„Mein Herzblut liegt in der Anerkennung der Berufsausbildung“

geschrieben von Ausgabe 3-19

s10sp34 8853Vinschgerwind: Sie sind Direktorin an der Landesberufsschule in Schlanders. Ist die  Ausbildung von Metallfacharbeitern, Bautechnikern, Maurern und Steinmetzen eine Männerdomäne?
Virginia Tanzer: Ja, eigentlich schon. Wir hatten und haben schon   Schülerinnen, die die Bautechnik besuchen bzw. besucht haben Eine unserer Schülerinnen ist jetzt als Maurerin tätig.

Berufe der Bau- und Metallbranche sind immer noch eine Männerdomäne, es handelt sich zum Großteil ja um schwere körperliche Arbeit. Dass allerdings in unserer Metallfachschule nur Jungs vertreten sind, ist schon interessant. In der Schweiz finden wir in dieser Ausbildung auch viele Mädchen.  Und, es tut mir persönlich leid, dass wir an unserer Schule für Mädchen nicht viel mehr anbieten können.

Vinschgerwind: Wie fühlt man sich als Direktorin in einer männerdominierten Ausbildungsstätte?
Virginia Tanzer: Der Beginn meiner Arbeit als Direktorin war recht spannend. Es waren Vorbehalte da, auch von männlichen Lehrerkollegen. Mittlerweile haben wir uns gegenseitig kennen gelernt und gegenseitiges Vertrauen gewonnen. Als Frau in dieser Position hat man nicht nur Nachteile.

Vinschgerwind: Wie meinen Sie das?
Virginia Tanzer: Wenn das Vertrauern der Lehrerschaft gewonnen ist, dann, so glaube ich, erhalten die Männer eine zusätzliche Qualität. Meine Erfahrung hat mir gezeigt, dass die Ergänzung Frau - Mann, Gutes bewirkt.

Vinschgerwind: Handwerk hat goldenen Boden – dieses Sprichwort gilt heute wieder besonders. Finden Ihre Schulabgänger tatsächlich mühelos einen Job?
Virginia Tanzer: Ja, tatsächlich mühelos. Zum einen die Lehrlinge, die zu uns kommen, stehen schon in einem Lehrverhältnis, d.h. sie haben eine Lehrstelle, bzw. einen Arbeitsvertrag. Zum anderen die Vollzeitschüler der Fachschulen, die mit sehr lukrativen Angeboten von den Betrieben abgeworben werden. Die Schüler geraten durch solche Angebote in einen regelrechten Zwiespalt. Dazu muss man wissen, dass Absolventen unserer Fachschulen bereits nach der 3. Klasse einen vollwertigen Abschluss haben und somit in die Arbeitswelt eintreten können. Sie können aber auch ihre schulische Ausbildung fortsetzen und die 4. Klasse besuchen und dann nach einem 5.Jahr die Matura machen.  

Vinschgerwind: Die Schüler, die eine 4. Klasse besuchen, verzichten auf einen lukrativen Job, um die Ausbildung weitermachen zu können?
Virginia Tanzer: So ist es. Allerdings ist der Zwiespalt bei manchen Schülern schon gut spürbar. Aber Geld allein sollte nicht locken.

Vinschgerwind: Angesichts der Tatsache, dass Schüler von Betrieben aufgesaugt werden, klingt Folgendes skurril: „Auswendig lernen, unflexibel, Langeweile, rumsitzen, Theorie...“ unter anderem mit diesen Worten hat der LVH jüngst eine Kampagne für das Handwerk gestartet. Leidet das Handwerk dermaßen unter einem schlechten Image, dass man die Oberschulen hart angreifen muss?
Virginia Tanzer: Diese Kampagne hat weder uns noch den Oberschulen staatlicher Art gefallen. Ich finde diese Aktion provokativ, ich glaube, dass es beide Ausbildungswege braucht. Ich bin sehr wohl eine Verfechterin der beruflichen Ausbildung, gerade weil die Wege vielseitig sind. Eine Schülerin, ein Schüler der Berufsbildung kann ebenso Matura machen und weiterstudieren wie ein Absolvent der Oberschule staatlicher Art, er kann aber auch im Handwerk tätig sein, als Geselle oder als Meister im Betrieb arbeiten, den Weg in die Selbständigkeit gehen.  Mein Herzblut liegt zweifelsohne in der Anerkennung der Berufsausbildung. Sie ist in der Gesellschaft immer noch nicht gebührend verankert. Ich gebe zu bedenken, dass der beste Architekt nichts erreichen kann, wenn er nicht mit einem Handwerker zusammenarbeitet und umgekehrt. Kampagnen, bei denen die einen gegen die anderen ausgespielt werden sollen, sind nicht in meinem Sinne.  

