Jugenddienst Obervinschgau: Wie ist es als junger Mensch im Gemeinderat?
Samuel Marseiler: Ich konnte bisher überwiegend nur positive Erfahrungen sammeln. Wenn mir etwas unklar ist, frage ich entweder bei den Mitarbeitern der Gemeinde oder bei anderen Kollegen des Gemeinderates nach.
Anna Waldner: Dem Ausschuss ist es wichtig, uns auf dem Laufenden zu halten und in Projekte einzubeziehen. Natürlich müssen sie dazu auch wissen, dass ich mich selbst mehr einbringen will. Gerade am Anfang muss man sich auch wirklich trauen Fragen zu stellen.
Lisa Stocker: Bei Themen wie Strom hatte ich vorher wenig bis gar keine Ahnung, da muss man natürlich viel nachfragen. Die Gemeinderäte kommen einen fast immer entgegen. Es gibt jedoch auch einzelne Stimmen, die es einen von Vornherein nicht zutrauen, das ist schon verletzend. Am Anfang war ich zu eingeschüchtert um über Alles nachzufragen. Die Angst vor blöden Fragen ist groß, erst recht in den Gemeinderatssitzungen, wo die Diskussionen eh schon emotional und laut sind.
Anna: Man sitzt lang bis man sich eingelesen hat. Deshalb habe ich immer wieder beim Bürgermeister angeklopft, auch wenn er vielleicht Wichtigeres zu tun hatte. Die Texte mit denen wir uns befassen, sind kompliziert formuliert.
Samuel: In kleineren Gemeinden ist der Austausch vielleicht leichter, da man sich gegenseitig besser kennt. Eine Gemeinderatssitzung reicht aber meines Erachtens nicht dafür aus, sich eine Meinung über die zur Abstimmung stehenden Punkte zu bilden und immer die richtige Entscheidung treffen zu können. So geht es aber sicher vielen Ratsmitgliedern, denke ich. Als „einfache“ Gemeinderäte dürfen wir uns oft auch in wichtigen Angelegenheiten, welche anderswo vielleicht nur den Gemeindeausschuss betreffen, miteinbringen und unsere Meinung einfließen lassen.
Jugenddienst Obervinschgau: Der Jugend wird eine gleichgültige Haltung zur Politik vorgeworfen, was ist eure Meinung dazu?
Lisa: Wie stark man sich für Politik interessiert kommt auf den Menschen drauf an. Politik ist meiner Meinung nach weitläufig. Die Jugend ist von der Gemeindepolitik nicht abgeneigt. Die Landespolitik ist vielleicht weniger interessant.
Anna: Du brauchst ein Thema das dich motiviert, dich für Politik zu interessieren. Es muss etwas sein mit dem du emotional verbunden bist, ein Verein oder etwas das man für Wichtig erachtet. Nur so spürt man die Notwendigkeit sich mit Politik zu beschäftigen. Was fehlt ist der Überblick über das Tagesgeschäft, wie zum Beispiel der Haushalt. Mit dem Bürgerhaushalt in Mals wurden die Bürger über den Haushalt informiert und konnten Vorschläge einbringen. Erst so kann man erfragen, wie viel alleine die laufenden Kosten oder zum Beispiel der Straßenbau ausmachen.
Lisa: Die Nähe zur Politik ist kein Problem der Jugend, sondern benötigt Interesse. Auch Erwachsene wissen nicht unbedingt darüber Bescheid.
Samuel: Die Haltung ist vom Thema abhängig. Das größte Thema für junge Menschen in der Gemeinde Stilfs ist meiner Meinung nach der Wohnbau. Viele ziehen weg, da sie in Stilfs keine günstigen Konditionen vorfinden, um ein für sie ansprechendes Eigenheim zu errichten bzw. zu kaufen.
Jugenddienst Obervinschgau: Wie ließe sich die Jugend besser beteiligen? Was braucht es dazu?
Lisa: In Glurns wurde probiert, einen Jugendbeirat zu errichten, der im Gemeinderat bei jugendrelevanten Themen angehört werden kann. Dafür hat es aber kein Interesse gegeben, deshalb hat man es wieder aufgegeben. Vielleicht gibt es Möglichkeiten über die Vereine die Jugend vermehrt in die Gemeindepolitik miteinzubeziehen.
Anna: Auch in Mals hat es einen Jugendbeirat gegeben, wo ich ab und zu bei den Sitzungen dabei war. Ich war erstaunt über die Ideen der Jugendlichen. Viele gingen aber ins Ausland studieren und deshalb ist er derzeit nicht aktiv. Gerade die Rückkehrer nach dem Studium wären aber direkt betroffen, um beim Beispiel Wohnbau zu bleiben.
