Dienstag, 27 Juni 2017 00:00

„Wo weart er liegn, wo weart er sein?“

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s17 7198Die Erinnerung an ihre große Liebe ist bis heute nicht verblasst. Oft denkt die 95-jährige Sefa an den Toni und fragt sich, wie ihr Leben verlaufen wäre, wenn der Krieg nicht all ihre Träume zerstört hätte. Toni kämpfte in Russland. Sie schrieben sich Briefe. Dann brach der Kontakt ab. Nach zermürbendem Warten erfuhr Sefa, dass Toni vermisst wurde. „Sel hot miar schun fescht heegnummen“, sagt sie gerührt.

von Magdalena Dietl Sapelza

Sefa verbringt die ersten drei Lebensjahre bei ihrer Tante, weil ihre Mutter schwer krank ist. Dann kommt sie wieder zu ihren sechs Geschwistern ins Elternhaus in die Prader Sackgasse zurück.

Die Familie lebt von der kleinen Landwirtschaft. In der italienischen Volksschule trägt Sefa das schwarze, faschistische Balillakleid. Wer dieses nicht anhat, darf nicht aufsteigen, damit wird gedroht. Sefa fügt sich, ist eine fleißige Schülerin und schafft es sogar zur „capo sqadra“ der Klasse. Bei einem Empfang in Meran dürfen sie und ihre Mitschüler das Faschistenlied „Giovinezza“ für „di hoachn Göggel mit di Plalli“ singen. Die italienische Sprache ist ihr schon bald geläufig, und sie kann für die Erwachsenen, die kein Wort verstehen, bei Behördengängen dolmetschen. Nach ihrem Schulabschluss, führt sie der Weg nach Sulden. Dort unterstützt sie ihre Tante im Haushalt eines alleistehenden Herrn. „Der hot ins foscht drhungern glott“, sagt sie. Auf einem Suldner Bauernhof ergeht es ihr nicht viel besser. Dort hat ein Knecht das Sagen, und dieser zwingt sie zu schwerster Arbeit. Als sie sich einmal weigert, den schweren Mistkarren zu spülen, wirft er ihr die Mistgabel hinterher. Sefa verlässt Sulden. Mit ihrer Schwester, die in Mailand arbeitet, sucht sie dort Arbeit, und findet sie im Haushalt eines Schlossereibetriebes. Ihr Bett befindet sich in der Küche. Eines Tages bedrängt sie der Hausherr. Sie wehrt sich, legt sich nur noch in Kleidern schlafen, hat ständig Angst und magert ab. Als sie nach einem Monat das Geld für die Heimfahrt beisammen hat, ergreift sie die Flucht.  Daheim bereiten sich ihre Eltern auf das Auswandern vor, nachdem sie für Hitler-Deutschland optiert haben. Große Holzkoffer sind bereits in Auftrag gegeben. „Ma hot jo nit gean gwellt, obr miar hatn suscht gmiaßt zu di Walschn oi gean“, erklärt sie. Die Familie ihrer Tante befindet sich bereits in Österreich. „Ma hot ihna an Hof versprochn, obr kriag hoobm si an Friedhof“, meint Sefa. Der Krieg stoppt das Auswandern. Zwei Brüder ziehen in den Krieg und auch ihr Toni. „Nazi-Spitzel im Dorf hoobm di Buabm an di Front gschickt, drwuschn hots di Ormen“, ärgert sie sich. Da Sefa erhält sie eine Freistellung vom Arbeitsdienst, weil sie ihre Mutter pflegt. Die Landwirtschaft liefert das Nötigste zum Leben. Ein Teil der Ernte muss abgegeben werden. Sie versucht einiges zu verstecken, was nicht immer gelingt. Salz ist Mangelware. Sefa schmuggelt es von Nauders über Schleichwege nach Prad. Der Krieg endet, ihre Brüder kehren zurück. Toni Saurer bleibt vermisst. Es herrscht Arbeitslosigkeit. Sefa lernt bei einer Prader Frau nähen. Geschickt zaubert sie aus alten Kleidern neue und verdient sich etwas Geld. Sie freundet sich mit dem acht Jahre älteren Schuster und Kriegsheimkehrer Karl Zoderer an und wird 1948 seine Frau. Das Paar bezieht eine Wohnung in Meran, die Karls Schwester zur Verfügung stellt. Die jungen Eheleute sollen deren Schuhgeschäft übernehmen. Doch daraus wird nichts. Sefa und Karl richten sich in Prad ein, wo Karl seinem Schusterhandwerk nachgeht. Zwei Kinder, ein Bub und ein Mädchen bringen Glück ins Haus. Dieses wird jedoch von Karls ständigen Schmerzen im Unterarm getrübt, deren Ursache eine Kriegsverletzung ist. Schließlich muss der Arm amputiert werden. Karl arbeitet von nun an als Nachtwächter bei der Firma Scala. Sefa verdient mit dem Nähen etwas dazu. Das Ehepaar lebt sparsam, leiht sich Geld bei der Bank und baut sich ein bescheidenes Haus im St. Antonweg.
Karl ist kränklich und stirbt 1980 an Nierenversagen. Um die Schulden für das Haus zu bezahlen, arbeitet Sefa in Hotels und nachts als Geschirrspülerin in der Diskothek „Ladum“. „Irgendwia isch olz gongen“, sagt sie. Heute lebt sie noch immer in ihrem Haus, das inzwischen renoviert worden ist. Ihre Familiemitglieder umsorgen sie liebevoll. Zu ihrem Tagesablauf gehört der tägliche Rundgang im Dorf. Sefa liest alle Zeitungen, die ins Haus flattern und das ohne Brille. Jeden Donnerstag spielt sie im Prader „Stübele“ Karten. Sie liebt das Fernsehschauen und bevorzugt Gerichts- und Krimiserien.
Wenn sie Dokumentarfilme über den Krieg in Russland verfolgt, denkt sie an den Toni. „I frog mi heint nou olm: Wo weart er liegn, wo weart er sein?“

 

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