Mittwoch, 12 Dezember 2012 00:00

„…fürn Weihnachtswundr donkn“

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Portrait - Rosmarie Wegmann Tanzer, Schluderns

s15_0013Rosmarie hatte soeben das Geschäft mit Einkäufen verlassen, als sie Autogeräusche hörte. Instinktiv suchte sie Schutz auf der Rampe vor einer Mauer. Dann ging alles blitzschnell. Der schleudernde Wagen stieß sie samt der Mauer zu Boden. Bei vollem Bewusstsein lag sie da und spürte ihre blutenden Beine nicht mehr. Es war der Abend des 23. Dezember 2011, ein Tag vor dem Heiligen Abend.

Der Schock lähmte die Schmerzen. Doch schon kurz darauf setzten diese in voller Wucht ein. Im Rettungswagen verlor sie das Bewusstsein. Der Kampf um Leben und Tod begann. Eine Bluttransfusion folgte auf die nächste, bei der Erstversorgung, im Krankenhaus Schlanders, dann in Bozen. Dort gelang es einem jungen Chirurgen in fünfstündiger Operation die Gefäße zu verschließen und den Kreislauf zu stabilisieren. Vor der Tür wachten und bangten ihr Mann und die Töchter. Der Heilige Abend wurde zum traurigsten in ihrem Leben. Weinend beteten sie um ein Weihnachtswunder. Und dieses geschah. Die Ärzte bekamen ein Nierenversagen in den Griff, und Tage später konnte in der Intensivstation der Uniklinik Innsbruck eine Blutvergiftung abwendet werden. Am Dreikönigstag wachte Rosmarie dort auf und bat um ein Glas Wasser. Doch sie durfte nichts trinken. „Dr Durscht isch s Schlimmste gweesn“, erinnert sie sich. Ihr rechtes Bein war mit Hilfe von mehreren Hauttransplantationen stabilisiert worden, doch der linke Unterschenkel konnte nicht mehr gerettet werden. Gefasst nahm sie diese Tatsache hin. „Schun wenn`s passiert isch, hon i gwisst, dass i in Fuaß verlier“, erklärt sie. Am 22. Jänner kam sie endlich in die Normalstation. Groß war die Erleichterung: „Liabr lieg i do, alz oans fa meine Kindr“, tröstete sie sich. Sie wollte nicht hadern sondern kämpfen und wieder auf die Beine kommen. Nach weiteren Krankenhausaufenthalten in Schlanders und in der Reha-Abteilung in Meran kam sie im März ins Therapiezentrum nach Bad Häring, wo sie zuerst mit Krücken gehen lernte und dann mit der Prothese. Laufend überraschte sie ihre Besucher mit dem, was sie neu dazu gelernt hatte. Am 14. August war die Therapie abgeschlossen, und ihre Familie empfing sie daheim mit einem kleinen Fest. Nun stand sie vor der Herausforderung, sich im Alltag zu Recht zu finden. Auch wenn sie sich fortbewegen konnte, würde nichts mehr so sein wie vorher.
Bisher war Rosmarie mit ihrem Leben zufrieden gewesen. „I hon fan Leebm schun eppas kopp“, betont sie. Zusammen mit fünf Geschwistern wuchs sie in bescheidenen Verhältnissen auf. Glücklich war sie, als sie mit 14 Jahren eine Lehrstelle als Friseurin in Mals antreten konnte. Mit 16 Jahren verliebte sie sich in den Bauschlosser Albert Tanzer, den sie1964 heiratete und dem sie zwei Töchter schenkte. Rosmarie arbeite als Mitinhaberin in einen Friseursalon in Schluderns, den sie später allein weiter führte. Die Töchter wusste sie in der Obhut der Oma gut aufgehoben. Insgesamt 15 Jahre ging sie ihrem Beruf nach. Dann gab sie die Arbeit auf und übte ihr Handwerk nur noch gelegentlich im Freundeskreis aus. Ehrenamtlich frisierte und schminkte sie die Akteure der Heimatbühne oder der Nikolausumzüge. Eine neue erfüllende Aufgabe fand sie als „Tagesmutter“. Sie betreute insgesamt vier „Leihkinder“. Diese stehen ihr heute genauso nahe wie ihre eigenen.  „Di Glichnan sein wia ogane Kindr unt für maine Kindr wia Gschwister“, meint sie. Ihre große Leidenschaft galt dem Reisen. Sie war am Nordkap, in Island, in Feuerland, in China, in Iran, in Burma, in Südafrika, in Russland um nur einige Länder zu nennen. Kurz vor ihrem Unfall war sie in Krakau bei der „Schwarzen Madonna“. Beweglich und gesund  hielt sie sich durch lange Fußmärsche. Mehrmals wöchentlich drehte sie „ihre Runden“ in Begleitung oder allein. „Dass  i sou guat panond gwesn bin, hot miar s Lebm grettet“, ist sie überzeugt. Rosmarie ist eine gesellige, humorvolle und lebensfrohe Frau mit großem Freundeskreis. Nach dem Unfall erfuhr sie eine große Welle an Zuwendung. Viele warteten ungeduldig darauf, sie besuchen zu können. Nachdem das möglich war, verging kein Tag an dem nicht irgendjemand in der Tür stand. Das gab ihr Zuversicht und Kraft. „Gonz viele Lait hobm miar mit gute Gedonkn unt Gebete trogn“, unterstreicht  sie „Unt i hon in richtign Moment olm di richtign, Helfer, Ärzte, Pflegekräfte und Therapeuten kopp“. Sie ist allen dankbar. Kürzlich musste sie sich in Bad Häring ein zweites Mal ihre Prothese anpassen lassen, weil sich der „Mopper“, wie sie ihren Beinstumpf  liebevoll nennt, verändert hat. Es geht ihr den Umständen entsprechend gut. „Ma muaß s Beschte draus mochn unt vorwärts schaugn“, sagt sie.
Wieder steht der Heilige Abend vor der Tür. Auch heuer werden Tränen fließen,Tränen der Dankbarkeit und Freude, dass Rosmarie mitfeiern kann. „Unt miar wearn fürn Weihnachtswundr donkn“, sagt sie.

Magdalena Dietl Sapelza

Zeitung Vinschgerwind Bezirk Vinschgau


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