Die länderübergreifende Tradition der Wanderweidewirtschaft, international als Transhumanz bekannt, ist am 11. Dezember 2019 in die UNESCO-Liste des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen worden. Die Tradition der Transhumanz wurde 2011 in das Nationale Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes in Österreich aufgenommen. Die Aufnahme in eine nationale Liste ist Voraussetzung für eine Aufnahme in die internationale Liste. Die Einreichung bei der UNESCO erfolgte länderübergreifend durch Österreich, Italien und Griechenland. Um auf diese Tradition der besonderen Form der Wanderweidewirtschaft aufmerksam zu machen, sie zu erhalten und diese an zukünftige Generationen weitergeben zu können, haben die beiden Professoren Thomas Nußbaumer und Olaf Bockhorn ein Gutachten abgegeben. Mehrere Vereine, wie der Kulturverein Schnals, der Verein Pro Vita Alpina, die Alpininteressentschaften Niedertal und die Agrargemeinschaft Rofenberg, haben ein Dossier erarbeitet und dann gemeinsam die Einreichung bei der UNESCO vorgenommen.
Der Schaftrieb von Südtirol ins Ötztal
Die Transhumanz ist eine den Jahreszeiten folgende Alm- bzw. Weidebewirtschaftung. Tierherden, insbesondere Schafe, Kühe und Ziegen, werden entlang bestimmter Routen von Hirten begleitet. Die für Österreich und Italien bei dieser Einreichung relevante, seit Jahrhunderten durchgeführte Transhumanz, ist unter anderen jene vom Südtiroler Schnalstal ins österreichische Ötztal und gilt als besondere Form des Schafwandertriebs. Es ist die einzige grenzüberschreitende Transhumanz in den Alpen, die über Gletscher führt. Die Wanderungen führen über das Hochjoch (2885m) und das Niederjoch (3017m) im Schnalstal auf die österreichische Seite im hinteren Ötztal. Jährlich werden im Frühsommer rund 3.000 - 3.500 Schafe aus Südtirol in die Ötztaler Weidegebiete getrieben. Mitte September kehren die Schafe wiederum heim. Transhumanz ist eine effiziente und nachhaltige Naturweidewirtschaft, insbesondere in Bezug auf die Nutzung natürlicher Ressourcen und die Landbewirtschaftung. Aus der Ur- und Frühgeschichtsforschung ist inzwischen gesichert, dass es die Schaftriebe von Südtirol ausgehend auf die Weiden im hinteren Ötztal in Nordtirol, über die zum Teil vergletscherten Jöcher, seit mindestens 6.000 Jahren gibt (vgl. H.Haid, 2008; F. Huter, 1951; H. Gams, 1939). Aus dem Jahre 1415 ist eine Urkunde überliefert, die bis auf den heutigen Tag, also seit knapp 600 Jahren beinahe wortwörtlich in Gebrauch ist und die zwischen den Bewohnern des Schnalstales und den Einwohnern von Vent abgeschlossen worden ist. Sie regelt die Grundbesitze und die Weiderechte. Rund 30 Bauern aus dem Schnalstal sind mit ca. 3.000 Hektar die größten privaten Grundbesitzer im hinteren Ötztal. Obergurgl und vor allem Vent sind von Süden her, also aus Südtirol besiedelt worden. Vent mit Rofen hat bis vor ca. 170 Jahren zum Gericht Kastelbell, zur Pfarre Tschars im Vinschgau und zur Diözese Chur gehört. Trotz der scharfen Grenzziehung ab 1918 sind die Kontakte vor allem von Vent und Obergurgl zum Schnalstal, zum Passeiertal und zum Vinschgau lebendig geblieben, auch dank der Schaftriebe. Zu den Schaftrieben kommen insgesamt ca. 70 - 80 Männer, zum Teil auch Frauen, aus dem Schnalstal und aus dem Vinschgau als Treiber.
UNESCO Welterbe: Kultur- und Naturerbe
Die UNESCO, eine selbstständige Sonderorganisationen der Vereinten Nationen, zuständig für Erziehung, Wissenschaft und Kultur, mit Sitz in Paris, schützt u.a. das Welterbe der Menschheit. Nach den Durchführungsrichtlinien zur Welterbekonvention zählen das Kultur- und das Naturerbe zu den unschätzbaren und unersetzlichen Gütern nicht nur eines Volkes, sondern der ganzen Menschheit. Zum UNESCO-Welterbe zählt das Bedeutendste, was Mensch und Natur uns hinterlassen haben.
