Der in Salzburg geborene Joseph Mohr schrieb als junger Hilfspriester bereits im Jahr 1816 in Mariapfarr im Salzburger Lungau die berührenden Gedicht-Strophen „Stille Nacht! Heilige Nacht!“. Zwei Jahre später lernte er in Oberndorf bei Salzburg den Lehrer Franz Xaver Gruber kennen und händigte ihm das Gedicht mit der Bitte aus, dazu eine Melodie zu komponieren. Franz Xaver Gruber schien die Tiefe dieser Worte auf Anhieb zu erfassen: Er komponierte ein Lied im wiegenden Siciliano-Rhythmus. Ein Wiegenlied für das neugeborene Jesuskind. Ein Wiegenlied für uns alle. Ein Lied, in dem sich jeder von uns wiederfinden kann. Sich geborgen und aufgehoben fühlt. Der Bekanntheitsgrad des Liedes mag wie ein Wunder anmuten, aber es ist keines. Das Lied ist ein Geniestreich! Vorgetragen wurde es von den beiden in der St. Nikola-Kirche in Oberndorf. Über den Zillertaler Orgelbauer Carl Mauracher gelangte das Lied nur wenige Jahre danach nach Tirol, wo Anfang der 1830er Jahre das Tiroler Nationalsängertum entstand. Hochmusikalische Bauernfamilien zogen als fahrende Warenhändler durch Europa und traten vor Publikum auf. Vor allem die Geschwister Strasser und die Rainer-Sänger aus dem Zillertal machten das Lied international bekannt: Von Europa, über Amerika und bis nach Russland. Die weitere Verbreitung erfolgte über Missionare. Das Lied ist längst ein „Welthit“. Es gibt kaum einen Weltstar, der das Lied nicht irgendwann einmal in seiner musikalischen Karriere interpretiert und aufgenommen hat. Es ist ein Bestseller. Ein Selbstläufer. Man hört sich niemals ab, vielleicht weil es einer ganz bestimmten Zeit im Jahr vorbehalten ist: Der Vorweihnachtszeit, dem Advent und dem Heiligen Abend. Es ist das die Zeit, in der wir uns wieder auf das Wesentliche besinnen möchten: Auf die Familie und das friedvolle Miteinander. Auf die Schlichtheit und den wahren Sinn des Lebens. All das spiegelt sich in „Stille Nacht! Heilige Nacht!“ und so scheint es zeitlos modern. Der Salzburger Musikschriftsteller und Dramaturg Professor Gottfried Kasparek erklärt, worin dessen Zauber besteht: Es ist ein schlichtes Wiegenlied im getragenen Siciliano-Rhythmus. Dem sagt man Zärtlichkeit und schöne Melancholie nach. Im Barock und in der Klassik wurde er oft für Hirtenidyllen verwendet, nicht nur geistliche, auch sehr weltliche. Der Text lässt sich gut übersetzen. Dem Zauber der innigen Komposition können selbst Menschen nicht entkommen, die anderen Religionen angehören oder Atheisten sind. Dies hat damit zu tun, dass sich darin die Kraft der Weihnachtsgeschichte in einfachen Worten und Motiven spiegelt. Dass die Musik nicht triumphierend klingt, sondern anrührend. Manche Menschen rührt das Lied zu Tränen, was am Schwermut-suggerierenden Rhythmus liegen mag – auch Pamina weint sozusagen singend. Andere bewegt es eher zu einem glücklichen Lächeln. Man kann dazu sogar unter Tränen lachen. Das Lied ist nicht liturgisch und streng, es ist ein Liebeslied für ein neugeborenes Kind. Es ist ein Lied des Friedens, voll klingender Spiritualität, die Grenzen überwindet. Und es ist zeitlos. Es gehört all jenen in der Welt, die guten Willens sind. Und für einen Prominenten wie Bundespräsident a.D. Dr. Heinz Fischer ist Stille Nacht: „Weihnachten war für mich als Kind ein ganz besonderes, großartiges, geheimnisvolles Ereignis, dem ich schon wochenlang entgegenfieberte und der entscheidende Punkt war, wenn meine Schwester und ich am Heiligen Abend eine helle Glocke läuten hörten, die Tür zum Wohnzimmer aufging, der Weihnachtsbaum im Kerzenlicht vor uns stand und wir zu viert – von meinem Vater auf der Gitarre begleitet – voller Rührung „Stille Nacht, Heilige Nacht“ gesungen haben. Das Zusammengehörigkeitsgefühl und das Gefühl der Geborgenheit in diesen Momenten bleiben unvergesslich.“
Andreas Waldner
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