Dienstag, 29 November 2011 00:00

„Sich Ausziehende“

Artikel bewerten
(0 Stimmen)

grasser-Sonnenaufgang und Sonnenuntergang. Die 18 cm große Bronzefigur trägt den Titel „Sich Anziehende“ korrigiert mich der Ulrich. Mit diesem Hinweis entsteht Verlegenheit. Da steh ich nun da als einer, der eine sich Anziehende „auszieht“.  Eine Frau amüsiert sich über diese Verwechslung und macht sich Gedanken: Die Einsamkeit des Menschen ganz allgemein. Anziehen oder ausziehen...  Stimmung des Überganges. Vom Traum in das Wachsein, oder umgekehrt. Wir verlassen eine vertraute Ebene. Wir häuten uns, wie eine Schlange.
Es geht nicht um erotische Erwartungen. Die Einsamkeit ist nicht Verzweiflung. Es ist auch die Einsamkeit am Kreuz. Grasser hat Jesus immer wieder dargestellt. Leidend, sicherlich, aber immer wieder auferstehend, voll Sehnsucht. Erlösend auf Goldgrund, wie über dem Volksaltar der Kortscher Pfarrkirche. Der menschliche Körper wird zum Lob der Schöpfung.
Karl Grasser macht mit jungen Künstlern Malkurse, auch Aktzeichnungen, wie auf einer Akademie. Ganz selbstverständlich hier  im Vinschgau, überall. So sehr wird das jetzt angenommen, dass er als Aufklärer gilt. Lehrer ist er vor allem, aber auch ein sanfter Revolutionär, der eine Buchvorstellung im Kulturhaus von Schlanders zum Volksfest werden ließ. Natürlich mit Hilfe vieler Frauen und mit ihren Köstlichkeiten. Es entsteht grasser2eine neue Festkultur und zwar - und das ist neu - mit Beteiligung der ganzen Bevölkerung. Alle machen sie mit, der Bürgermeistern ebenso wie die Vereine, die einfachen Menschen und auch die komplizierten.
Das war nicht immer so. Ob sich der Karl an die Baukommission erinnert, als er noch von den Mächtigen des Geldes und der Meinungsbildung regelrecht verwünscht wurde? Er hat den Baulöwen widersprochen und manches Unheil verhindert. Er hat gekämpft gegen die Profitgier, wie der heilige Georg gegen den Drachen. Sein schönes Haus mit dem Atelier liegt am Ausgang der Georgenschlucht.
Gewaltige Edelkastanien leiten über zum Sonnenberg. Dort wird er fündig. Das Schnitzmesser durchpflügt das Holz. Schollen von Licht und Schatten brechen auf. Die Schatten wohnen im Gemäuer, in den Rinden der Bäume, in Hofräumen, unter den Dächern. Sie krallen sich in die Runsen der Sonnleiten und steigen ins Tal, durch Trockenmauern ins Dorf. In die Seele der Menschen. „Als Kind hatte ich Angst vor den Schatten ... später habe ich die Angst überwunden, denn zum Schatten kam das Licht“.
Karl Grasser hat seit seinem Wiener Akademiestudium - abgesehen von einigen Kunstreisen - sein Heimattal nicht mehr verlassen. Der Formenreichtum hält ihn hier gefangen. Und lockt seine Freunde. Besonders eng verbunden ist er mit den Künstlern des Landecker Oberlandes. Mit ihnen geht er noch immer zeichnen und malen und immer ist es die bäuerliche Welt, der Dialog von Haus und Hang, von grasser3Zaun und Horizont.  Aus dem Schwarz der Holzschnitte und der Zeichnungen steigt Farbe wie die Saat aus dem Acker. Tiere, Strukturen, die Dachlandschaft von Kortsch, aber auch der Besinnungsweg nach St. Ägidius mit den Rosenkranzkapellen.
Lieber Karl, Deine Arbeit stiftet Frieden, sie gefällt nicht nur, sie nützt auch den Zweiflern. Deine Kunst wird zum Anker, mit dem man festmachen kann in den Stürmen dieser oberflächlichen, verrückt gefährlichen Welt.

Hans Wielander

Zeitung Vinschgerwind Bezirk Vinschgau


Warning: count(): Parameter must be an array or an object that implements Countable in /www/htdocs/w00fb819/vinschgerwind.it/templates/purity_iii/html/com_k2/templates/default/item.php on line 248
Gelesen 2618 mal

Schreibe einen Kommentar

Make sure you enter all the required information, indicated by an asterisk (*). HTML code is not allowed.