Sowohl Kulturgüter (Stadtzentren, Gebäude, Kulturstätten, Brücken), als auch Naturstätten (Landschaften, Gebirge…) von außergewöhnlichem universellem Wert werden geschützt und seit 1978 in die Liste des UNESCO-Kultur- und Naturerbe aufgenommen. Ein zwischenstaatliches Gremium mit 21 Mitgliedern, das „Komitee für das Erbe der Welt“ (Welterbekomitee) prüft die eingereichten Objekte und entscheidet über die Aufnahme. Den Anstoß zur Schaffung der Welterbekonvention gab der Aufruf der UNESCO vom 8. März 1960, die durch den Bau des Assuan-Staudammes vom Nil bedrohten Denkmale in Nubien für die Nachwelt zu retten. Die Tempel von Abu Simbel und Philae wurden abgetragen und 180 m landeinwärts an einer 64 m höher gelegenen Stelle wieder aufgebaut. Derzeit umfasst diese UNESCO-Welterbe-Liste 1.121 Stätten in 167 Ländern. Davon sind 869 als Weltkulturerbe und 213 als Weltnaturerbe gelistet. 39 dieser Stätten sind grenzüberschreitend, das heißt zwei oder mehr Staaten zugeordnet. Die UNESCO führt auch eine Rote Liste der akut gefährdeten Welterbestätten. Ein erklärtes Welterbe kann auch den Status als UNESCO Welterbe verlieren, wenn die Erhaltungskriterien nicht eingehalten werden. Weltbekannte Gebäude wie die Akropolis in Athen, die Chinesische Mauer, Schloss Versailles, die Großglockner Hochalpenstraße oder die historische Altstadt von Rom, Florenz und Venedig gehören zum Weltkulturerbe. Das Benediktinerinnenkloster St. Johann in Müstair und die Rhätische Bahn gehören in unserer unmittelbaren Nähe zum Weltkulturerbe. Seit 2009 zählen Teile der Dolomiten zum Weltnaturerbe, genauso wie der Ätna, der aktivste Vulkan der Welt. Insgesamt gibt es in Italien 55 UNESCO-Welterbestätten, darunter 50 Stätten des Weltkulturerbes und fünf Stätten des Weltnaturerbes.
Immaterielles Kulturerbe der Menschheit
Die Repräsentative Liste des Immateriellen Kulturerbes der Menschheit ist eine neue internationale Liste, neben der Liste des Weltkultur- und Naturerbes, welche die UNESCO im Rahmen des Übereinkommens zur Erhaltung des Immateriellen Kulturerbes seit 2008 erstellt. Die globale Liste umfasst insgesamt 463 kulturelle Ausdrucksformen aus 124 Ländern. Die Liste wurde mit dem Ziel eingerichtet, das Immaterielle Kulturerbe weltweit sichtbar zu machen und das Bewusstsein um die Vielfalt kultureller Ausdrucksformen zu stärken. Das immaterielle Kulturerbe umfasst nach Definition der UNESCO-Konvention „Bräuche, Darstellungen, Ausdrucksformen, Wissen und Fertigkeiten, sowie die dazu gehörigen Instrumente, Objekte, Artefakte und kulturellen Räume […], die Gemeinschaften, Gruppen und gegebenenfalls Einzelpersonen als Bestandteil ihres Kulturerbes ansehen.“ Zur weiteren Identifizierung werden fünf Bereiche benannt: 1. mündlich überlieferte Traditionen und Ausdrucksformen, einschließlich der Sprache als Träger des immateriellen Kulturerbes, 2. darstellende Künste wie Musik, Tanz und Theater, 3. gesellschaftliche Bräuche, soziale Praktiken, Rituale und Feste, 4. Wissen und Praktiken im Umgang mit der Natur und dem Universum, 5. das Fachwissen über traditionelle Handwerkstechniken. Viele Menschen und Institutionen sehen diese ganzen Initiativen der UNESCO sehr skeptisch, weil oft nicht der Schutzgedanke im Vordergrund steht, sondern die Kommerzialisierung und Folklorisierung.
Heinrich Zoderer
Liste des Immateriellen Kulturerbes in Österreich
• Das Imster Schemenlaufen
• Die Klassische Reitkunst und die Spanische Hofreitschule Wien
• Die Falknerei
• Das Lawinenrisikomanagement
• Der Blaudruck
• Die Transhumanz
Liste des Immateriellen Kulturerbes in Italien
• Das sizilianische Marionettentheater „Opera dei Pupi“
• Das Canto a tenore, sardische Pastorallieder
• Die Traditionelle Geigenbaukunst in Cremona
• Die Prozessionen mit Schulter-Turmschreinen
• Die Mittelmeerküche
• Die landwirtschaftliche Praxis der Kopferziehung der Weinrebe auf der Insel Pantelleria
• Die Falknerei
• Die Kunst des neapolitanischen Pizzabackens („Pizzaiuolo“)
• Die Kunst des Trockenmauerwerks
• Der Alpinismus
• Die Transhumanz im Mittelmeerraum und in den Alpen