Die Schweiz wird bei uns dann gern zitiert, wenn es gilt ein Vorbild darzustellen. Vor allem als Ideal, als Ideal in Sachen direkte Demokratie, auch in Sachen Wirtschaft.
Derzeit betrifft ein Skandal in unmittelbarer Nähe, im Unterengadin, das Val Müstair eingeschlossen, beide Bereiche: die Wirtschaft und die Politik, genauer die Bauwirtschaft und die Bündner Kantonspolitik. Denn unmittelbar vor den Erneuerungswahlen für die Regierung sowie den Grossen Rat am 10. Juni (vergleichbar mit einer direkten Wahl der Landesregierungsmitglieder und in getrennter Wahl der Landtagsabgeordneten) platzt ein handfester Skandal in den Wahlkampf.
Es geht um Preisabsprachen zwischen Baufirmen im Unterengadin. In den Graubündner Medien tobt eine entfesselte Berichterstattung. Einen Kandidaten für die Kantonalregierung hat es bereits den Kopf gekostet. Andreas Felix von der Bürgerlich - Demokratische Partei (BDP) Graubünden ist am 27. April von seiner Kandidatur zum Regierungsrat zurückgetreten. Auch als Präsident der BDP ist er zurückgetreten. Andreas Felix ist auch Geschäftsführer des Graubündner Baumeisterverbandes (GBV).
Am Tag vor dem Rücktritt von Felix hat die Schweizer Wettbewerbsbehörde (WeKo) die Bombe veröffentlicht, die dann zu einem Orkan in den Medien, in der Politik und auch im Baugewerbe geführt hat. Weil viele Vinschger Pendler in der Schweizer Baubranche arbeiten, sei die Mitteilung der Wettbewerbsbehörde vollinhaltich wiedergegeben:
„Bern, 26.04.2018 - Im Unterengadin manipulierten Bauunternehmen über Jahre hinweg Beschaffungen im Hoch- und Tiefbau. Sie sprachen die Preise ab und legten fest, wer den Zuschlag erhalten soll. Die Wettbewerbskommission (WEKO) hat die Unternehmen mit rund CHF 7.5 Mio. gebüsst.
Die WEKO hat eine weitere kartellrechtliche Untersuchung im Kanton Graubünden abgeschlossen. Die Wettbewerbsbehörde stellte fest, dass Bauunternehmen in verschiedenen Kartellen mehrere hundert Ausschreibungen im Hoch- und Tiefbau abgesprochen hatten. Die Bauunternehmen stimmten jeweils untereinander ab, welches von ihnen den Auftrag erhalten soll. Meist wurden gleichzeitig die Offertpreise bestimmt.
Einen Teil der Kartelle führten die Bündner Bauunternehmen systematisch und über mehrere Jahre hinweg durch. Diese Abreden wurden zum Teil an den vom bündnerischen Baumeisterverband organisierten Vorversammlungen getroffen.
Die Kartelle betrafen Ausschreibungen des Kantons Graubünden, von Gemeinden des Unterengadins und von Privaten. Die Auftragswerte der abgesprochenen Bauarbeiten reichen von wenigen zehntausend bis zu mehreren Millionen Franken.
Die WEKO büsste die folgenden Unternehmen in einer Gesamthöhe von über CHF 7.5 Mio.: Foffa Conrad AG, Bezzola Denoth AG, Zeblas Bau AG, Lazzarini AG, Koch AG Ramosch, Alfred Laurent AG, René Hohenegger Sarl. Die ausgesprochenen Sanktionen bewegen sich pro Unternehmen entsprechend der Schwere und Anzahl der Kartellgesetzverstösse zwischen einigen zehntausend bis rund 5 Mio. Franken. Bei einem Teil der Unternehmen wurde die Sanktion reduziert, da sie mit der WEKO kooperierten. Die Impraisa da fabrica Margadant erhält infolge Verjährung ihres Gesetzesverstosses keine Sanktion. Der Graubündnerische Baumeisterverband zahlt zwar keine Busse, ihm wurden aber Verfahrenskosten auferlegt, da er zum Teil an der Organisation dieser Kartelle beteiligt war.
