von Pater Urs Stadelmann
Mein Ordensvater, der hl. Benedikt von Nursia (†547), ermuntert in seiner Regel die Mönche dazu, nach einer Reise nicht gleich alles den Mitbrüdern zu erzählen, was sie gesehen und vernommen haben (RB 67,5). Zu viele Neuigkeiten scheinen den Mönchen nicht unbedingt gut zu bekommen. Heute kommt die Welt in gewisser Weise online zu uns. Ohne das Kloster überhaupt verlassen zu müssen, können wir mit dem ganzen Erdball kommunizieren – ganz einfach per Mausklick. Auch hier wird ein vernünftiger Umgang mit Informationen angebraucht sein. In dieser Hinsicht von einem digitalen Netz zu sprechen, erscheint mir passend und erinnert mich an ein Wort Jesu: Im Zusammenhang vom Himmelreich erzählt er von einem Netz, in dem es gute und schlechte Fische gibt (Mt 13,47ff.). Auch im digitalen Netz wird es sich nicht viel anders verhalten. Von einem digital-guten Fisch möchte ich hier kurz berichten: Es ist bereits einige Jahre her, als ich mir in der vorweihnachtlichen Zeit einen Videoclip anschaute. Die ganze Szene spielt sich in der Wohnung einer jungen Familie ab. Die Hauptakteure sind der Vater, die Mutter und ein kleines Baby. Eine gewisse Hektik ist spürbar, denn es ist Heiligabend und bald wird der angekündigte Besuch vor der Tür stehen. Das junge Paar kümmert sich mit großem Eifer um die Vorbereitungen. Es wird gekocht, der Tisch säuberlich gedeckt und vor lauter Putzen musste sogar der kleine Schatz weichen und wurde von der Mama sorgfältig in ein Bett im Nebenraum gelegt. Gerade noch rechtzeitig konnten die letzten Dinge erledigt werden. Fein herausgeputzt und frisiert wurde der Besuch empfangen und der Abend konnte seinen geplanten Lauf nehmen. Das Essen mundete den Gästen und der Wein war gut temperiert, alles war bestens gelungen. Dann ereignete sich dennoch etwas Unvorhergesehenes: vor der Nachspeise wollten die Besucher nun doch endlich den kleinen Sprössling zu sehen bekommen. Sichtlich innerlich bewegt von der plötzlichen Erkenntnis, nun doch etwas vergessen zu haben, erhob sich die junge Mama und eilte ins Nebenzimmer. Doch was für ein Schock: das Bett war leer und das Kind verschwunden. Der Clip endete mit dem Schriftzug: „Feierst auch du Weihnachten ohne Kind?“
Ein geistreiches Video, dachte ich mir. Vor lauter Stress und Hektik wurde das Wesentliche an Weihnachten komplett vergessen: das Kindelein. Der Videoclip wollte zum Nachdenken anregen und die Frage ist vielleicht gar nicht so unangebracht, ob dies nicht auch mir passieren könnte? Ich meine, eine so starke Inanspruchnahme durch Äußerlichkeiten, dass der eigentliche Kern von Weihnachten aus dem Blickfeld verschwindet: die Menschwerdung Gottes. Im Tagesgebet des Zweiten Adventssonntags heißt es: „Lass nicht zu, dass irdische Aufgaben und Sorgen uns hindern, deinem Sohn entgegenzugehen.“ Ein anschauliches Beispiel für diese irdischen Aufgaben sahen wir im geschilderten Videoclip. Aber auch Sorgen können uns anscheinend hindern, uns in gebührender Weise auf das Weihnachtsfest vorzubereiten. Jesus sagte dazu etwas Aufschlussreiches: wovon das Herz voll ist, davon redet der Mund (Mt 12,34). Ähnlich wie die Benediktsregel, verweist dieses Wort auf einen Zusammenhang zwischen dem Inneren des Menschen und dem, was über seine Lippen nach aussen gelangt. Ein alter Mönch namens Evagrios Pontikos (†399) erklärt diesen Zusammenhang zwischen Äußerem und Innerem folgendermaßen: „Das, wovon wir leidenschaftliche Erinnerungen haben, dessen Gegenstände haben wir auch vorher mit Leidenschaft aufgenommen. Und umgekehrt, jene Gegenstände, die wir mit Leidenschaft aufnehmen, von denen werden wir auch leidenschaftliche Erinnerungen haben.“ Die Dinge also, denen wir uns mit grosser Energie zuwenden, dringen letztendlich bis in unser Inneres vor, erfüllen das Herz und gelangen durch Worte nach außen. Umso mehr gilt dies von Sorgen, die uns beschäftigen und oftmals sogar quälen. Die Adventszeit kann uns dazu dienen, vermehrt auf unser Inneres zu achten um zu erkennen, wovon unser Herz überfließt. Ich persönlich mache die Beobachtung, dass in vielen Begegnungen das Gespräch früher oder später auf die eine Thematik fällt, die nach wie vor die ganze Welt in Atem hält. Das ist nicht weiter verwunderlich, sind es doch Sorgen, die uns alle betreffen. Doch was, wenn diese Sorgen so gewichtig werden, dass sie mich hindern, dem Sohne Gottes entgegenzugehen? Ich werde ehrlich eingestehen müssen, dass ich wohl gar nicht so weit entfernt bin von den jungen Eltern im Videoclip. Was habe ich denn die letzte Zeit in mich mit Leidenschaft aufgenommen, dass diese Dinge so leicht über meine Lippen fließen? Lege ich wirklich Zeugnis ab vor den Menschen von der Hoffnung, die mich erfüllt (cfr. 1 Petr 3,15)? „Wer aber von euch kann mit seinen Sorgen seiner Lebenslänge auch nur eine Elle hinzufügen?“ (Lk 12,25) fragt uns Jesus. Tatsächlich möchte ich lieber innerlich frei werden und den Rat des hl. Petrus befolgen: „Wirf deine Sorge auf den Herrn, denn ihm liegt an euch!“ (1 Petr 5,7). Und auch die Worte des hl. Paulus sollen mir wiederum Mut machen: „Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, noch Kräfte, weder Höhe noch Tiefe, noch irgendeine andere Kreatur können uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn“ (Röm 8,38f.). Aber genau diese Liebe Gottes will uns an Weihnachten im Jesuskind begegnen, um unsere Dunkelheit zu erhellen und uns Hoffnung zu bringen – darum möchte ich wenigstens diese letzten Adventstage nutzen und achtsam sein, dass nicht auch ich das Weihnachtsfest ohne das Kind begehe.