Karl Grasser ist bekannt als Bildhauer. Die Marmorbrunnen in Schlanders, Kortsch und Göflan tragen seine Handschrift. Plastiken aus Bronze, Holz und Marmor stammen von ihm, sind im Privatbesitz oder stehen in Kirchen, auf Friedhöfen, sowie auf öffentlichen Plätzen und Gedenkstätten. Bekannt sind auch seine Zeichnungen, Aquarelle und Holzschnitte. Seine letzte Ausstellung war vom 29. November bis am 6. Jänner 2020 in der Hofburg in Brixen. Dort wurde eine Auswahl seiner über 520 Holzschnitte gezeigt und auch eine umfangreiche Publikation über seine Holzschnitte herausgegeben. Holzschnitte zählen zu den ältesten Drucktechniken. Es ist eine Technik, die besonderes Geschick erfordert und eine eigene Ausdrucksmöglichkeit bietet. Während der Maler aufs Papier bzw. auf die Leinwand pinselt, was man sehen will, wird beim Holzschnitt alles sichtbar. Was man wegnimmt, wird hell, bzw. weiß, das andere dunkel bzw. schwarz. Alles muss spiegelverkehrt bearbeitet werden, damit es dann beim Druck richtig dargestellt wird. Vom Künstler wird erwartet, dass er quer denkt, um die Ecke denkt, andere Sichtweisen einbringt. Beim Holzschnitt ist diese Denkweise Voraussetzung, muss man spiegelverkehrt denken, um alles ins richtige Bild zu bringen. Und tatsächlich verwendet Karl Grasser einen Spiegel, um seine Holzschnitte herzustellen. Das ist eine große Herausforderung, aber auch der besondere Reiz von Holzschnitten. Die Technik zwingt zur Reduktion. Alles muss auf das Wesentliche reduziert werden, auf klare Linien und Flächen. Holzschnitte werden meistens in Schwarz – Weiß gedruckt. Die Bilder wirken durch den Kontrast von Hell und Dunkel und durch die Kraft der Linien. Sie erzeugen Spannung und wecken Emotionen. Holzschnitte sind wie ganz leicht verschneite Landschaften, wodurch die Strukturen der Landschaft klar sichtbar werden. Das Wesen, der Kern einer Landschaft oder eines Menschen beherrscht das Bild, alles Nebensächliche und Schnörkelhafte hat keinen Platz. Landschaften, Häuser, Bäume und Menschen gewinnen dadurch eine besondere Ausdruckskraft. Karl Grasser ist ein Meister dieser Technik, seine Bilder sind Ausdruck seiner Lebenswelt und Lebensphilosophie. Es ist die Landschaft des Vinschgaus, die bäuerliche Welt, in der er aufgewachsen ist. Es sind die alten Bergbauernhöfe, gewachsene Dorfkerne mit markanten Bäumen, hohen Kirchtürmen und kunstvollen Holzzäunen, die den Menschen Heimat geben und Gemeinschaft erleben lassen. In seinen Bildern werden Kühe, Ziegen, Schafe und andere Tiere dargestellt, weil sie zum Menschen und zum Dorfleben gehören.
Karl Grasser kämpft mit seinen Bildern für die Erhaltung einer alt gewachsenen Natur- und Kulturlandschaft, weist auf ihren Wert und deren Schönheit hin.
Karl Grasser spürt auch den Wandel der Zeit. Er kämpft mit seinen Bildern für die Erhaltung einer alt gewachsenen Natur- und Kulturlandschaft, weist auf ihren Wert und deren Schönheit hin. Die Erfahrungen des Krieges in Russland und seine Kriegsverletzungen haben ihn geprägt, genauso wie die harte Arbeit in der Nachkriegsgeschichte. Ganz zentral in seinen Arbeiten ist auch seine religiöse Überzeugung, die Religion, die ihm Halt und Orientierung gibt. Die Menschen sind gezeichnet durch die harte Arbeit, das Leid und die Lasten, die sie zu tragen haben. Sehr ausdrucksstark sind die großen Hände und die großen Augen. Es sind arbeitende und betende Hände. Es sind neugierige und ängstliche Augen. Die sorgende Mutter, die das Kind in ihren Armen hält, ist ein wiederkehrendes Motiv. Die Muttergottes, der verlorene Sohn, verschiedene Heilige, besonders der heilige Franziskus beschäftigen den Künstler in vielen Arbeiten. Die Landschaftsbilder geben eine Abendstimmung wieder. Alles scheint ruhig und harmonisch, die Arbeit ist getan und man kann zufrieden und dankbar zu Bett gehen. Karl Grasser zählt zu den bekanntesten Künstlern in Südtirol. Er ist am 23. Dezember 1923 geboren und hat bis vor wenigen Jahren noch jeden Tag in seinem Atelier gearbeitet. Seine Werke hat er in vielen Ausstellungen gezeigt und viele Preise bekommen, unter anderem das Ehrenzeichen des Landes Tirols und den Walther von der Vogelweide-Preis. Die Marktgemeinde Schlanders hat ihn 2012 zum Ehrenbürger gemacht und 2013 zu seinem 90. Geburtstag eine Ausstellung im Kulturhaus organisiert und zu einer Feier geladen.
Heinrich Zoderer