Die Entscheide der WEKO können an das Bundesverwaltungsgericht weitergezogen werden.“
Was ist da los? Und was haben im Vinschgau bekannt klingende Namen wie die „Foffa Conrad AG“, die eine Niederlassung und eine Tochterfirma im Val Müstair betreibt, mit dem Skandal zu tun?
Der Vinschgerwind hat im Val Müstair nachgefragt. Namentlich will niemand genannt werden - nur so viel: Das Verfahren sei im Gange, die Wettbewerbsbehörde hat bislang keinen Nachweis einer direkten Schädigung erbringen können. Der Foffa Conrad AG wurde ein Bußgeld von sagenhaften 5 Millionen Schweizer Franken aufgebrummt. Das sagt dem Vinschgerwind einer, der es wissen muss. Der Foffa Conrad AG wurde damit laut Aussagen der Wettbewerbsbehörde „entsprechend der Schwere und Anzahl der Kartellgesetzverstösse zwischen einigen zehntausend bis rund 5 Mio. Franken“ der Löwenanteil an Bußgeld auferlegt.
In Erfahrung gebracht werden konnte, dass man vor das Bundesverwaltungsgericht ziehen wird. So etwas lasse man sich nicht gefallen. Was aus den Gesprächen herauszuhören war, ist, dass im Bündner Baugewerbe Aufruhr herrscht und dass man sich noch nicht zu einer einheitlichen (Verteidigungs)Sprache zusammengefunden hat.
Bei Grenzpendlern im Vinschgau, die nicht genannt werden wollen, nachgefragt, wird der Ball flach gehalten. Es habe Absprachen gegeben, ja, allerdings sei man mit dem Preis immer unter den von Planern veranschlagten Kosten geblieben. In Graubünden herrsche ein mörderischer Preiskampf. Man habe dies vor allem auch am Konkurs der großen Baufirma Pitsch aus St. Moritz gesehen. Pitsch war nicht Teil des angeblichen Kartells.
Informationen, die letztlich, zum Aufploppen des Baukartells geführt haben, hat der Inhaber einer Baufirma aus dem Unterengadin bereits 2009 geliefert. Gegen den in den Bündnder Medien genannten „Whistleblower“ Adam Quadroni, der mittlerweile die Baufirma verloren und von seiner Familie verlassen worden ist, läuft seither ein unglaubliches Kesseltreiben.
Die gesamte Untersuchung hat zudem seinen Ursprung im Val Müstair. Die Wettbewerbskommission eröffnete am 30. Oktober 2012 gegen 19 im Unterengadin tätige Unternehmen eine Untersuchung. Eine Anzeige war Auslöser. Dass die Wettbewerbskommission fix ist, beweist die Tatsache, dass vom 30. Oktober bis zum 1. November 2012 13 Hausdurchsuchungen durchgeführt worden sind, darunter auch bei der Foffa Conrad AG. Bereis am 2. November 2012 reichte die Foffa Conrad AG Selbstanzeige betreffend mutmaßlicher Wettbewerbsverstöße in der Baubranche im Münstertal ein.
Von der Wettbewerbskommission wurden die Foffa Conrad AG, die Scandella Bau AG und die Hohenegger SA, alle mit Sitz oder Zweigstelle im Val Müstair, penibel untersucht.
Die 72-Seiten starke Verfügung der WeKo vom 10. Juli 2017 (die dem Vinschgerwind vorliegt) lässt tiefe Einblicke in das Verhalten der Baufirmen zu und so ähnlich dürfte es sich wohl im gesamten Unterengadin abgespielt haben.
