungen. Man hat in den Heimen Großartiges geleistet und den Bewohnerinnen und Bewohnern einen lebenswerten Alltag geschaffen. Gemeinsam. Vor dem Hintergrund, dass der Schutz von besonders verletzbaren Personen Priorität hat. Mit Ministerpräsident Mario Draghis Impfzwang zur Berufsausübung für bestimmte Berufsbilder stehen die Heime nun vor einer weiteren Herausforderung.
von Angelika Ploner
Es ist momentan sehr schwierig“, fasst es Christof Tumler zusammen. Der Direktor des Bürgerheimes Schlanders steht jenem Heim im Vinschgau vor, das mit Draghis Impfzwang wahrscheinlich am meisten MitarbeiterInnen verlieren wird. 15 Ungeimpfte waren es im Bürgerheim Schlanders bis vor kurzem. „Fünf ungeimpfte MitarbeiterInnen haben mittlerweile gekündigt“, sagt Tumler. Sie suchen sich eine neue Arbeitsstelle - sind der Suspendierung praktisch zuvorgekommen. Unterm Strich bleiben mit großer Wahrscheinlichkeit acht oder neun ungeimpfte MitarbeiterInnen übrig. Über die genauen Zahlen schweigen sich die Direktorinnen und Direktoren der Vinschger Seniorenheime aus. Auch weil die Zahlen - offiziell - inoffizielle sind. Fakt ist: Das Bürgerheim Schlanders trifft der Impfzwang hart. „Es handelt sich nicht einfach um einen Impfzwang, sondern um einen Impfzwang zur Berufsausübung“, sagt Iris Cagalli, die Direktorin des Annenbergheimes, des Seniorenwohnheimes in Latsch zum Vinschgerwind. Die betroffenen Berufsbilder sind genau definiert worden: SozialbetreuerInnen, PflegehelferInnen, KrankenpflegerInnen und Reha-MitarbeiterInnen, die in Strukturen arbeiten, unterliegen dem Impfzwang zur Berufsausübung. Die ambulante Pflege - beispielsweise der Hauspflegedienst - ist davon ausgenommen.
Die Suspendierungen. Bislang wurde in den Vinschger Seniorenwohnheimen noch niemand suspendiert (Stand, 05. Juli 2021). „Wir warten jeden Tag auf die Mitteilung des Südtiroler Sanitätsbetriebes“, sagt Christof Tumler. Seit April werden keine Bewohnerinnen oder Bewohner mehr in das Bürgerheim Schlanders aufgenommen. Ansuchen liegen natürlich auf dem Tisch des Direktors. Aufgrund der schwierigen Situation musste man im Bürgerheim reagieren. Der Wohnbereich 1 wurde geschlossen, die Bewohnerinnen und Bewohner auf andere Stöcke verteilt. Am 15. eines jeden Monats steht normalerweise der Dienstplan für den nächsten Monat. Derzeit gibt es nur provisorische Dienstpläne. Die geimpften MitarbeiterInnen müssen - sollten die Suspendierungen greifen - einspringen. Urlaube sind derzeit nicht möglich. „Das ist natürlich eine aufreibende Situation“, sagt Tumler.
