Die Kunst im Lockdown?

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Arbeit aus Draht, Trockenbeton-Granulat und Modelliermasse, Julia Frank 2020 Arbeit aus Draht, Trockenbeton-Granulat und Modelliermasse, Julia Frank 2020

Vereinzelt hat es auch im heurigen Sommer Veranstaltungen und Möglichkeiten gegeben, sich von Musik, Kunst oder Theater anregen zu lassen. Doch von einem Kultursommer, wie wir ihn gewohnt waren, kann keine Rede sein. Ein Grund, bei Künstler*innen nachzufragen, wie sie die Corona-Krise erleben, ob sie sich dem Thema künstlerisch stellen und welche Perspektiven ihnen neuen Aufwind geben.
s34 stroblPatrick Strobl (Schlanders, 34), Sänger und Gitarrist der beliebten Folkrock-Band Mainfelt, war gerade mit seinen Musikerkollegen auf Tour in Deutschland und bewarb das neue Album „Royal Rover“, als sich die Lage zuspitzte, Südtirol zur roten Zone erklärt wurde und Grenzschließungen drohten. Mainfelt musste die Tour abbrechen, finanzielle Einbußen und organisatorische Schwierigkeiten hinnehmen. In Südtirol ging das Leben noch seinen gewohnten Gang, ärgerlich für die gestoppten Musiker, die viel Arbeit und Herzblut in das neue Album und die Tour gesteckt hatten. Dann führten die steigenden Infektionszahlen und schweren Krankheitsverläufe auch in Südtirol zu drastischen Maßnahmen. Zunächst erholte sich Strobl zuhause in Brixen während der Ausgangssperre von anstrengenden Monaten, genoss die Ruhe, doch bald ließ es die Ungewissheit in ihm brodeln. Wie wird es weitergehen? Brauche ich einen neuen Job? Durch im Netz übertragene Wohnzimmerkonzerte hielt er Kontakt zu seinen Fans und hatte das erforderliche online-Projekt später vorzuweisen, auf das die Südtiroler Landesregierung/Abteilung Kultur pochte, um den 600-Euro-Beitrag zu gewähren. Der zweite Teil des Hilfspakets, 2000 Euro, war aufgrund der Auflagen für ihn nicht erreichbar. Den Sommer überbrückte Strobl mit Privatkonzerten und Cateringaufträgen seiner Agentur „Feierlust“. Doch gerade die Feierlust der Südtiroler*innen wurde durch die Einbremsung der Kulturszene abgedreht. Strobl ist kein Jammerer, er setzte sich hin und arbeitete ein Konzept aus, vernetzte sich, übergab politischen und medialen Vertretern sein Ideenpaket. Was zunächst auf Anklang stieß, versandete wieder. Die mangelnde Musik-Lobby im Verbandsland Südtirol, die nicht einfache Suche nach Verbindlichkeit innerhalb der Kunstszene, vor allem aber politische oder persönliche Animositäten von Involvierten zündeten Strobls Version eines Neustarts nicht. Den Neustart, den Südtirol verkündete, lässt er im Kulturbereich nicht gelten. Zu groß waren die Auflagen, zu hart die Maßnahmen, die das soziale Leben störten. Aufgeben wird er nicht, er plant das Mainfest, mit Gleichgesinnten überlegt er weiterhin Formen der Zusammenarbeit innerhalb der Südtiroler Szene und seine Band hat einen Plattenvertrag mit Sony in der Tasche. Die finanzielle Unterstützung möchte er nicht kritisieren, aber im Verhältnis zu den Beiträgen, die etwa die IDM erhalte, findet er sie viel zu gering. Viel mehr sieht er den Umgang mit dem Virus in der Öffentlichkeit als Problem, auch die Vorsichtsmaßnahmen richten Schaden an. Tanzverbot? Nachts Masken im Freien? Im Vinschgau würden Selbstmorde deutlich mehr zu Buche schlagen als Coronafälle, Zeit also, zurück ins Leben zu führen, gibt sich Patrick Strobl kämpferisch.
www.mainfelt.com

