Die Pressemaschinerie, die in den letzten Tagen in Gang gesetzt wurde und noch in Gang gesetzt werden wird, wird viele überraschen. Matsch wird für einige Zeit in aller Munde und in einigen Zeitungen und Zeitschriften sein. International.
Die Bergsteigerdörfer
Über zwanzig Bergsteigerdörfer gibt es mittlerweile, die meisten in Österreich, eins in Deutschland, noch keins in Südtirol. Der Initiator des Projekts Bergsteigerdörfer war und ist der Österreichische Alpenverein.
Schon der Name verrät einiges: Bergsteiger! Das Wort scheint aus der Mode gekommen. Fast antiquiert, verstaubt. Doch genau darum geht es: zurück zu den Wurzeln, zurück zur Natur. Nicht aus Nostalgie, sondern als Selbstverteidigung.
Spielten die Alpenvereine vor langer Zeit vor allem als „Erschließer der Alpen“ eine Rolle, so müssen sie sich heute als „Anwalt der Alpen“ einsetzten. Stille Gegenmodelle zu grassierenden Skischaukeln, Hotelburgen und Sport- und Spaßtälern werden nun unterstützt und gefördert. Ganz nach dem Grundsatzprogramm der Alpenkonvention (= völkerrechtliches Übereinkommen zum Schutz der Alpen), die den Bergsteigerdörfern zu Grunde liegt.
Bergsteigerdörfer sollen kleine und feine Orte sein und bleiben. Keine austauschbaren Allerweltsorte, sondern Sehnsuchtsorte, „Orte guten Lebens“ ohne idyllische Verklärung wie sie der Alpenforscher Werner Bätzing genannt hatte. Der Alpenverein formuliert die Ausrichtung folgendermaßen: „Natur schützen, alpine Kultur und Tradition bewahren, sanften Tourismus fördern und Attraktivität im ländlichen Raum stärken.“ Doch um in den Genuss des mittlerweile begehrten Siegels zu kommen, gilt es einen langen Kriterienkatalog zu erfüllen.
Die Kriterien
Für die Bergsteigerdörfer gelten strenge Kriterien: hohe Natur-, Landschafts- und Ortsbildqualität, Alpinkompetenz der Gastgeber, lebhafte Traditionen und funktionierendes Vereinswesen, zurückhaltende touristische Infrastrukturen, vorhandene Schutzhütte, intaktes Wegenetz, Nahversorgung und nachhaltige Mobilität. All diese Kriterien hat das Tal Matsch erfüllt. Es war für den Alpenverein Südtirol nicht ganz einfach in unserem Land noch Dörfer zu finden, die diesen Kriterien entsprechen. Eigentlich eine Blamage. Es kann gut und gerne sein, dass Matsch mit der Auszeichnung Bergsteigerdorf ein Alleinstellungsmerkmal in ganz Südtirol erreicht.
Matsch will also scheinbar aussteigen aus der Wachstumslogik und sich auf die eigentlichen Qualitäten des Tales besinnen. Kein Prahlen mit Superlativen, sondern so etwas wie „Rückständigkeit“ als Markenzeichen. Nehmen, was da ist.
Das Dorf
Und wahrlich, wer nach Matsch kommt, trifft nicht auf Großparkplätze, Hotelburgen, Hochspannungsleitungen oder große Liftanlagen. Schafe und Kühe fressen in den Wiesen um das Dorf, Bauern fahren ihr Heu ein, sonntags spielt des öfteren die Musikkapelle, Bräuche und Feste bestimmen das Dorfleben. Das Tal ist umringt von 25 Dreitausendern, unzählige Steige und Wege führen auf verschiedenste Gipfel. Leichte Wanderungen führen an Waalen und Höfen vorbei.
Natürlich hat auch Matsch seine Probleme und Querelen. Arbeitsplätze und Wohnmöglichkeiten im Tal sind überschaubar. Die Landwirtschaft bringt gerade das Nötigste ein. Es wird experimentiert mit Gemüse, Beeren, Mutterkuhhaltung, ein Biohochtal ist in Diskussion. Auch die Abwanderung der Jungen ist ein Problem.
Doch es hält sich in Grenzen. In Matsch wird gebaut, Kindergarten und Schule können gehalten werden.
