Interview mit Sicherheitsexperte Dr. Dr. Heinz D’Angelo
Vinschgerwind: Herr D’Angelo, ist Arbeiten heute gefährlicher als früher?
Heinz D’Angelo: Vor 20 Jahren haben sich die Arbeiter vor allem an Maschinen verletzt. Damals fehlten oft die Informationsschulungen und die Sicherheitsvorkehrungen. Heute sind die Maschinen und Fahrzeuge sicherer geworden, die Vorkehrungen werden getroffen und trotzdem ist es so, dass die Zahl der Unfälle steigt.
Vinschgerwind: Eigentlich ein Widerspruch. Was sind die Gründe?
Heinz D’Angelo: Es stecken immer öfter private Gründe dahinter. Das sind Zeitdruck, Stress, persönliche Krisen, psychosoziale Probleme oder auch Mobbing oder Burnout. Es sind die Belastungen, die mehr werden und die Menschen unter Druck setzen. Ich mache Ihnen ein Beispiel: Früher wurde z.B. zwei Jahre lang an einem Haus gebaut. Heute beträgt die Bauzeit im Schnitt acht Monate. Früher war es so, dass weniger Leute in einem Betrieb beschäftigt waren. Bauern hatten noch keine Nebenjobs. Das hat sich grundlegend geändert und mit dieser Entwicklung bleiben oft die Sicherheitsbestimmungen auf der Strecke. Die Achtsamkeit und die Konzentration leiden unter dem zunehmenden Stress und dem Zeitdruck.
Vinschgerwind: In welchen Berufssparten passieren die häufigsten Unfälle?
Heinz D’Angelo: In Südtirol ist es v.a. das Bau- und Baunebengewerbe, wo die häufigsten Unfälle passieren. Auf nationaler Ebene hingegen in der Landwirtschaft – Tendenz steigend. Und das, obwohl die Sicherheitsbestimmungen restriktiver geworden sind.
Vinschgerwind: Wie ist die Situation in Italien, wenn es um die Sicherheit am Arbeitsplatz geht? Unterscheidet sich Südtirol?
Heinz D’Angelo: Arbeitssicherheitsbestimmungen gibt es in Italien bereits seit 1955. Diese kamen aber nie zur Anwendung. Erst 1996, also über 40 Jahre später, beginnt man die Arbeitssicherheitsbestimmungen durchzuführen. In Südtirol ist es so, dass noch heute die Arbeitssicherheitskurse oft belächelt werden. Oft heißt es: „Wir wissen ja, wie wir zu arbeiten haben. Wozu brauchen wir einen Kurs?“ Da fehlt es oft an der richtigen Einstellungen und es muss sich noch etwas in den Köpfen ändern.
Vinschgerwind: Wenn wir nach Europa blicken: Wo ist die Unfallrate am niedrigsten?
Heinz D’Angelo: In Nordeuropa. In Schweden zum Beispiel weiß jedes Grundschulkind, dass es auf einer Baustelle einen Helm aufsetzen muss. In Italien ist das anders. Bis heute gibt es kein duales Ausbildungssystem und junge Leute steigen erst mit Anfang zwanzig in die Arbeitswelt ein. In Südtirol ist die Situation diesbezüglich auf alle Fälle besser.
Vinschgerwind: Gibt es ungefährliche Jobs?
Heinz D’Angelo: Nein, ungefährliche Jobs gibt es nicht.
Vinschgerwind: Ist ein Bürojob nicht ungefährlich?
Heinz D’Angelo: Auch ein Bürojob kann der Gesundheit schaden. Sind Bildschirm, Tastatur, Arbeitsplatz, Schreibtisch, Stuhl, Licht und Arbeitsumgebung nicht auf den Mitarbeiter angepasst, so kann das zu Langzeitschäden an Rücken, Schultern, Arme, Beine, Handgelenke, Finger, Hals, Nacken und Augen führen.
Vinschgerwind: Wo setzt ein Arbeitssicherheitskurs an?
Heinz D’Angelo: Ein Arbeitssicherheitskurs sensibilisiert. Arbeitgeber sind sich oft nicht bewusst, welche große Verantwortung sie eigentlich tragen und was bei der alltäglichen Arbeit alles passieren kann. Ein tödlicher Arbeitsunfall kostet einem Betrieb zwischen 400.000 Euro und 600.000 Euro, ein Invalide zwischen zwei und drei Millionen Euro. Vor diesem Hintergrund gibt ein Arbeitssicherheitskurs viele Informationen und setzt positive Impulse. Denn diese Zahlen lassen schon aufhorchen. Darüber hinaus kann es passieren, dass eine Versicherung sich das Geld vom Arbeitgeber bzw. Verursacher holt – oder sogar vom Arbeitnehmer selbst. Von zivil- und strafrechtlichen Klagen ganz zu schweigen.