Ein Aufnahmestopp herrscht auch im Seniorenwohnheim in Partschins. „Wir sind im November 2019 in das neue Heim gezogen und könnenn noch nie in Vollbetrieb arbeiten“, sagt Jürgen Pircher, der Direktor auf Nachfrage vom Vinschgerwind. „Ich habe 20 leere Zimmer hier.“ Priorität im Seniorenwohnheim in Partschins hat, den Betrieb in seiner derzeitigen Form den Sommer über zu gewährleisten. Zwischen zwei und vier MitarbeiterInnen sind wahrscheinlich von den Suspendierungen betroffen. „Noch habe ich keine Mitteilung vom Sanitätsbetrieb (Stand: 05. Juli 2021) für eine Suspendierung erhalten“, sagt Pircher, „aber es wäre für alle hilfreich, wenn endlich Klarheit herrschen würde.“
Die Suspendierungen beruhen auf einem Gesetzesdekret von Ministerpräsident Mario Draghi. Vor wenigen Monaten erhielten alle Arbeitgeber im Sanitäts- und Sozialwesen - darunter naturgemäß auch die Seniorenwohnheime - vom Südtiroler Sanitätsbetrieb die Aufforderung, es allen MitarbeiterInnen der betroffenen Berufsbilder mitzuteilen. Dem kamen die Heime nach. Der Südtiroler Sanitätsbetrieb machte daraufhin die Feststellung, ob die MitarbeiterInnen geimpft sind oder nicht. Auf dieser Grundlage wurden die ungeimpften MitarbeiterInnen eingeladen, ihre Gründe darzulegen und Stellung zu beziehen. Die Stellungnahmen hat eine eigens dafür eingerichtete Stelle im Südtiroler Sanitätsbetrieb begutachtet und - nach Prüfung und bei Ablehnung - verpflichtetende Impftermine festgelegt und mitgeteilt. Dieser finalen Impfeinladung sollen nun die Suspendierungen folgen.
Die Folgen. Ein suspendierter Mitarbeiter darf bis zum 31. Dezember keinen anderen Beruf ausüben, der Gehalt wird ausgesetzt, und er ist weder sozial- noch rentenversichert. Christof Tumler bestätigt: „Ein Suspendierter hat kein Anrecht auf Gehalt oder Urlaub und ist in dieser Zeit weder sozial- noch rentenversichert.“ Und: „Er darf sich keine andere Arbeit suchen, denn er bleibt Angestellter im jeweiligen Heim.“ Die Frist der Suspendierungen endet am 31.12.2021. Lässt sich ein suspendierter Mitarbeiter impfen, so kann er ab dem 15. Tag nach der Erstimpfung regulär seinen Dienst antreten. „Das Gesetz sieht auch vor, die ungeimpften MitarbeiterInnen in ein anderes - vom Impfzwang ausgenommenes - Berufsbild überzustellen“, sagt Iris Cagalli. Aber: „Das wird sehr, sehr schwierig, denn wir haben die anderen Bereiche alle besetzt.“ Das betonen unisono alle Direktorinnen und Direktoren der Vinschger Seniorenwohnheime. Ausweichangebote wird es demnach kaum oder gar nicht geben. Außerdem ist völlig unklar, was nach dem 31. Dezember 2021 passiert. Sicher ist: Auch nach diesem Datum wird es das Corona-Virus samt Mutationen noch geben.
Emotionaler Ausnahmezustand. „Es ist eine aufreibende und zermürbende Situation“, sagt eine Pflegerin zum Vinschgerwind. Der emotionale Druck ist hoch.
„Wir waren vor einem Jahr noch die Helden, alle haben uns beklatscht in den Medien und jetzt sind wir im Kreuzfeuer der Kritik“, sagt eine andere. Viele sind enttäuscht, andere fühlen sich vor den Kopf gestoßen, verstehen können den Impfzwang zur Berufsausübung die wenigsten. Es ist ein Spannungsfeld in dem sich die MitarbeiterInnen der Seniorenwohnheime bewegen. Ein Spannungsfeld zwischen persönlichen Bedürfnissen und gesellschaftlichem Druck, zwischen Sorgen und Ängsten und sozialer Notwendigkeit. „Es sind alle Meinungen willkommen, wichtig ist nur, dass man am Ende einen Konsens findet“, sagt Iris Cagalli.
Wir sind ein Spiegelbild der Gesellschaft. Man muss Ängste und Sorgen zugestehen und am Ende doch zusammenschauen. Wir sind nun einmal öffentliche Angestellte und als solche verpflichtet uns an die Gesetze zu halten.
