Die Infrastrukturen, die Räumlichkeiten, und die motivierten Ärzte sind bemerkenswert, aber am meisten beeindruckt hat mich die Tatsache, dass das KH Schlanders einen Stock für die CHRIS Studie bereitgestellt hat. Solche Studien werden normalerweise an Universitätskliniken gemacht und zeigen von einer Weitsicht, die verstanden hat wohin sich die heutige Medizin bewegt. Die moderne Medizin bewegt sich weg von einem empirischen Ansatz, wo Erfahrungswerte verwendet werden um Therapieentscheidungen zu treffen zu einer kausalen Analyse wo die Ursachen der Krankheit zuerst gefunden und dann gezielt behandelt wird. Und bei der CHRIS-Studie wird diese Strategie verwendet: man sucht Netzwerke von Genen, die Krankheiten besonders im neurologischen Bereich auslösen. Da hat der Leiter der CHRIS Studie Professor Peter Pramstaller hervorragende Arbeit geleistet.
Vinschgerwind: Wie sehen Sie den Nutzen der CHRIS-Studie?
Prof. Bernd Gänsbacher: Die CHRIS Studie sucht die genetischen Ursachen von Krankheiten. Da die Gene vom Vater und Mutter an das Kind weitergegeben werden und nicht bei jedem Kind neu hergestellt werden, kann man daran ablesen welche Krankheiten oder Veranlagungen diese Gene im jeweiligen Träger über die verschiedenen Generationen verursacht haben. Was mich im Vinschgau beeindruckt ist wie viele Menschen und Familienmitglieder sich bei der Studie beteiligen und beitragen Fortschritte in der Medizin zu ermöglichen.
Es werden eine Menge von Daten von Essgewohnheiten, Blutdruck, EKG bis zu Blutanalysen mit den modernsten molekularen Maschinen und Methoden analysiert. Diese Daten und Gewebeanalysen sind so wertvoll, dass Europaweit sich Wissenschaftler gemeldet haben, die bei der Datenanalyse mitarbeiten wollen. Ich war überrascht bei meinem Besuch im KH Schlanders eine Gruppe von Wissenschaftlern von einer der führenden deutschen Universitäten vorzufinden. Sie beteiligen sich an den Untersuchungen und waren vor Ort um auch die Patienten zu untersuchen.
Ich erlebe jeden Monat bei der Medikamentenzulassungsbehörde EMA in London, wo Medikamente zugelassen werden die gezielt bei Defekten einzelner Gene eingesetzt werden, wie wichtig diese Art von Studie wie die CHRIS Studie ist. Sie wird es erlauben neue Medikamente zu entwickeln, die gezielt bei Gendefekten, die man bei Vinschgauer Patienten gefunden hat, einzuwirken.
Vinschgerwind: Welche Chancen hat aus Ihrer Sicht ein peripheres Krankenhaus wie es in Schlanders ist?
Prof. Bernd Gänsbacher: Ich habe bei meinem Besuch auch mit dem Ärztlichen Direktor Primar Dr. Anton Theiner gesprochen. Ein sehr besorgter umsichtiger Arzt, der die beste medizinische Versorgung für die Vinschgauer Patienten will. Es wird ja ein Einzugsgebiet von ca. 40.000 Menschen versorgt. Er hat betont, wie sehr sich der Ärztemangel bemerkbar macht und wie wichtig die Ausbildung von Jungärzten vor Ort wäre, die jetzt nicht mehr möglich ist. Viele Südtiroler Ärzte sind im Ausland und werden dort ausgebildet. Oft kommen sie nicht mehr zurück.
Ich glaube, dass es wichtig ist die Bevölkerung vor Ort optimal medizinisch zu versorgen. Natürlich auch im Vinschgau. Dazu braucht es ein gutes Krankenhaus, mit einer funktionierenden Infrastruktur, Computervernetzung mit elektronischer Datenverarbeitung, gut ausgebildeten Ärzten in den verschiedenen Abteilungen und Qualitätskontrollen.
Ich denke, dass man viele Probleme wie Ärztemangel, Arbeitsmoral und Zukunftsperspektiven der Jungärzte beeinflussen kann, wenn es gelingt die Südtiroler Krankenhäuser als Lehrkrankenhäuser an eine Universität anzuschließen. Denn Lehrkrankenhäuser einer Universität sind charakterisiert durch Rotationen von Ausbildungsärzten, Rotationen von Medizinstudenten, tägliche Lehrveranstaltungen für die jungen Ärzte, Beteiligung an medizinischen klinischen Studien, wie z.B. die CHRIS Studie mit anschließenden hochwertigen Publikationen. Außerdem muss sich das Südtiroler Gesundheitssystem den neuen Entwicklungen der Digitalisierung, Telemedizin und elektronische Patientenakte stellen.
Die Menschen in Schlanders und im Vinschgau werden weiterhin vor Ort in einem guten Krankenhaus mit allen notwendigen Abteilungen durch hervorragende Ärzten versorgt werden. Nichts anderes kann angestrebt werden.
Interview: Erwin Bernhart