In der chaotischen und nicht nachvollziehbaren Flüchtlingspolitik auch der autonomen Provinz Bozen war es bisher so, dass Südtirol 0,9 Prozent der in Italien ankommenden Flüchtlinge zugeteilt worden sind. Gut 1000 Leute vorwiegend afrikanischer Herkunft waren das bisher. Die Dunkelziffer ist viel höher. Mit Flüchtlingen wurden Gemeinden, wenn sie sich nicht - so wie die Gemeinde Mals etwa - freiwillig dazu bereit erklärt haben, quasi zwangsbeglückt. Für die Betreuung der Flüchtlinge wurde die Caritas angeheuert, auch der Verein Volontarius. Mehr oder weniger gesteuert wurde die Flüchtlingsverteilung zentral von der Soziallandesrätin Martha Stocker gemeinsam mit dem Abteilungsdirektor Luca Critelli vom Amt für Familie und Soziales. In Schlanders wurde das ehemalige Gebäude des Weißen Kreuzes, welches dem Land gehört, ausgesucht, um dort Flüchtlinge unterbringen zu können. Bisher weiß man nichts Genaues, Flüchtlinge sind jedenfalls noch keine angekommen. Der Auftrag bzw. die Aufforderung an die Bezirksgemeinschaften bzw. an die Gemeinden im Lande lautete bisher „Sucht’s ein Haus! Stellt’s eine Struktur zur Verfügung!“
Die möglichen Partner vor Ort, die Sozialdienste der Bezirksgemeinschaften etwa, sind bis vor Kurzem in die Diskussion rund um die Flüchtlingsfrage nicht eingebunden gewesen. Und dies, trotz Rückfragen im vorigen Jahr beim Abteilungsdirektor im zuständigen Amt.
Seit Beginn des heurigen Jahres tut sich in der Frage der Flüchtlinge im Lande einiges. Die Provinz Trient als Vorbild nehmend machen sich die Sozialdienste der Bezirksgemeinschaften auf den Weg, den Rahmen des SPRAR-Programmes auszuloten. Im Pustertal haben die Gemeinden bereits die Ausarbeitung von Projekten an die Sozialdienste delegiert, im Burggrafenamt auch. Das Unterland ist noch beim Sondieren ebenso das Wipptal und im Vinschgau ist man mittlerweile auf gutem Wege.
Karin Tschurtschenthaler, die Direktorin der Sozialdienste im Vinschgau, hat das SPRAR-Programm am 2. März 2017 in der Bürgermeisterrunde des Tales vorgestellt. Es geht darum, kleinere Gruppen von Asylwerbern unterzubringen mit dem Ziel, die Menschen vor Ort, die Vereine, sämtliche Institutionen vor Ort für die Betreuung einzubinden. Wenn es von den Gemeinden gewünscht ist, übernehmen die Sozialdienste als Konstante im Tal die Verantwortung für die soziokulturelle Integration von Asylwerbern und von jenen, für die der Asylantrag posotiv bewertet worden ist und die im Vinschgau bleiben wollen.
SPRAR ist die Abkürzung für „Sistema di Protezione per Richiedenti Asilo e Rifugiiati“ zu Deutsch in etwa „Schutzsystem für Asylantragsteller und anerkannte Flüchtlinge“. Dem Programm zugrunde liegt die Frage, wie sich Gemeinden in der Flüchtlingsfrage einbringen können, wie kann man agieren und nicht nur reagieren. Der nationale Schlüssel für eine Flüchtlingsaufnahme liegt bei 3,5 Asylwerbern pro 1000 Einwohnern. Rechnet man diesen Schlüssel auf den Vinschgau mit rund 35.000 Einwohnern um, dann sind das derzeit rund 123 Flüchtlinge - auf den Vinschgau verteilt. Zieht man davon die Anzahl der Flüchtlinge, die sich derzeit in Mals aufhalten ab und zieht man davon auch noch die Flüchtlinge ab, die demnächst nach Schladners kommen sollten, dann bleibt ein derzeitiges Aufnahmekontingent von 30 bis 40 Asylwerbern übrig. „Es geht um diese Anzahl von Asylwerber“, sagt der Bezirkspräsident Andreas Tappeiner.
„Wir tun gut daran, uns vorzubereiten“, sagt Tappeiner. Neben der Suche von Unterbringungsstrukturen zähle vor allem die weitere soziale Betreuung auf vielen Ebenen. Etwa die Aneignung von Sprachkenntnissen, die Vermittlung lokaler Begebenheiten. „Da ist es besser, wenn man aktiv an diese Problematik herangeht, als wenn man nur reagieren muss“, sagt Tappeiner. Grundsätzlich sei es für die kleinen Gemeinden im Vinschgau verdaubarer, wenn 10 Asylwerber irgendwo untergebracht und betreut werden sollen. Im Gegensatz zur bisherigen Handhabung, wenn es denn heißt, dass ein Paket von 40 oder 50 Flüchtlingen ad hoc irgendwo unterzubringen sind.
Die finanzielle Dotierung für das SPRAR-Programm hat LR Martha Stocker bereits vor dem Jahreswechsel den Bezirkspräsidenten mitgeteilt: rund 35 Euro würden demnach pro Tag und Flüchtling zur Verfügung stehen. Davon übernimmt der Staat 95 Prozent und die Bezirksgemeinschaft die restlichen 5 Prozent.