Samuel: Die Bürgerversammlungen in den einzelnen Fraktionen der Gemeinde sind besonders gut besucht, da zeigt sich auch eine relativ hohe Jugendbeteiligung. Dort stehen vor allem lokale Themen im Vordergrund. Da wir in Stilfs jetzt bekanntlich mehrere junge Gemeinderäte haben, sollte es dadurch für die Jugend nun einfacher sein, Kontakte herzustellen und ihre Meinung mitteilen zu können.
Lisa: Die hochgestochene Sprache muss unbedingt übersetzt werden. Es ist anstrengend fünfmal denselben Text durchzulesen. In der Landespolitik muss vor allem vor den Wahlen unbedingt mehr informiert werden, für was eine Partei steht. Der Bedarf an Politischer Bildung gilt vor allem für Schulen, wo Schüler mit der ersten Wahl vor einer neuen Herausforderung stehen.
Anna: Nicht nur die Sprache, sondern auch die Medien sind wichtig. Die Gemeinde-App „Gem2Go“ ist dafür ideal und sehr übersichtlich. Sie lässt sich dann auch im Zug, wo man leicht Zeit hat, locker lesen. Einen guten Einblick kann man ebenso bei Jungbürgertreffen erhalten. Dort gibt die Gemeindereferentin für Jugend zusammen mit dem Bürgermeister eine Führung durch das Gemeindehaus. So bekommt man die Gelegenheit zu erfragen, worüber eigentlich eine Baukommission entscheidet usw.
Jugenddienst Obervinschgau: Was braucht unsere Jugend im Obervinschgau?
Anna: Dazu fällt mir viel ein. Die Jugend im Obervinschgau braucht Freizeitbeschäftigung. Viele studieren im Ausland, das ist wichtig, jedoch muss man sich fragen, wie man sie wieder zurückholt. Dafür braucht es attraktive Arbeitsplätze. Zudem braucht es eine gut funktionierende Mobilität, da man für die Ausbildung oder Arbeit oft von der Peripherie in die Stadt kommen muss. Zur Mobilität gehört auch eine gute Internetverbindung, damit von zuhause aus gearbeitet werden kann. Die gute Internetverbindung fehlt bei uns leider noch.
Lisa: In den letzten Jahren wurde bereits der richtige Weg eingeschlagen. Es braucht Freiräume, in denen Freunde einen Platz finden, da man gerade in der Pubertät auch mal von zuhause raus muss. Die Jugendarbeit in den Vereinen ist dafür besonders wichtig und funktioniert immer besser. Die Vinschger sind sehr heimatverbunden, sie lieben die Berge, die Luft und das Klima. Der Zusammenhalt ist riesig.
Anna: Wir haben eine super Lebensqualität hier, die Freizeitsportarten sind attraktiv und die Vereinswelt funktioniert gut.
Jugenddienst Obervinschgau:Was wird sich in den nächsten Jahren für junge Menschen im Obervinschgau ändern?
Samuel: Die Jugend wird mehr mitzureden haben als noch vor 20 Jahren. Die Jugend bringt sich immer mehr ein. Politik betrifft zu einem großen Teil auch die Jugend. Auch in der Vereinswelt, im Sport und zur Freizeitgestaltung müssen junge Menschen miteinbezogen werden, da diese Punkte in Zukunft vor allem den „Jungen“ zugutekommen werden.
Anna: Junge Menschen wollen mehr mitsprechen und wehren sich auch dafür. Es gibt auch immer mehr direktdemokratische Möglichkeiten, die zu mehr Bürgerbeteiligung beitragen werden.
Lisa: Die ältere Generation hat schon gebaut, junge Menschen müssen erst. Mobilität interessiert denjenigen, der noch keinen Führerschein hat und so vom Fahrrad oder vom Bus abhängig ist. Obwohl der Jugend die Zukunft gehört, kann ich mir nicht vorstellen, dass die Jugend in Zukunft mehr mitsprechen darf. Ebenso gibt es zurzeit viele extreme Ansichten, was zu einem riesen Problem werden kann. Da reicht es aus, wenn nur ein oder zwei Jugendliche diese Meinung vertreten. Alle anderen ziehen mit. Gerade in diesem Alter ist man schon sehr anfällig und auch verletzlich. Man hat genug damit zu kämpfen wohin es in seinem eigenen Leben geht. Sich dann noch gegen das Wichtigste, den eigenen Freundeskreis zu stellen, wäre schwer und sehr viel verlangt.
Der Jugenddienst Obervinschgau – Fachstelle zur Förderung der Jugendarbeit setzt sich für eine jugendgerechte Zugänglichkeit von Entscheidungsprozessen ein. Die Jugendlichen sind selbst Experten über ihren Lebensraum und müssen daher Möglichkeiten zur Anhörung und Mitbestimmung erhalten.
{jcomments on}