Ein gestörtes Gleichgewicht zwischen dem Rotwild und seinem geeigneten Lebensraum lag im Nationalpark Stilfserjoch vor, weshalb seit dem Herbst 1997 Hirschabschüsse stattfinden. Diese Entnahmen zielen darauf ab, die Rotwilddichte zu reduzieren und damit auch die Verbiss-Schäden am Waldbestand und in den landwirtschaftlichen Nutzflächen auf ein ökologisch und sozial vertretbares Maß zu verringern. Nach einem erfolgreichen Rekurs des WWF Italien vor dem Staatsrat ist die bis dahin geduldete Jagd auf die Schalenwildarten Reh und Rotwild im Nationalpark Stilfserjoch im Jahr 1983 eingestellt worden und der Rotwildbestand in der Folge in seiner Dichte stark angestiegen.
Seit dem Jahr 1997 gibt es mehrjährige Managementpläne der Nationalparkverwaltung zur Regulierung der Rotwilddichte, welche vom nationalen Institut für Umweltforschung und Wildtierkunde positiv begutachtet und vom Umweltministerium gutgeheißen wurden.
In meinem heutigen Beitrag soll eine Zusammenfassung der nunmehr 21-jährigen Umsetzung und Erfahrung mit diesen Rotwild-Managementplänen im Südtiroler Anteil des Nationalparks Stilfserjoch versucht werden.
Der neue Fünfjahresplan 2017-2021
Nachdem der vorausgehende Mehrjahresplan für das Rotwildmanagement im Südtiroler Parkanteil im Dezember 2016 ausgelaufen war, wurde ein neuer Fünfjahresplan 2017-2021 verfasst und aufgelegt. Die Autoren dieses Managementinstrumentes sind die Schalenwild-Experten Sandro Nicoloso, Luca Pedrotti und Hanspeter Gunsch. Der Plan hat das Plazet vom nationalen wildbiologischen Institut und vom Umweltministerium für das erste Jahr seiner Umsetzung erhalten.
Erfüllungsgrad 2017
Der Südtiroler Flächenanteil des Nationalparks wurde im Plan in die drei geographischen Untereinheiten Mittelvinschgau einschließlich Martell, Obervinschgau zwischen Gomagoi und Taufers und Hinteres Ultental unterteilt. Für die beiden Einheiten Mittelvinschgau und Obervinschgau schlug der neue Plan u.a. weitere Entnahmen von Rotwild durch herbstliche Abschüsse unter Beteiligung der ortsansässigen Jäger mit einer Zusatzausbildung vor. Die Reduzierung der immer noch zu hohen Rotwilddichte sollte dabei v.a. durch Zugriff auf die weiblichen und die Jungtiere erfolgen.
Für die geographische Einheit Hinteres Ultental sieht der neue Plan keine Entnahmen von Rotwild aus dem Nationalparkgebiet vor, weil die Fläche der freien Jagdreviere Ulten und St. Pankraz dreimal so groß ist wie die Ultner Fläche innerhalb der Grenzen des Nationalparks. Obwohl die Verbiss-Schäden am Forstbestand und in den landwirtschaftlichen Kulturen Hinterultens steigende Tendenz zeigen, gibt der neue Fünfjahresplan für Hinterulten keine positive Indikation zu Abschüssen im Nationalparkgebiet. Die Begründung: Die hohe Rotwilddichte könne durch einen erhöhten Abschuss in den an den Nationalpark angrenzenden Jagdrevieren vermindert werden.
Die Abschüsse 2017 im Nationalparkgebiet der beiden Kleinregionen Mittel- und Obervinschgau wurden zwischen dem 8. November und dem 20. Dezember vorgenommen. Dabei wurden im Mittelvinschgauer Parkanteil 208 Stück von 337 freigegebenen erlegt, was einem Erfüllungsgrad von 61,7% entspricht. In Martell wurden 114 Stück von ebenso vielen zugelassenen Hirschen (gleich 100%) abgeschossen. Im Obervinschgau zwischen Gomagoi und Taufers waren es 102 von 150 Tieren, was 68,0% entspricht.
Reduzierung der Dichte
Ende der 1990er-Jahre war die Ausgangslage die hohe Wilddichte von 9,7 Stück Rotwild je 100 Hektar im mittelvinschgauer Parkanteil. Diese ökologisch und sozial unverträgliche Dichte sollte auf 4-5 Stück je 100 ha halbiert werden. Damit sollte u.a. auch dem Bergwald seine Naturverjüngung und somit seine Schutzfunktion vor Erosion erhalten bleiben und den Bergbauern in den ungünstigen Extrem- und Randlagen die Schäden an den landwirtschaftlichen Erwerbsflächen auf ein vertretbares Maß gedrückt werden.