 

s35 Blaas Frank HoferAusgerechnet am Tag ihrer Ausstellungseröffnung „Fine Corsa“ (Sackgasse) in der Galerie Doris Ghetta (St. Ulrich) trat das Dekret des Parlaments ein und untersagte öffentliche Veranstaltungen. Für die 32-jährige Künstlerin Julia Frank aus Laatsch, Studium in Carrara, Granada und London, folgte eine Welle von Absagen. Sie hielt sich gerade in Südtirol auf, was den Besuch von Freunden und Familie ermöglichte und die Situation erleichterte. Kurz vor der Schließung der Grenzen kehrte sie nach Wien zurück. Ihr wurde schnell bewusst, dass neue Wege der Vermittlung gefragt sind. Um mit Kurator*innen in den Dialog zu treten, erstellte sie eine Präsentation aus Dokumentationsmaterial ihrer Arbeiten (u.a. Malerei, Installation, Fotografie). Digitale Kunstplattformen reagierten sehr gut darauf. Währenddessen stiegen die Infektionszahlen. Julia Frank verfolgte täglich die Entwicklung der Pandemie, zögerliche Entscheidungen der WHO blieben ihr unerklärlich: „Da wütet ein Virus wie eine Explosion schnell und aggressiv umher und der Kapitalismus bleibt Priorität und das Allgemeinwohl sekundär.“
Seit Corona nennt die Künstlerin ihren Wohnort „Holy Austria“. Es gab allgemein und auch für die Kreativwirtschaft ein hohes Angebot an Unterstützung. Ihr wurde es nicht gewährt, weil sie erst 2019 von London nach Wien gezogen war. Privat verarbeitete Julia Frank die Pandemiestimmung durch gemeinsame Arbeitsphasen auf dem Balkon, las und telefonierte viel, führte Diskussionen auf nächtlichen Spaziergängen über das Jetzt und die mögliche Zukunft. Im Rückblick war es ein „Gegenseitiges Auf- und Verarbeiten unter dem Motto Let’s make the best possible out of it“. Da sie Teil einer Arbeitsgruppe ist, die vom Südtiroler Künstlerbund initiiert wurde, war sie über die Unterstützung hier im Land im Bilde. Das Kunsthaus Meran lud sie zur Teilnahme an der Plakataktion „KOPFhoch“ ein, ihr Projekt zur Visualisierung des Lockdowns wurde mit 2000 Euro aus dem Hilfspaket vergütet. Willkommen, um die laufenden Kosten der Wohnung, des Studios und von Projekten zu finanzieren, und letztlich auch nicht geschenkt. Innerhalb der Szene wünscht sie sich mehr Zusammenhalt für dieselbe Sache, nämlich die berufliche Ausübung, und weniger Ringen um den eigenen materiellen Radius.
Das Virus und seine tiefgreifenden Veränderungen forderten sie zur Auseinandersetzung heraus. Frank schuf eine Serie von fragilen Masken aus Material, das in der Wohnung zu finden war. Für sie ein Versuch einer Revolte gegen das Virus, da es keine physische Identität besitze und daher die Panik steigere. Außerdem starteten sie als Paar eine Nacht- und Nebelaktion im 10. Wiener Bezirk, einem Arbeiterviertel, das von einer großen türkischen Gemeinschaft bewohnt wird, die kaum Deutsch oder Englisch spricht. Die neuen Verhaltensnormen sorgten für Missverständnisse, ihnen sollte die Aktion im öffentlichen Raum entgegenwirken. Zu zweit brachten sie mehrsprachige Plakate samt Emojis mit hausgemachtem Kleister auf Fußgängerflächen an und riefen so zu Zusammenarbeit und Zusammenhalt auf.
Julia Frank weist auch auf Perlen hin, die aus der Krise entstanden sind. Die Vereinigung AWI (Artist Workers Italia) vereint Einzelpersonen aus dem Kunst- und Kulturbetrieb und setzt sich auf nationaler Ebene für sie ein. Es kam in Deutschland ans Licht, wie miserabel es in den Fleischereien zugeht und auch EU und WHO wurden vor Augen geführt, dass sie noch einiges nachzuholen hätten. Lauter Themen, die mit dem Virus in Zusammenhang stehen und genauso wie die BlackLivesMatter-Bewegung den politischen Sinn der Künstlerin treffen. In den vergangenen Monaten war sie auf mehreren Demonstrationen, um ihre Meinung kundzutun oder ihre Solidarität zu zeigen.
In die Zukunft schaut sie gelassen, auch wenn die Perspektiven neu kalibriert wurden. „So wie es kommt, wird es gut sein, weil man es selbst reguliert.“ Spannende Projekte und Zusammenarbeiten haben schon begonnen oder sind in Aussicht. Etwas heikler ist das Thema der Kunstankäufe, doch Frank hat eine Lösung: Wer jetzt in Kunst investiere, kaufe sich eine Zeitspur und könne später an die Krise denken, die durch das Werk leichter wurde. Vielleicht könnte Kunst gar vor der Neurose bewahren.
www.juliafrank.art

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