Wochenlang muss Martha ungewaschene Wolle auf ihre Beine legen und im Schwefelwasser baden, das täglich vom so genannten „Stinkat Brunn“ geholt wird. „Do kimmp Lebm inni, unt guat isches, wenns beißt, so hots ghoaßn“, erinnert sie sich. Sie hält sich oft in der frischen Luft auf und fährt Rad, um die Beinmuskeln zu stärken. Nach einer anfänglich leichten Besserung folgen Rückschläge und erneut Arztbesuche. Irgendwann steht die Diagnose fest. Es ist Kinderlähmung. „Selm sein miar olle drschrockn“, betont Martha. Sie kommt zur Therapie in das Sanatorium in Malcesine am Gardasee. Die italienische Sprache ist ihr fremd und das Heimweh plagt. Sie weint sich oft in den Schlaf. Sie erkrankt an Diphterie und kämpft in der Isolierstation des Krankenhauses Verona um ihr Leben. Niemand darf sie besuchen. Es fließen nur spärliche Informationen. Ihr verzweifelter Vater beauftragt einen Carabinieri, nachzufragen, wie es seiner Tochter geht. Dieser erfährt dann, dass Martha auf dem Weg der Besserung ist. Schon bald wird sie wieder ins Sanatorium zurückgebracht. Dort erholt sie sich und lernt ganz nebenbei italienisch. Nach sechs Monaten kehrt sie nach Hause zurück. „A bissl krump bin i schun nou gongan, obr eigatla isch olz recht guat gwortn“, beschreibt sie. Martha ist wissbegierig und voller Tatendrang. Ihre guten Italienisch-Kenntnisse ermöglichen ihr die Aufnahme in der Schule eines Nonnenklosters in Mailand. Dort trifft sie auf weitere sieben junge Südtirolerinnen. „Es hat a Hausholtschual sein gsollt, obr miar hoob mea für di Kloaschtrfrauen orbatn gmiaßt“, erklärt sie. „Miar hoobm meistens gwascht unt putzt.“ Wegen ihrer Krankengeschichte wird Martha immer ein wenig geschont. Sie fühlt sich in der Klostergemeinschaft wohl .und geborgen. Eine Beinhaut und geborgen. Eine Beinhautentzündung zwingt sie zur Rückkehr nach Hause. „Im Mailänder Krankenhaus hat i olz gmiaßt selber zohln“, sagt sie. Sie wird im Krankenhaus Schlanders behandelt. Nach ihrer Genesung bitten sie ihre Eltern inständig, doch daheim zu bleiben. Schweren Herzens entspricht Martha dem Wunsch. „Suscht war i eppr ins Kloaschtr gongen“, meint sie.
Sie überlegt Näherin zu werden oder Friseurin. Schließlich beginnt sie bei einer Strickerin in Schlanders eine Lehre. Diese schließt sie nach zwei Jahren erfolgreich ab. Da sie als Strickerin keine Anstellung findet. nimmt sie eine Arbeit im Obstmagazin Schlanders an und sortiert Äpfel. Als lebenslustige Frau besucht sie gerne Veranstaltungen. Auf einem Ball verliebt sie sich in einen jungen Mann. Sie wird schwanger und schenkt einem Sohn das Leben. An eine Heirat ist wegen vieler Hindernisse nicht zu denken. Erst Jahre später heiratet sie einen anderen Mann.
Allein mit ihrem Sohn zieht sie in eine Wohnung, kauft sich eine Strickmaschine und fertigt Kleidungstücke an. „S Gelt isch oft lei longsom innitröpflt“, betont sie. Ein fixes Gehalt erhält sie erst später als Helferin und Köchin im Kindergarten. Dann kommt der Tag, der ihr Leben verändert, und zwar der 13. Juni 2010. Ein Auto kracht bei Spondinig in ihren Wagen. Marthas Beine sind mehrmals gebrochen. Es folgen komplizierte Operationen und monatelange Krankenhaus- und Therapieaufenthalte. Trotz aller Bemühungen muss sie sich mit dem Rollstuhl anfreunden, und auch mit dem Gedanken, dass sie nicht mehr allein leben kann. Nachdem auch ihre Ehe gescheitert ist, will Martha mit Hilfe einer „Padante“ zurechtkommen. Der Versuch missglückt.
Heute lebt sie im Seniorenheim St. Sisinuius in Laas, wo sie bestens betreut wird. „Oft verdiaß i schun um mei Wohnung“, sagt sie. Martha versucht so viel wie möglich eigenständig zu erledigen, auch wenn es ihr oft schwer fällt. Jedoch das Aufgeben ist nicht ihre Art, denn sie ist eine Kämpferin.
{jcomments on}