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Dienstag, 05 Februar 2013 00:00

Durchfahrtsdorf Eyrs. Eyrs im Durchzug – Eyrs in der Zugluft?

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Eyrs

AltbauAltbautenAltbau1Kein Dorf im Vinschgau wird derart von der Peripherie (Umfahrungstraße) dominiert wie Eyrs. Die Peripherie nach amerikanischem Vorbild einer Shoppingmall ist zum Dorf geworden. Damit repräsentiert Eyrs eher eine Autogesellschaft, welche ohne Dorf(gemeinschaft) auskommt und sich nach dem Shopping auf ein Bier an der Tankstelle trifft. Ist dieses Planen für Maschinen und gegen Menschen unsere Zukunft? Wie Macht und Gewalt auf uns wirken und wie konstruktive, aufbauende Kräfte agieren, das lässt sich in Eyrs gut beobachten.

Ich bin fasziniert vom Dorfnamen Eyrs. Sein Klang ist schön, warm und deutet auf etwas Fernes, Fremdes, das erlöscht ist, hin. Er erinnert mich an vorzeitige Mythen. Aber die Realität ist anders. Ich befinde mich am Dorfrand, wo die längliche, geradlinige Hektik des Transitverkehrs auf der Achse einer Schnellstraße, als Shoppingmall für Autofahrer eingerichtet wurde. Ich kaufe sozusagen im Durchzug, in der Zugluft ein. Ich kann mich dort mit mehr oder minder notwendigen Dingen und Lebensmitteln versorgen, kann mit Lust „mein will und muss haben“ ausleben, kann investieren und mich ausstatten, genau dort, wo Fußgänger als autolose Menschen keine Existenzberechtigung haben, weil sie kaum zum geplanten Konsumverhalten (von und für Autofahrer) beitragen. Mit dem Auto kann ich grenzenlos einkaufen, zu Fuß bin ich enorm eingeschränkt, ich kann nicht einmal eine Kiste Bier mitnehmen. Ich bewege mich als Autobesitzer wie selbstverständlich in dieser Durchfahrt, wie im Durchlauf meines Lebens. Ich bewege mich sprachlich und gedanklich in erstrebenswerten Zonen von Einkaufs- über Bau- Industrie- und Wohnbauzonen. Die Bezeichnung „Zone“ erleichtert den Machern das Geschäft, es berechtigt sie, Natur- und Kulturgut bedenken- und gedankenlos niederzumetzeln, ohne sich im Klaren zu werden, wie schrecklich unmenschlich dieses Wort ist, wie gewaltig militärisch besetzt, wie so vieles im Planungsbereich.

DorfDorflebenDorfansichtNun gibt es aber diese Parallelwelt am Dorfrand schon seit geraumer Zeit. Geschäfte und Lagerhallen werden überall als Konsumwelt entlang der rechten und entlang der linken Straßenseite errichtet, sozusagen als gerade Schnellstrecke ohne Ziel, es sei denn Konsum ist das Ziel, ein Ziel mit wenig Sinn, doch viel baulichem Aufwand. - Wie viel Raum verschlingt der Personenwagen, wie viel Raum der Dorfbewohner?* Das neue Dorf wird für das Auto entworfen und errichtet. Das alte Dorf wurde für den Menschen gebaut.
Um das Zerstörerische und das Aufbauende an Eyrs zu begreifen, empfehle ich zwei Übungen. Gehen Sie zu Fuß die Umfahrungsstraße von Laas aus kommend bis zur Tankstelle Eyrs entlang. Sie werden bemerken, dieser Gang schlaucht Sie, die Abgase und der Lärm verursachen Stress, begleitet von einer Daueranspannung, sich ständig an den Verkehr anpassen zu müssen und nicht umgekehrt. Vorbei an Lager- und Geschäftsleichen, vorbei an der Bank, dabei wundert man sich, warum sich eine Bank nicht im Zentrum ansiedelt, sondern an der Peripherie.
Dann spazieren Sie über den Dorfeingang (von Laas aus kommend) ins Zentrum. Dort gibt es keine Lebensgefahr, dort ist es einfach viel, viel schöner. Es ist ein Augenschmaus für mich durch die kleinen Gassen zu gehen. Hier darf ich falsche Schritte machen, ohne gleich dem Tod ausgesetzt zu sein. Die alten Häuser erzählen ihre Geschichten. Ich begegne Katzen, Hunden, Hühnern. Ich kann mich, wenn ich will, auf ein Gespräch mit den Bewohnern einlassen oder mich ausruhen, mich irgendwo niedersetzen und warten. Die Leute huschen nicht vorbei, sie sind bereit zu reden. Ich halte sie nicht auf, sie fühlen sich nicht überrumpelt, ich muss mich nicht entschuldigen, dass ich ihnen ihre Zeit stehle. Sie freuen sich auf eine Begegnung, auf ein Gespräch. Auf der Dorfseite fühle ich mich als Fußgänger wohl, ausgestattet mit allen Rechten und Wegen, auf zwei Beinen gehend weder fahrend noch parkend. Es gibt hier Plätze für Menschen, keine Parkplätze, und es gibt Zeiträume, Orte mit Stimmung. Zwar verstellen die Autos manchmal den Weg, doch hier muss das Auto fürchten, dass ich einen Kratzer in seinen Lackmantel mache, auf der Schnellstraße jedoch habe ich Angst, dass mich ein Auto überfährt.
Rund und mittig die langsame Seite, das Dorfinnere, ein zentrierter Versuch, der sich im Laufe der Jahre so wie viele andere Dörfer zerfranst hat und jetzt dahinweicht und auseinanderfließt wie ein zerronnenes Bachbett im Sog des letzten Jahrzehnts und immer mehr abnimmt gegenüber der Zonenwelt mit ihren konzeptlosen Wohnanlagen und der hohlen Geschäftswelt am Dorfrand. Wie kann ich diesem (dörflich-baulichen) Gemeinschaftsverlust entgegen wirken?
TankstelleUmfahrung3Ein Gemeinschaftsgefühl herzustellen, ist relativ einfach, es bedarf lediglich einiger Menschen, die ähnlich denken. Früher war das Dorf eine Ansammlung von Menschen, wo ein paar ihre Ideen- und Machtverhältnisse untereinander teilten und der Rest der Bevölkerung sich fügen musste. Heute geht das nicht mehr. Heute gibt es viele, welche sich um einen Wert drängen: dem des individuellen Profits, um sich dann, wie in Eyrs, auf einem enormen Haufen Land zu tummeln. Doch ist das in Zukunft noch machbar, will man nicht alles (an Altbauten und Land) verlieren, was das Wesen eines Dorfes und die Identität seiner Bewohner und Bewohnerinnen ausmacht? Die finanziellen und energetischen Grenzen sind nicht nur beim Autofahren schnell gesetzt. Man sucht handfeste Alternativen, keine Utopien, welche sich auch umsetzen lassen.