Direktorin Iris Cagalli
Im Seniorenwohnheim in Latsch hat man während der Corona-Pandemie zusätzliches Personal eingestellt, um die Tagesgestaltung und vor allem die Bewegung im Garten gewährleisten zu können. Eine verpflichtende Fortbildung mit fünf Referenten darunter Professor Bernd Gänsbacher, wo Zweifel, Druck und fehlende Information Thema waren, sollten den MitarbeiterInnen jene Basis geben, auf der eine fundierte Entscheidung zur Covid-Impfung getroffen werden kann und soll. „Wir haben bewusst ganz stark auf Information gesetzt“, sagt Cagalli. Aber man hatte auch Glück. Denn „nicht einmal eine Handvoll MitarbeiterInnen sind von der Suspendierung betroffen.“ Aber: „Mir tut es um jede Mitarbeiterin leid, die wir verlieren.“ Denn in der Pflege und in der Betreuung ist der Arbeitsmarkt extrem schwierig. Vor diesem Hintergrund wiegt Draghis Impfzwang zur Berufsausübung besonders schwer. Denn es trifft einen Bereich, in dem seit vielen Jahren ein chronischer Mitarbeitermangel herrscht.
Die Auswirkungen. „Ich muss sagen wir waren in der glücklichen Lage, dass ein Großteil der vom Impfzwang Betroffenen schon vor dessen In-Kraft-Treten geimpft war“, sagt Sibille Tschenett. Und: „Einige haben sich dann für die Impfung entschieden, weil sie bereit waren, für die Ausübung ihres Berufs diese Auflage mitzutragen.“ Tschenett ist Direktorin des Alten- und Pflegeheims Schluderns und des Wohn- und Pflegeheims St. Sisinius in Laas. Keine handvoll MitarbeiterInnen sind wahrscheinlich von der Suspendierung betroffen. „Wir sind in der Lage die möglichen Suspendierungen aufzufangen“, sagt Tschenett.
Dasselbe Bild zeichnet sich im Seniorenwohnheim in Naturns ab. Auch dort stehen weniger als fünf MitarbeiterInnen vor der Suspendierung. „Wir stehen nicht schlecht da“, sagt der Direktor Stephan Rinner. Kündigung habe man nur eine und diese nicht ausschließlich wegen des Impfobligatoriums erhalten. Aber man habe auch im Seniorenwohnheim in Naturns eine abwartende Haltung bezüglich Neuaufnahmen eingenommen. „Bevor ich nicht das Personal abgesichert hatte, konnten wir keine neuen Heimaufnahmen zusagen. Ich musste sicher sein, dass wir das alles auch personell stemmen können.“ Die Dienst- und Urlaubsplanung kann man im Seniorenwohnheim in Naturns unter relativ normalen Umständen umsetzen.
Im Martinsheim Mals hingegen konnte man bis dato jede Anfrage um Heimaufnahme bedienen. Auch in der Kurzzeitpflege gab es keinen Stop. „Der organisatorische Aufwand ist zwar größer, aber Stop hatten wird keinen“, sagt Konrad Raffeiner, der Präsident des Verwaltungsrates, der die Direktorin Roswitha Rinner urlaubsbedingt vertritt. „Von den Suspendierungen betroffen dürften bei uns schätzungsweise weniger als 5 Prozent sein“, sagt Raffeiner auf Nachfrage vom Vinschgerwind. Bei über 100 Mitarbeitern im Martinsheim macht das zwischen 4 - 5 MitarbeiterInnen aus. „Wir werden die Situation schaffen“, sagt Raffeiner. Und: „Es ist - sagen wir so - ‚ Dura lex sed lex‘, also hartes Gesetz, aber Gesetz. Und das haben wir umzusetzen, mit allen Konsequenzen. Das Ganze ist keine komfortable Situation. Nicht für die Mitarbeiter. Nicht für die Bewohner. Und letztlich nicht für uns alle.“