Die Besonderheiten
So einige Besonderheiten kann Matsch aufweisen. Neben einer langen Geschichte, den gefürchteten Matscher Raubrittern und lebendigen rätoromanischen Flurnamen, kann das Tal vor allem durch seine vielfältige Landschaft punkten. Von Trockenrasen zum Gletscher - das Tal deckt alle Höhenstufen auf engstem Raum ab. Auch deshalb ist es Teil eines weltweiten Forschungsnetzwerkes, das die Langzeitänderungen durch Klima und Landnutzungswandel untersucht. Matsch gehört zu den am besten untersuchten Tälern der Alpen. Der höchste Bergsee der Alpen, der Matscherjochsee auf 3.188m, und das höchste Seenplateau Südtirols, die Saldurseen, liegen im hintersten Matschertal. Die Weißkugel, die heimliche Königin der Ötztaler Alpen lockt ambitionierte Bergsteiger auf den aussichtsreichen Gipfel.
Die Vorgeschichte
Die Alpenvereine Deutschlands, Österreichs und Südtirols arbeiten schon seit einiger Zeit auf verschiedenen Gebieten zusammen. Initiativen auf den Alpenvereinshütten wie „So schmecken die Berge“ oder „Mit Kindern auf Hütten“ werden über die Grenzen getragen und sollen unter anderem Regionalität und schonenden Umgang mit Ressourcen fördern. Der AVS bekundete dann auch Interesse an dem Projekt „Bergsteigerdörder“ und wurde mit eingebunden. Von den fünf vorgeschlagenen Dörfern in ganz Südtirol blieb dann Matsch übrig. Und die AVS Ortsstelle Matsch unter der findigen Leitung von Ines Telser bekundete vorausschauend bei einem Treffen Interesse. Eine Bürgerversammlung, bei der das Projekt vorgestellt wurde, brachte Zustimmung.
Auch die Tourismustreibenden des Tales, zukünftige Partnerbetriebe, zeigten sich aufgeschlossen. Es gab Dorfbesichtigungen der Zuständigen und eine Vorstellung in Salzburg beim Gremium der Internationalen Steuerungsgruppe durch die AVS- Ortstellenleiterin und den Sektionsleiter Kassian Winkler. Dann kam der Zuschlag. Matsch wird definitiv Bergsteigerdorf. Und kommt damit auch in den Genuss der Werbekanäle aller Alpenvereine: Vereinszeitungen, Homepage, Facebook… Über zwei Millionen deutschsprachige Mitglieder werden nun so erreicht. Die Matscher bilden eine lokale Arbeitsgruppe, immer in Verbindung mit der Arbeitsgruppe des AVS. Es gibt Treffen, Versammlungen, Infoabende mit den zukünftigen Partnerbetrieben. Eine Broschüre mit einer Auflage von 10.000 Stück wird erstellt. Sie vermittelt ausführlich die Besonderheiten von Matsch, gibt Wander- und Tourentipps und verweist auf Schlechtwetterprogramm und Partnerbetriebe.
Auch bürokratische Hürden und finanzielle Fragen müssen gelöst werden, die Empfindlichkeiten aller ernst genommen werden. Und das alles in kürzester Zeit. Ehrenamtlich. Das gesamte Projekt kostet 40.000 Euro - aufgeteilt auf drei Jahre und auf Land, Gemeinde mit Fraktion und AVS. Weitere Partner sind auch die Ferienregion Obervinschgau und Vinschgau Marketing.
Die Beitrittsfeier
Nun schließlich, am 23. Juli 2017 wird Matsch feierlich in einem Festakt in das Netzwerk der Bergsteigerdörfer aufgenommen. Dann findet auch die Unterzeichnung der Bergsteigerdörfer-Deklaration zwischen AVS, Gemeinde Mals und Eigenverwaltung Matsch statt. Auch die Auszeichnung der Bergsteigerdorf-Partnerbetriebe geht dann feierlich über die Bühne. Diese verpflichten sich zu einem Nachlass für AVS- Mitglieder von 10 Prozent und bieten u.a. regionale Gerichte an.
Die Zukunft
Den schönen Worten sollen dann auch Ergebnisse folgen. Der AVS sieht dies realistisch: „Das gesamte Dorf muss das Projekt tragen und daran arbeiten. Es ist kein Allheilmittel für volle Betten“, sagt Anna Pichler vom AVS. Eine reine Rückbesinnung auf den klassischen Bergsteiger ist sicher zu romantisch. Doch mit geringen Investitionen kann ein großes Zielpublikum erreicht werden. Und schlussendlich ist es auch eine unmissverständliche Positionierung hin zum Weniger. Ganz na0ch dem Slogan eines anderen Bergsteigerdorfs. „Kommen Sie zu uns, wir haben nichts.“
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