Eine Kooperation ist wesentlich schwieriger: kooperieren heißt, mit Menschen zurechtzukommen, die in der Regel anders denken. Wie kann man solche Gegensätze unter einen Hut bringen? Ganz einfach, sagen die Experten. Das Einfache und das Schwierige kommen zusammen und probieren eine neue Art aus, die weder leistungs- noch gewinnorientiert ist, sondern auf das Gemeinwohl abzielt. Wie sieht das im Falle von Eyrs aus? Man versteht die Arbeit nicht mehr als individuelle Leistung zur Herstellung und Festigung eines individuellen Glücks (z.B. jeder braucht sein Auto) sondern als Teil einer kollektiven Leistung, an deren Ende das kollektive Glück steht (z.B. öffentliche Verkehrsmittel ausbauen, zentrumsnahe Geschäfte fördern, Altbauten kaufen und renovieren). 
In Eyrs schlummert riesiges Potential. Unabhängig von der Gemeinde Laas, soll das Dorf Eyrs seine eigenen spezifischen Werte pflegen. Das ist seine Verantwortung. Mit der Technik kann man das Dorfleben aufbauen, die Technik darf jedoch nur Hilfe sein, niemals zum Selbstzweck werden. Der Sinn des Bauens besteht nicht darin, Plätze und Straßen für Autos zu schaffen. Wenn das Volk nicht mehr die Straße und die Plätze als Treffpunkt nützt, wenn die Straßen menschenleer und nur mehr Maschinen präsent sind, dann ist das undemokratisch, engstirnig und einseitig. Totalitäre Staaten besitzen menschenleere Straßen, dort wo das Volk regiert, ist Leben (auf den Straßen).
UmfahrungUmfahrungsstrasseDurchgänge, Ecken und Plätze, Erker und Vorsprünge sind auch Werte. Fußwege, Schleichwege, Abkürzungen und Steige ersetzen kein Dorf. Doch wenn diese Güter verloren gehen, scheitert das Dorfleben und das Dorfinteresse geht verloren und mit ihm die Lebensqualität. Man kann auch sagen, mit dem Dorfinventar gewinnt das Dorf seine Wichtigkeit, seinen Wert und seine dörfliche Selbstachtung. Schiefe, ungerade Steinmauern, Brunnen und Bänke gehören genauso zum Dorfgut wie große, alte Bäume, die guttun, weil sie nicht perfekt geradlinig im Gehirn kleben bleiben, weil sie einfach sind und weil sie nichts wollen, weil sie natürlich sind, und weil sie mit ihrer Natürlichkeit Grenzen setzen, und mich mit diesen Grenzen zum Menschen machen. Wenn Menschen für dieses Erlebnis hunderte von Kilometern zurücklegen, strahlt das Dorf (mit seinen alten Häusern, seinem Klang und dessen geheimnisvoller Kraft) über das Land hinaus. Wenn die Gemeinde geschickt die alten Kräfte mit den neuen verbindet, das heißt, das alte Dorf+Inventar wieder benutzbar macht, führt dies zu Mehrwert.

* http://www.news.de/auto/855039365/das-auto-ist-ein-armutsmodell/1/


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