Die jungen Männern kamen aus allen Gegenden Italiens und standen da ratlos herum, versuchten sich einzuordnen und wurden von den Ausbildnern, den Caporali bellend mit „si metta in fila“ angebrüllt, oder, was noch bedrohlicher klang, „ti mando a Silandro!
Die Zuweisung nach Schlanders wurde als Verdammung in die Einöde verstanden. Das wurde nur mir bewusst und von den anderen nicht weiter beachtet. Wohin man verschickt wurde, darauf hatten die Soldaten kaum Einfluss. Es gab aber gerüchteweise besonders schlimme Orte, sei es wegen der Strapazen und Wachdienste - es gab bereits wiederholt Anschläge auf Strommasten oder staatliche Einrichtungen - oder wegen der Langweiligkeit des Ortes, in dem nichts los war.
Ich war ebenfalls etwas verloren, fügte mich aber gehorsam den Befehlen, reihte mich ein in die Kolonne, in der mein Buchstabe aufgerufen wurde. Als ich an die Reihe kam und der Schreiber meine Daten studierte, in denen unter anderem mein Geburtsort Schlanders zu lesen war, da verstummte der Schreier plötzlich, wurde verlegen und wusste nicht mehr recht, womit er wirksam drohen könnte.
Tu vieni da Silandro ... davvero?
Dieses Schlanders, dieser Unort ist dabei, sich durch die italienische Militärkaserne aus seiner Bedeutungslosigkeit zu erheben. Da Südtirol und die Grenze zu Österreich militärisch nicht mehr gesichert werden, hat der Staat einen großen Teil seiner Kasernen aufgelassen. Damit hat die Stunde für Schlanders (und viele andere Garnisonen) geschlagen. Plötzlich stand für die Entwicklung der Ortschaften freier Grund zur Verfügung. Die nötigen Flächen für die Wirtschaft und den Wohnungsbau waren plötzlich greifbar nahe.
Dazu der Bürgermeister von Schlanders, Dieter Pinggera: „Zentral im Vinschgau gelegen, ist die Marktgemeinde Schlanders der ideale Standort als Impulsgeber“. Sogleich wurde ein gewaltiges Projekt in Angriff genommen. Das in drei Bauphasen aufgeteilte Programm sieht unter anderem die Errichtung von 150 Wohnungen vor, eine beneidenswerte Fülle für den aufstrebenden Ort. „urban village“, ein Stadtdorf entsteht auf dem Gelände der ehemaligen Drususkaserne ... niemand braucht in Zukunft Angst zu haben, nach Schlanders in die Einöde verbannt zu werden.
„Die Vergangenheit ist der Dünger der Zukunft“ schreibt der elsässer Tomi Ungerer, der ebenfalls aus einem Gebiet stammt, in dem Kulturnationen mit Großmachtanspruch aufeinander stoßen.
Hans Wielander
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