Im mittelvinschgauer Parkanteil einschließlich Martell und der unmittelbar an den Park angrenzenden Revieranteilen von Kastelbell, Latsch, Schlanders und Laas wurden in den 21 Jahren zwischen 1997 und 2017 insgesamt 6.696 Stück Rotwild erlegt, was durchschnittlich 319 Stück pro Jahr entspricht.
Im obervinschgauer Parkanteil einschließlich des Jagdreviers Taufers und des Schweizer Münstertales wurden im Zeitraum 1997-2016 insgesamt 10.265 Stück Rotwild erlegt. Die Zahlen für 2017 liegen mir noch nicht vor.
Mehrjahrestrend: Die körperliche Konstitution
Im Zeitraum 1997-2016 wurden an einer sehr breiten Stichprobe von insgesamt 4.107 Stück Rotwild biometrische Messungen wie Gewicht, Körpermaße, Alter und auch der Index zwischen Fruchtbarkeit und Geburten erhoben. Über den gesamten Zeitraum betrachtet, bestätigt sich der Trend, dass die Körpergewichte des aufgebrochenen Rotwildes im unter- und im obervinschgauer Parkanteil zunehmen. Dies gilt für die verschiedenen Altersklassen und Geschlechter in unterschiedlichem Maße. So lag beispielsweise das mittlere Gewicht aufgebrochener Hirsche mit 5 und mehr Jahren im Dreijahreszeitraum 2000-2002 bei 76,2 kg und stieg im Zweijahreszeitraum 2015-16 auf 85,9 kg.
Ein wichtiger Parameter für die Konstitution der Rotwildpopulationen ist vor allem auch das Gewicht der geschlechtsreifen weiblichen Tiere, weil die Kälber führenden Tiere eher standorttreu (philopatrisch) sind und auf die Lebensraumfaktoren und die Populationsdichten am sensibelsten reagieren. Das Durchschnittsgewicht der drei- und mehrjährigen Hirschkühe lag im Dreijahreszeitraum 2000-2002 (n=91) bei 58,9 kg, im Zweijahreszeitraum 2015-16 (n=79) fast unverändert bei 58,2 kg bei einer Spitze von 60,6 kg (bei n=133) in den Jahren 2012-14. Interessant ist, dass die schwersten Hirschkühe in Taufers mit einem Durchschnittsgewicht von 61,7 kg einstanden (gemittelt 1997-2011) und die leichtesten in Latsch (55,0 kg im gleichen Zeitraum).
Der Anteil der Kälber führenden Tiere lag im Zeitraum 1997-2016 bei einer Stichprobenbreite n=730 gemittelt über die beiden geographischen Einheiten Mittel- und Obervinschgau bei 43,7% (dabei im Mittelvinschgau bei n=633 bei 45,8%, im obervinschger Parkanteil bei n= 97 bei 29,9%).
Die Verbiss-Schäden
Zur Bewertung der längerfristigen Entwicklung von Schäden am Waldbestand wurde der Verbiss der Endknospen und -triebe der wichtigsten waldbildenden Nadel- und Laubholzarten herangezogen, im Jahr 1995 erhoben und 2012 bei gleicher standardisierter Methode auf den gleichen Probeflächen wiederholt. Die nachstehende Grafik zeigt die Verbiss-Schäden auf der gesamten Waldfläche Südtirols im Jahr 1995 (linke Säule) im Vergleich zu den Verbiss-Schäden am Wald im Forstinspektorat Schlanders 1995 (mittlere Säule) und 2012-14 (rechte Säule). Der rote Bereich der Säulen stellt den Anteil der nicht tolerierbaren Verbiss-Schäden dar. Es zeigt sich, dass die Verbiss-Schäden trotz der getätigten Rotwildabschüsse von 1995 auf 2012-14 noch deutlich zugenommen haben. Auch die Artenzusammensetzung des Waldes verändert sich.
Was die Schäden an den landwirtschaftlichen Kulturen betrifft, ergibt die Auswertung der Daten für den Zeitraum 2000-2011, dass fast 60% der ausbezahlten Schadenssumme für Ertragseinbußen in Mähwiesen und 18,2% für Schäden in Apfelanlagen aufgewendet wurden. Die Schäden in den Mähwiesen zeigen im mehrjährigen Zeitraum abnehmende Tendenz. Die Schäden in den Obstanlagen sind nach der Neuabgrenzung des Nationalparks mit der Ausklammerung der Vinschgauer Haupttalsohle im Jahr 2006 von vormals jährlichen Schadensvergütungen zwischen 30.000 und 40.000 Euro auf fast Null zurückgegangen. Der Hauptteil der Geldmittel für die Abgeltung von Wildschäden wurde in der Gemeinde Martell ausgegeben (siehe Aufschlüsselung nach Gemeinden).
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