Rosl war elf Jahre alt als ihre schwangere Mutter 1949 an Tuberkulose erkrankte und zur längeren Kur ins Sanatorium nach Brixen kam, wo sie ihr achtes Kind zur Welt brachte.
Es durfte nicht bei der Mutter bleiben.
von Magdalena Dietl Sapelza
Noch heute hat Rosl das Bild vor Augen, wie ihr Vater mit dem drei Tage alten Baby im Arm heimkam. Er hatte es in Brixen abgeholt und mit dem Zug nach Laas gebracht. Der Vater unterrichtete als Lehrer und musste nun auch den Haushalt bewältigen und das Neugeborene versorgen. Die elfjährige Rosl war die älteste der Kinder und half nach Kräften mit. „Miar hobm aa guate Frauen kopp, dia inz beigstondn sein“, erinnert sich Rosl. Eine davon war eine junge Frau aus Tanas, die wegen Heimweh das Kloster in Algund verlassen und in der Lehrerfamilie Unterschlupf gefunden hatte. „Di Tresl isch pa inz bliebn, bis di Mama kemman isch,“, erzählt sie. Rosl wäre gerne Krankenschwester geworden, doch an eine Ausbildung war nicht zu denken. Sie musste ihrer Mutter beistehen. Hie und da verdiente sie sich in den Gasthäusern des Ortes ein Taschengeld. Sie war geschickt und immer herzlich willkommen. Da der Lehrergehalt sehr dürftig war, hielt die Familie ein Schwein und mehrere Ziegen. Jeden Sommer half der Vater beim Kornschneiden in Tanas und Allitz, wo er dafür Lebensmittel erhielt. Rosl begleitete ihn. In aller Herrgottsfrüh hob sie Korn auf, band Garben. Später stapelte sie diese auf den Leiterwagen. „Iatz konnsch heiratn, weila guat Fuader lodn konnsch“, das habe ihr ein Bauer einmal zugerufen. Rosl verdiente sich etwas Geld beim Obsthändler Telser in Laas, beim Krautstechen in den Eyrser Mösern, in der Tankstelle Kuntner in Schluderns. Im „Gasthof Reschenscheidegg“ trat sie ihre erste Saisonstelle als Kellnerin an und wechselte dann zum „Hasenwirt“ nach Schlanders. Dort lernte sie Konrad Pinzger (Jg. 1937) aus Vetzan kennen, der sie 1962 in der Laaser Lourdeskirche zum Altar führte. Das Paar zog in sein Elternhaus. Kurz darauf bauten sich Rosl und Konrad in der Nähe ein eigenes Haus mit Gästezimmern, finanziert mit einem Kredit. Ihre drei Kinder füllten das Haus schon bald mit Leben, genauso wie die Gäste, denen Rosl „Zimmer mit Frühstück“ anbot. „Di Leit sein aus alle Herren Länder kemmen, aus Deutschland, Holland, der Schweiz, aus Italien. Sorgfältig und in beeindruckender Schönschrift führte sie die Gästebücher. „I konn heint nou nochlesn, wer olz Urlaub gmocht hot“, betont sie. Denn sie hat die Bücher aufbewahrt. Diese sind Zeugen einer Epoche, in der sich der Tourismus im Tal langsam entwickelt hat. Die Gäste genossen Rosls Herzlichkeit und den Familienanschluss. Sie durften sich wie zu Hause fühlen und kamen Jahr für Jahr wieder. Es gab Wochen, in denen so viele Gäste anklopften, dass die Kinder sogar ihre Zimmer räumen mussten. Sie schliefen auf Matten im Elternzimmer. „Gfolln hotts ihna nit, obr miar hobm olz gnutzt, um die Schuldn oo zu zohln“, erklärt sie. Auch Konrad half tatkräftig mit, den Kredit zu tilgen, zuerst als selbständiger Bodenleger, dann als Arbeiter in den Firmen Polyfaser und Esterglas. In den 1970er Jahren erkrankte er schwer. Es folgte eine belastende Zeit für die Familie. Konrad starb 1981.
In der 1990er Jahren gab Rosl die Frühstückspension auf. Eine neue Aufgabe fand sie im „Vinschgerhof“, wo sie als „Tant Rosl“ von den Gästen aus nah und fern geschätzt wurde.
Auch sie blieb nicht von einer schweren Krankheit verschont. Doch sie kämpfte sich gesund. Kraft schöpfte sie aus ihrem Glauben und aus ihrer harmonischen Familiengemeinschaft. Kraft geben ihr seit Jahren auch die jährlichen Wallfahrten mit Kindern, Schwieger- und Enkelkindern. Weißenstein war oft das Ziel. „Pa inz isches Traditon, dass miar selm mitnond picknickn“, erklärt sie. Gerne zeigt Rosl die Fotobücher, in denen die Wallfahrten festgehalten sind. Besonders stolz ist sie auf die Geburtstagsüberraschung ihrer Kinder zum 80. Geburtstag, und zwar auf die große - der Zahl 80 nachempfundenen - Collage mit Fotos aus ihrem Leben. Für die Zuneigungen dankt sie ihren Lieben oft mit bunten Wollsocken. Denn das Stricken ist ihre große Leidenschaft. „Iatz isch dr kloane Franzl droun“, verrät sie. „Denn im Februar bin i Guggnandl gwortn“.
Dankbar ist sie, dass es ihren Familienmitgliedern gut geht, und dass sie alle gesund und munter um sich hat, anders als einst ihre Mutter.