Protokollarisch werden Aussagen vermerkt, wie sich die Baufirmen den Markt aufgeteilt haben. 30 Jahre lang habe das System gut funktioniert. Man habe für Bauprojekte Vorsitzungen gemacht, bei denen alle Baufirmen, die dem Baumeisterverband angehörten, teilgenommen haben. Im Val Müstair waren es 5 Firmen.
Ein Beispiel einer Zeugenaussage: „An den Vorversammlungen habe man sich getroffen, über Preise gesprochen und die Aufträge untereinander verteilt. Konkret habe jedes Unternehmen vorgängig seine Offerte berechnet. Anschliessend habe man geschaut, welches Unternehmen welche Aufträge benötigt habe. Dabei sei zusammen bestimmt worden, wer die Aufträge erhalten sollte und zu welchem Preis. Manchmal seien Offerten auch nach unten korrigiert worden, wenn es beispielsweise Kalkulationsfehler gegeben habe. Dass man Preise nach oben korrigiert habe, sei nicht vorgekommen. Die Preise seien nicht übertrieben gewesen. Oftmals habe es sich um öffentliche Ausschreibungen gehandelt. Der Kanton hätte zu hohe Preise nicht akzeptiert. In den letzten Jahren seien im Münstertal vier Bauunternehmen Konkurs gegangen.
Die Bauunternehmen hätten wenig Arbeit gehabt und die Preise seien katastrophal gewesen. Mit den Vorversammlungen habe man wohl versucht, die bestehenden Unternehmen zu retten. Es sei nicht primär um den Preis gegangen.“
Oder eine andere Zeugenaussage: „Die Foffa Conrad AG habe sich mehr für die grösseren Projekte interessiert, die Hohenegger SA eher für die kleineren Projekte. Neben der Auslastung sei bei der Arbeitsaufteilung auch die Kapazitäten der Maschinen berücksichtigt worden, über welche die Unternehmen verfügt hätten.“
Im Hinblick auf mögliche Konkurrenz aus dem Vinschgau bzw. aus Italien wurde von einem Beteiligten an der Scandanella Bau AG der WeKo gesagt: „...dass die Beteiligten mit der Zusammenarbeit im Rahmen von Vorversammlungen bezweckt hätten, dass die Unternehmen überleben könnten. Das Münstertal sei ein kleines Tal. Es habe Firmen gegeben, die aus Italien hereingekommen seien. Ohne Vorversammlungen hätten die Beteiligten das Licht löschen und gehen können.“
Die Foffa Conrad AG mit der Tochterfirma Scandella Bau AG ist mit der Selbstanzeige im Jahr 2012 mit einem blauen Auge davongekommen. Beide Firmen bekamen keine Strafen aufgebrummt, mussten allerdings 67.000 Franken Verfahrenskosten tragen.
In der neuesten Verfügung aber trifft es die Foffa Conrad AG hart - 5 Millionen Franken Strafe.
Auf politischer Seite allerdings könnte das Kandidatensterben weitergehen. Am 9. Mai 2018 strahlte das Schweizer Fernsehen auf SRF1 in der „Rundschau“ ein Porträt von „Whistleblower“ Adam Quadroni aus und erwähnte in der Causa involvierte Politiker. So habe etwa der Kandidat für den Regierungsrat Jon Domenic Parolini Quadroni nicht ernst genommen, der Regierungsratskandidat Walter Schlegel - zurzeit Polizeikommandant - stehe wegen des Polizeieinsatzes gegen Quadroni unter Druck, Regierungsrat Christian Rathgeb machte ein Jahr nach dem Polizeieinsatz Anzeige geben die eigene Polizei und sogar Regierungsratspräsident Nario Cavigelli steht unter Druck - Quadroni war bei ihm vorstellig geworden - erfolglos.
Das bei uns als Ideal vorgestellte Modell Schweiz hat in Graubünden gewaltige Risse bekommen. Als Vorbild für den Südtiroler Landtagswahlkampf im Herbst 2018 kann der Bündner Bau- und Politskandal hoffentlich nicht dienen.
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