Von Liebe, Dankbarkeit und Freundschaft

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Angemerkt - Seit mehreren Jahren begleite ich eine Gruppe von ehrenamtlich tätigen Frauen und Männern in Meran. Jede/r besucht einmal wöchentlich für zwei Stunden eine dementiell erkrankte oder aus sonstigen Gründen pflegebedürftige Person. Bei den Treffen bietet sich für die einzelnen Mitglieder die Gelegenheit zum Austausch und zur Reflexion. Das Angebot „Vergiss-mein-nicht“ wurde von Paula Tasser für die Caritas in Meran ins Leben gerufen. Leo M. ist ein festes Mitglied dieser Gruppe. Im Frühjahr dieses Jahres kam plötzlich die Nachricht, dass Leo schwer an Covid erkrankt ist und in Feldkirch in Österreich behandelt wird. Mehr wussten wir bis dato nicht. Anfang Dezember war das letzte Treffen der Gruppe für dieses Jahr angesetzt.
In Zeiten von Corona wird uns allen die Endlichkeit des Lebens unmittelbar vor Augen geführt. Wenn wir auch im Frühjahr noch hofften, dass der Spuk bald vorbei sein würde, sind wir wohl alle eines Besseren belehrt worden.
Nach mehr als einem halben Jahr betritt Leo den Raum und wir sind alle gerührt. Die Begegnung ist so vertraut wie immer und gleichzeitig ist uns allen klar, dass hier ein veränderter Mensch steht, der etwas Besonderes erlebt haben muss. Äußerlich wirkt er hagerer, ist in seinen Bewegungen etwas bedachter und atmet schwer. Doch das ist es nicht, sondern eher das ruhige, ja fast gelassene und in sich ruhende Auftreten. Leo erzählt an diesem Vormittag von seiner Erkrankung. Anfang März hatte er sich wohl beim Skifahren mit Kindern und Enkeln infiziert, zwei Tage später bekam er Fieber und spürte eine nie da gewesene tiefe Erschöpfung. Es dauerte noch eine Weile, bis er schließlich im Krankenhaus aufgenommen wurde. Zu dieser Zeit waren bereits beide Lungenflügel betroffen. Leo schildert uns ausführlich, wie es ihm die vergangenen Monate ergangen ist, unterstützt von den Aufzeichnungen seines Sohnes. Mit Masken vor Mund und Nase hängen wir Leo sprichwörtlich an den Lippen. Leo tut sich immer noch schwer beim Atmen, braucht nachts Sauerstoff, ist allerdings erfüllt von einer tiefen Dankbarkeit und etwas, was nicht greifbar ist, und dennoch den Raum einnimmt. Er erzählt von der unendlichen körperlichen Schwäche und Zeiten tiefer Verzweiflung, in denen er sein ganzes Leben in Frage stellt. Von seinem monotonen Blick auf die Uhr, deren Zeiger still zu stehen schienen. Gleichzeitig betont er immer wieder, dass die Pflegekräfte und Ärzte Unglaubliches leisten. Für die sorgsame, mitfühlende und wohlwollende Betreuung findet Leo kaum Worte. Er meint schlicht und eindrücklich: „Das sind Engel!“ Immer wieder bricht ihm die Stimme. Ein sonst so gefasster Mann sitzt im Raum und weint vor Ergriffenheit und Rührung. Mitunter tragen eine Psychologin und Logopädin dazu bei, dass Leo neuen Lebensmut fasst. Er stockt in diesem Moment, da er die Tragweite dieser Begegnungen noch immer nicht gänzlich zu fassen scheint. Welche Erfahrung machte Leo? Ich sage in diesem Moment, dass das wohl Liebe sein muss und Leo nickt verhalten. Heute würde ich ergänzen, dass diese Begegnungen reine Augenblicke der Nächstenliebe waren. Eine Liebe, die sich selbst zurücknimmt und der Sorge um den anderen Raum gibt. Leo erfuhr in seiner größten Not Mitgefühl, Güte und Wohlwollen in seiner authentischen Form. Und diese Gnade, geliebt zu werden, geht der Gnade der Liebe voraus. Nur durch diese Erfahrungen tiefer Menschlichkeit lernen wir, sanftmütig mit uns selbst zu sein. Es ist eine Form der Liebe, wie sie im Grund auch Kindern durch ihre Eltern zuteilwird. Sie ermöglicht die Selbstliebe, das heißt, ich nehme mich selbst an aus vollem Herzen mit all meiner Unzulänglichkeit und dem gerade nicht Perfekten.
In der Zeit der Rehabilitation in Brixen geben Leo gerade diese Begegnungen die Kraft, sich mühsam ins Leben zurück zu kämpfen. Mit einzelnen Betreuerinnen entstanden tiefe Freundschaften, die in ihrer Größe und Tragweite auch künftig Bestand haben werden. Und obwohl oder gerade weil er durch diese Krankheit gezeichnet ist, will sich Leo in und für die Gesellschaft engagieren. Beim Verabschieden erkundige ich mich noch nach Leo´s Frau und wie es ihr in diesen herausfordernden Zeiten ergangen ist. Doch dies ist eine neue Geschichte und eine andere, ganz besondere Form der Liebe.
Elisabeth Hickmann

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