In den Reihen der Bürgermeister gab es bei der Informationsveranstaltung unterschiedliche Reaktionen. Verstanden hat man die Beteiligung am SPRAR-Programm durchwegs als Auftrag und zwar für Diskussionen und für eine Beschlussfassung in den jeweiligen Gemeinderäten oder für eine Beschlussfassung in den Ausschüssen. Die Beschlüsse haben den Inhalt, die Bezirksgemeinschaft bzw. die Sozialdienste mit der Erstellung eines Konzeptes, eines Projektes zu beauftragen bzw. zu delegieren.
Beherzt ans Werk ist BM Karl Bernhart in Prad gegangen. Bereits am 7. März 2017 wurde dort ein einstimmiger Beschluss des Gemeinderates gefasst und zwar „sich um den Zugang zu SPRAR in der Bezirksgemeinschaft Vinschgau gemeinsam mit den übrigen Mitgliedsgemeinden zu bewerben und an die Sozialdienste der Bezirksgemeinschaft Vinschgau sämtliche Befugnisse zu delegieren, das Projekt auszuarbeiten, die Koordinierung zu übernehmen und den Beitrag zu beantragen“ und „Die Gemeinde wird sich aktiv an der Projektausarbeitung beteiligen,damit die ausgearbeiteten Lösungen einen möglichst breiten Konsens finden.“
In Schlanders hat der Gemeindeausschuss einen diesbezüglichen Beschluss gefasst.
In Kastelbell hat zunächst eine informelle Ratssitzung stattgefunden, in der Karin Tschurtschenthaler die Geimeinderäte über SPRAR informiert und sich allfälligen Fragen gestellt hat. Benjamin Pixner, Gemeinderat der Süd-Tiroler Freiheit in Kastelbell, hat Widerstand angekündigt. In einer Presseaussendung hat Pixner von „Flüchtlingsschwindel und Stimmungsmache im Vinschgau“ gewarnt. Bei diesem SPRAR Projekt seien noch viele Fragen offen und es gebe keine Absicherungen, weder was die Finanzierung noch die Abwicklung betreffe.
Pixners Widerstand und Bedenken haben dann in der Gemeinderatssitzung in Kastelbell Niederschlag gefunden. In einer weiteren Presseaussendung konstatierte Pixner: „Durch die vielen Zweifel und Anmerkungen sah sich der Bürgermeister gezwungen, die Abstimmung über die Teilnahme am Projekt zu vertagen, bis das Konzept von der Bezirksgemeinschaft detaillierter ausgearbeitet sei. Dann könne man die offenen Fragen beantworten. Die Delegierung an die Bezirksgemeinschaft Vinschgau zur Ausarbeitung dieses Projekts wurde mit drei Nein, zwei weißen und neun Ja Stimmen genehmigt.“
In diesen Tagen sollten die anderen Ausschüsse oder Gemeinderäte entprechende Beschlüsse fassen. Vor einer Woche gab es in Latsch eine informelle Ratssitzung, in der Karin Tschurtschenthaler das SPRAR-Programm erklären konnte.
Der Fahrplan, der in der Bürgermeisterrunde ausgemacht worden ist, sieht in etwa vor, dass nach der Delegierung von Seiten der Gemeinderäte bzw. der Ausschüsse innerhalb August Projekte ausgearbeitet sein sollen. Für die Koordination dieser Ausarbeitungsphase stellt die Bezirksgemeinschaft die finanziellen mittel zur Verfügung. Die Projekte müssen dann beim Innenministerium eingereicht und genehmigt werden. Der Start für das Programm ist im Februar/März des kommenden Jahres 2018 vorgesehen.
Die Möglichkeit des SPRAR gibt es schon länger, sagt Karin Tschurtschenthaler und verweist auf Projekte im Trentino. Dort würden derzeit 132 Asylwerber im Rahmen von SPRAR betreut. Die Dotierung für diese Projekte belaufen sich pro Jahr auf 1,5 Millionen Euro. Die finanzielle Absicherung sei sehr wichtig. Denn die Arbeit rund um die Asylbewerber werde dadurch erheblich erleichtert. Neben der Unterkunft und der Verpflegung gelte es auch entsprechende Rechtsberatung für das Asylverfahren sicherzustellen, die psychologische und gesundheitliche Betreuung, Mediationen, Sprachkurse usw. Die Zusammenarbeit und Vernetzung mit Organisationen vor Ort sei wichtig.
„Das Thema Flüchtlinge wird uns die nächsten Jahre, wenn nicht Jahrzehnte beschäftigen“, sagt Karin Tschurtschenthaler. Selbstverständlich sei es, dass man die Projekte mit den jeweiligen Gemeinden absprechen. Die Projekte gelten vorerst für drei Jahre, können aber um drei weitere Jahre verlängert werden. „SPRAR ist kein Muss sondern eine Möglichkeit, sich aktiv in die Flüchtlingsfrage und vor allem bei der Suche nach Lösungen vor Ort einzusetzen“, sagt Tschurtschenthaler.
Das SPRAR-Programm enthält eine „Clausula di Salvaguardia“. Laut Zuteilungsschlüssel könnten im SPRAR-Programm rund 35 Flüchtlinge betreut werden. Mehr sollen nicht dazukommen. Wenn man weiß, dass die Flüchtlingsthematik eine höchst dynamische ist, dann ist das SPRAR ein Versprechen. Ein politisches Versprechen. Ein italienisch politisches Versprechen.
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