Charakteristisch ist der Blütenaufbau der Orchideen. Die Blüten sind monosymmetrisch und drehen sich beim Aufblühen um 180 Grad, so dass die obere Seite der Blütenknospe die Unterseite der entfalteten Blüte bildet. Die oberen, äußeren Kronblätter bilden dann bei mehreren Arten eine helmartige Blütenhaube. Für die Bestimmung der einzelnen Arten geben die Ausformung der sogenannten Lippe im unteren Blütenteil und des Sporns im hinteren Blütenabschnitt wichtige Hinweise.
Die Braunelle (oder das Kohlröschen - Nigritella nigra) mit ihren schwarzpurpurnen Blüten und deren starken Geruch nach Vanille kennen viele von Ihnen von Bergwanderungen, die über Magerrasen oberhalb der Baumgrenze geführt haben. Auch die als Pantoffel ausgebildete, zitronengelbe Lippe des Frauenschuhs (Cypripedium calceolus) ist allgemein bekannt. Aber haben Sie die Pflanze in der Natur schon bewundern können?
Im heutigen Beitrag möchte ich Ihnen 8 einheimische Orchideen-Arten im Bild, 5 davon auch im Kurztext vorstellen, welche seit Mitte Juni gleichsam als Schöne am Straßenrand der Stilfserjoch-Straße an deren Vinschgauer und Veltlintaler Rampe in verschiedenen Höhenstufen und Lebensräumen blühen. Alle Orchideen-Arten gehören zu den geschützten Pflanzen und ich ersuche Sie als sensible Artenschützer das Pflück- und Ausgrabungsverbot zu beachten.
Noch ein Hinweis zu den Fotografien: Die Bilder auf der zweiten Seite zeigen links den Gesamthabitus der jeweiligen Art und rechts die Blütendetails. Die Detailaufnahmen von den Einzelblüten der jeweiligen Orchideen vergrößern die Blüten im Foto gegenüber ihrer natürlichen Größe an der Pflanze. Für die interessierten Fotografen unter den Leserinnen und Lesern: Die Fotos wurden mit der Digitalkamera Nikon D 700 und dem Objektiv AF Micro Nikkor 105 mm 1:2,8 D aufgenommen.
Grüne Hohlzunge – Coeloglossum viride – Celoglosso verde
Kleine Orchideen-Art der alpinen Magerrasen. Die Pflanze wird nur ca. 10 – 15 cm hoch. Die Blätter sind bläulich grün, rundlich bis länglich lanzettlich. Die kleinen, nur bis maximal 1 cm großen Einzelblüten stehen in einer schmalen Ähre, sind gelblichgrün, rotbraun oder rot. Von den Kronblättern bilden die oberen (Sepalen genannt) und die unteren (Petalen) einen Helm. Die Lippe ist länglich, dreilappig, der Mittellappen ist kleiner. Der Sporn ist sehr kurz. Die Art blüht von Juni bis August in Magerrasen und Bergweiden und kommt bis auf 2.500 Meter Meereshöhe vor.
Braunrote Sumpfwurz – Epipactis atrorubens – Eleborine violacea
Schlanke Pflanze, die mit 60 bis 80 cm Wuchshöhe nicht selten auch recht hoch wird. Stängel nicht selten kurvig, rot überlaufen und flaumhaarig. Blätter breit, am Stängel in 2 Reihen angeordnet. Blüten klein, dunkel weinrot oder rötlich violett, nach Vanille duftend. Die Lippe ist kürzer als die Sepalen. Blütezeit Juni bis August. Wächst in trockenen Nadelwäldern und in Trockenrasen bis über 2.000 m MH. Recht häufig am Wandersteig zwischen der Franzenshöhe und der Berglhütte im Trafoital.
Mücken-Handwurz – Gymnadenia conopsea – Gimnadenia delle zanzare
Pflanze schmal, kann bis 70, 80 cm hoch werden. Wo sie vorkommt, oft gehäuft in Gruppen stehend. Stängel steif aufrecht, rund, hellgrün. Laubblätter kräftig grün, lanzettlich und gekielt, die oberen begleiten den Stängel. Ähre reichblütig. Blüten klein, rosarot bis violettrosa, duftend. Petalen helmbildend. Lippe kurz 3lappig. Charakteristisch ist der lange, dünne, spitze Sporn, der nach unten weist. Blütezeit Mai bis August. Kommt in trockenen und feuchten Wiesen vor, in lichten Wäldern und alpinen Rasen auf basichen, mitunter auch schwach sauren Böden. Ist unsere häufigste Orchideenart.
Waldhyazinthe oder Zweiblättrige Kuckucksblume – Platanthera bifolia – Platantera a fiori bianchi
Pflanze zierlich, bis 60 cm hoch, Stängel mitunter etwas kurvig, 2 grundständige, oval elliptische, glänzend grüne Blätter. Blüten gelblich oder grünlichweiß, nach Maiglöckchen duftend. Lippe ungeteilt, zungenartig schmal und lang. Der Sporn ist fadenartig dünn und sehr lang. Blütezeit: Mai bis Juni. Wächst in lichten Wäldern, darunter auch im Latschen- und Krummholzgürtel und in Sumpfwiesen bis 2.000 Metern MH.
Frauenschuh – Cypripedium calceolus – Pianella della Madonna o Scarpetta di Venere
Pflanze schlank, jedoch kräftig. Blätter oval bis lanzettlich, stark gerippt und am Rande gewellt, hellgrün. Blüten meist einzeln, auffällig groß (6-9cm) mit rotbraunen ausgebreiteten oberen Kronblättern und pantoffelförmiger zitronengelber Lippe, welche als Insektenfalle für die Bestäubung dient. Blütezeit: Mai-Juli. In schattigen Wäldern, unter Latschen auf basischen Böden bis auf 1.900 m MH.
Wolfgang Platter (11), Archiv Nationalpark Stilfserjoch Walter Anselmi (1) und Valentino Martinelli (1)