Vinschgerwind: Die Landesberufsschule stellt einige Werkräume der technischen Fachoberschule zur Verfügung. Verläuft die Zusammenarbeit reibungslos?
Virginia Tanzer: Ja  die Zusammenarbeit verläuft reibungslos.

Vinschgerwind: Sie haben bei der Diplomübergabe die längst fällige und sehnsüchtig erwartete Werkhalle für Hoch- und Tiefbau bei Landesrat Philipp Achammer angemahnt. Wird in der Landesregierung das Handwerk bzw. die Ausbildung an der Landesberufsschule geringgeschätzt?
Virginia Tanzer: Nein, im Gegenteil. Die Ausbildung an den Landesberufsschulen wird in der Landesregierung hochgehalten. Das Problem war, dass der Neubau der TFO und der Neubau der Hoch- und Tiefbauhalle gleichzeitig geplant waren. Ich habe damals auf den Bau der Hoch- und Tiefbauhalle verzichtet, damit der Bau der TFO weitergehen konnte. Für beide Vorhaben war nicht genügend Geld da.

Vinschgerwind: An der Landesberufsschule in Schlanders ist das Angebot breit gefächert. Welches sind die Angebote?
Virginia Tanzer: Im dualen System, der Lehrlingsausbildung, bieten wir die schulische Ausbildung der Maurer, Maler, Fliesenleger, Verkäufer und Tiefbauer. Maler, Fliesenleger und Tiefbauer werden südtirolweit ausschließlich in Schlanders ausgebildet. Die Verkäufer haben in den Landesberufsschulen überall die schulische Ausbildungsmöglichkeit und die Maurer werden neben Schlanders auch in Bruneck ausgebildet. In  der Fachschule für die Bautechnik werden Maurer und Zimmerer ausgebildet, mit einem breiten Wissen was den Bausektor betrifft. Sie haben die Gesamtübersicht auf der Baustelle.  In der Fachschule für Metalltechnik werden Metalltechniker und Maschinenschlosser ausgebildet. Sie sind Fachkräfte für Produktentwicklung und Fertigung im Maschinen- und Stahlbau. In der Fachschule für die Steinbearbeitung werden Steinmetze und Steinbildhauer ausgebildet

Vinschgerwind: Eine im europäischen Raum weithin einzigartige Ausbildung wird in Laas der Fachschule für Steinbearbeitung angeboten. Wie ist der Zuspruch dort?
Virginia Tanzer: Wir stehen unheimlich gut da. Wir haben jüngst eine erfolgreiche Aktion gestartet - eine berufsbegleitende Ausbildung mit dem Namen „Die freie Steinbildhauerei“. Da haben sich hauptsächlich Akademiker gemeldet, die sich in der dreidimensionalen Kunst weiterbilden möchten. Diese Ausbildung geht über zwei Jahre, samstags und sonntags. Man stelle sich vor: Mein Lehrpersonal der Steinmetzschule arbeitet samstags und sonntags und die Kursteilnehmer nehmen sich viele Wochenenden Zeit für diese Weiterbildung. Der Kurs ist mit 8 Teilnehmern vollbelegt und es gibt eine Warteliste. Grundsätzlich aber schreiben sich an der Steinmetzschule wieder vermehrt Schüler/innen aus dem Vinschgau und aus Südtirol ein. Nach dem 3. Schuljahr können die Schüler/innen als ausgebildete Steinmetzen und nach dem 4. Jahr als Steinbildhauer in die Arbeitswelt eintreten. In der Meisterklasse, in die sozusagen ein Jahr Auszeit gesteckt wird, kommen Studierende vor allem aus Deutschland, aus Österreich und aus der Schweiz. Wir pflegen auch einen guten Austausch mit 11 Holzbildhauerschulen in Deutschland, in Österreich und in der Schweiz. Jeweils 2 Schüler pro Schule können zu einem bestimmten Thema eine Woche lang nach Laas kommen. Alle Schulen nehmen dieses Angebot wahr. Auch haben unsere Schüler in Gegenzug dazu die Möglichkeit sich eine Schule aussuchen und in dieser eine Woche zu arbeiten.

Vinschgerwind: Welche Eigenschaften würden Sie bei den Mittelschulabgängern orten, um diese in die Landesberufsschule nach Schlanders einzuladen?
Virginia Tanzer: Die Leidenschaft zum Gestalten, Konstruieren, Planen, die Lust auf praktisches Arbeiten verbunden mit Hintergrundwissen sind eine gute Voraussetzung für einen lohnenden  Schulbesuch. Leider machen wir immer wieder die Erfahrung, dass Mittelschulabgängern mit relativ guten Zeugnisnoten oft geraten wird eine allgemeinbildende Oberschule zu besuchen, auch wenn das Interesse an einer berufsbildenden Schule größer wäre.

Interview: Erwin Bernhart

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