Ausgaben zum Blättern

titel 23-24

titel Vinschgerwind 22-24

titel vinschgerwind 21-24

 sommerwind 2024

 

WINDMAGAZINE

  • Jörg Lederer war ein Holzschnitzer aus Füssen und aus Kaufbeuren. Die Lederer-Werkstatt hat viele Aufträge im Vinschgau umgesetzt. Wer will, kann eine Vinschgautour entlang der Lederer-Werke machen. Beginnend in Partschins.…
    weiterlesen...
  • Die Burgruine Obermontani bei Morter am Eingang ins Martelltal wurde für einen Tag aus ihrem "Dornröschenschlaf" wachgeküsst. von Peter Tscholl Die Akademie Meran, die Gemeinde Latsch und die Bildungsausschüsse Latsch…
    weiterlesen...
  • Vinschger Radgeschichten - Im Vinschgau sitzen alle fest im Sattel: Vom ultraleichten Carbon-Rennrad bis hin zum E-Bike mit Fahrradanhänger, Klapprad, Tandem oder Reisefahrrad. Eine Spurensuche am Vinschger Radweg. von Maria…
    weiterlesen...
  • Kürzlich wurde von den Verantwortlichen im Vintschger Museum in Schluderns das Kooperationsprojekt Obervinschger Museen MU.SUI gestartet. Es handelt sich um den gemeinsamen Auftritt der Museen in Schluderns VUSEUM/Ganglegg, Mals, Taufers…
    weiterlesen...
  • Blau, dunkelgrün, schneeweiß schäumend, türkis oder azur - Wasserwege im Vinschgau von Karin Thöni Wasser ist Quell des Lebens und unser kostbarstes Gut. Aber es wird knapper. Der „Wasserfußabdruck“ jedes…
    weiterlesen...
  • Martin Ohrwalders Liebe zu den Pferden muss ihm wohl in die Wiege gelegt worden sein. Bereits im Alter von drei Jahren schlug er seiner Mutter vor, die Garage in einen…
    weiterlesen...
  • Manfred Haringer ist Sammler, Modellbauer und Heimatforscher. Im letzten Jahr konnte er seinen alten Traum verwirklichen. In seinem Elternhaus in Morter, wo bis Ende des Zweiten Weltkrieges die Dorfschule untergebracht…
    weiterlesen...
  • Die historische Bedeutung von Schlossruinen und ihre Geschichte faszinieren die Menschen. Mit mehreren Revitalisierungsmaßnahmen erwacht derzeit die Ruine Lichtenberg in der Gemeinde Prad am Stilfserjoch zu neuem Leben. von Ludwig…
    weiterlesen...
  • Il grano della Val Venosta era conosciuto e apprezzato in tutto l' impero Austroungalico. Testo e Foto: Gianni Bodini Oggi sono i monotoni ed estesi meleti punteggiati da pali in…
    weiterlesen...
  • Questa importante strada romana attraversava tutta la Val Venosta. Testo e Foto: Gianni Bodini Iniziata da Druso nel 15 a.C., venne completata dall’imperatore Claudio Cesare Augusto. Questa importante via transalpina…
    weiterlesen...
  • von Annelise Albertin Das Val Müstair mit seiner intakten Naturlandschaft und den kulturellen Besonderheiten ist das östlichste Tal der Schweiz. Es liegt eingebettet zwischen dem einzigen Schweizerischen Nationalpark, den „Parc…
    weiterlesen...
  • Eine Symbiose zwischen der Geschichte und dem Lebensraum rund um das kunsthistorische Hotel „Chasa Chalavaina“ im benachbarten Val Müstair von Christine Weithaler Das Hotel Chasa Chalavaina wurde am 13. November…
    weiterlesen...

Sommerwind 2024

zum Blättern

Sommer Magazin - Sommerwind 2024 - Bezirk Vinschgau Südtirol - Wandern, Menschen, Urlaub, Berge, Landschaft, Radfahren, Museen, Wasser, Waale, Unesco, Tourismus

wanderfueher 2024 cover

zum Blättern

Wanderführer 2024 - Bezirk Vinschgau Südtirol - Traumhafte Touren Bergtouren Wanderungen Höhenwege

 

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.