Buchtipp
Alina Herbing: Niemand ist bei den Kälbern (Arche Verlag, Zürich-Hamburg 2017, 224 S.)
Christin lebt in der norddeutschen Provinz. Eintönig ist das Leben am Hof ihres Lebensgefährten Jan, was ist ratsam, wenn der Stall zwar technisch mit allen Finessen ausgestattet ist, der Mann aber mit wenig Gefühl? Die Zügel hält er stramm, da kann das Kälber Tränken für sie schon freudlos werden. Damit das Landelend erträglich bleibt, versinkt sie in Sehnsüchten und Schnaps und wagt eine heikle Bekanntschaft. Wie lange? Man wartet gebannt auf den Moment, an dem Christin die Stallstiefel von sich schleudert.
Um das Paar spannt sich ein tristes Dorfpanorama, da hier keiner gern zu leben und mit Überzeugung zu arbeiten scheint. Beim Dorffest treffen sich an der Theke abgewrackte Gestalten. Obwohl die Linden ab und zu rauschen, ist mit romantischen Naturbeschreibungen ebenso wenig zu rechnen wie mit Freunden, auf die im Ernstfall Verlass ist. Wen wunderts, dass Christin im Affekt zu unerhörten Handlungen fähig ist … Bei aller Brutalität setzt sie damit zu dynamischen Gegenschlägen an, die dem Roman unberechenbare Spannung verleihen.
Die Ich-Erzählerin erreicht es, sich und andere nach vielen Jahren des tauben Erlebens zu spüren. Dadurch entlarvt sie, wie trostlos sich die tierische und menschliche Umgebung anfühlt. Mit starker Stimme führt sie durch diesen Debütroman, der trockene Humor vergeht ihr nicht.
Die Autorin zeichnet ein Anti-Dorfidyll – sie ist selbst im ehemaligen Grenzgebiet der DDR aufgewachsen und hat ihre Jugend dort verbracht.
Maria Raffeiner