Ich habe zwei Schwestern und zwei Brüder, welche ebenfalls im Ausland leben. Mein Vater besitzt ein Bekleidungsgeschäft, wo ich aushalf, um mein Studium zu finanzieren. Er war schon 1981 nach Südtirol gekommen mit dem Vorhaben, sich hier niederzulassen, doch er vermisste seine Familie so sehr, dass er nach Marokko zurückkehrte.
Im Jahre 1992 beschloss ich alleine eine mehrmonatige Reise durch Europa zu machen, welche in Trient bei meinem Cousin beginnen sollte. Da das Geld für einen Flug zu knapp war, fuhr ich mit dem Bus 24 Stunden lang bis nach Barcelona, dort übernachtete ich und fuhr am nächsten Tag weiter bis nach Mailand. Als ich in Trient angekommen war, wollte ich eine Arbeit für zwei Monate suchen, um die Rundreise zu finanzieren. Ich begann als Abspüler und arbeitete mich hoch zum Kellner. Da der Verdienst gut war und ich mich wohl fühlte, entschied ich, in Südtirol zu bleiben. Als ich von Trient nach Kaltern kam, bemerkte ich, dass hier eine ganz andere Sprache gesprochen wird. Ich entschied mich, einen Deutschkurs zu belegen, weil ich mich anpassen wollte. Anfangs war es für mich nicht so leicht, da ich mich kaum verständigen konnte.
Dadurch dass ich später die Sprache gut beherrschte, lernte ich viele Einheimische kennen und wurde gut in die Gesellschaft integriert. Meiner Meinung nach kann sich jeder Ausländer integrieren und hat keine Probleme, solange man sich anständig verhält. Wenn ich heute in eine Bar gehe, kennen mich die Menschen und ich kann mit vielen reden. Als ich vor sieben Jahren Urlaub in Marokko machte, lernte ich meine Frau kennen, welche dann bald danach auch nach Südtirol kam. Wir heirateten in Marokko. Wir haben drei gemeinsame Kinder, die alle in Schlanders geboren sind und den deutschen Kindergarten beziehungsweise die Kita besuchen. Zuhause sprechen wir arabisch, meine Muttersprache. Religion bekommen meine Kinder von mir keine aufgezwungen und ihre Zukunft sehe ich in Südtirol, da hier ein viel besseres Schulsystem ist. Das Wichtigste, das ich in Südtirol gelernt habe, ist die Arbeitsmoral. Diese wird in Marokko ganz anders gesehen, denn dort will man für wenig Arbeit viel Geld. Ich arbeitete sogar schon mit Fieber, denn ich liebe meine Arbeit und will für meinen Verdienst auch etwas dazu beitragen.
Einmal im Jahr besuche ich meine Familie in Marokko, denn am meisten vermisse ich meine Mutter. Ich dachte nie, dass ich es in Südtirol so weit bringen würde, da ich mit gar nichts gekommen bin. Ich sage mir immer wieder, wenn man „voglia hot, konn men olls erreichn!“
Milena Rainalter und Johanna Wellenzohn
Dieses Portrait entstand im Rahmen des Projekts „Zuhause in der Ferne“ im Schuljahr 2011/12 in der 3B des Sprachengymnasiums Schlanders. Das Projekt begleitet hat die Fachlehrerin für Deutsch Helga Karner. Der Vinschgerwind bedankt sich bei den Schülerinnen, der Fachlehrerin und den Portraitierten, dass wir die Portraits – dieses und weitere - veröffentlichen dürfen.