Wolfgang Platter, am Tag der Seligen Mutter Teresa von Kalkutta (gestorben 1997), 5. September 2011
Die Steinbrechgewächse (Saxifragaceae) und die Enziangewächse (Gentianaceae) sind zwei Familien von einheimischen Blütenpflanzen. Diese Vertreter der Wildflora sind Gebirgsbewohner. Ihnen ist der heutige Beitrag gewidmet.
Die Enziane
Unter den Enzianen gibt es ein- und mehrblütige, kurz- und langstielige Vertreter. Die Blütenfarben variieren von stahlblau bis violett und von gelb bis purpurn. Alle Enzian-Arten sind geschützt. Die Enziangewächse (Familie Gentianaceae) sind Kräuter, deren Blätter und Stängel unbehaart kahl sind. Die Blätter sind in ihrer Anordnung gegenständig, meist ungeteilt und ganzrandig. Die Blüten tragen als Zwitterblüten die weiblichen und männlichen Blütenelemente in ein und derselben Blütenhülle. Die Kelch- und Kronblätter sind vier- oder fünfteilig. Bei den meisten kurzstieligen Enzian-Arten ist die Krone prächtig blau gefärbt und am Grunde zu einer Röhre verwachsen. Diese Kronröhre ist bei mehreren Arten auf der Innenseite bärtig behaart. Die Staubblätter als männliche Blütenelemente kommen in der gleichen Zahl vor wie die Kronblätter. Die Narben sind kopfig oder zweilappig. Der Fruchtknoten ist oberständig, d.h. oberhalb der Kelchblätter angeordnet. Die Frucht ist meist eine zweiklappig aufspringende Kapsel. Im Bestimmungsbuch „Schul- und Exkursionsflora der Schweiz“, welches auch den Vinschgau berücksichtigt, werden 28 verschiedene Arten der Gattung Enzian (Gentiana) aufgeführt.
Die Steinbrechgewächse
Nomen est omen: Steinbreche gehören zu den Erstbesiedlern, sie sind Hochgebirgsbewohner, Nischenbezieher: Rohböden auf frisch ausgeaperten Gletschervorfeldern, Quellsümpfe und Bachrinnsale, aber auch Blockhalden und Schuttkare, Felsritzen und –spalten sind Lebensräume für verschiedene Steinbrech-Arten. In ihrer ökologischen Variabilität besiedeln verschiedene Arten aber auch Trockenstandorte etwa auf dem Vinschgauer Sonnenberg. Mehrere Steinbrech-Arten haben sukkulente Blätter. Sukkulent kommt vom lateinischen „sucus“ – Saft. Die Blätter der sukkulenten Pflanzen sind also saftreich,weil wasserspeichernd. Diese Wasser- und Zuckerspeicher im Zellsaft sind die physiologischen und anatomischen Anpassungen an die extremen Standortbedingungen: Der hohe Zuckergehalt funktioniert als Frostschutz durch Gefrierpunktserniedrigung in den Zellen der Pflanze bei Winterkälte am Hochgebirgsstandort. Die Einlagerung von Speicherwasser in den sukkulenten Blättern macht hingegen trockenresistenz und schützt vor dem Dürre-Tod. Manche Steinbrech-Arten können zudem den überschüssigen Boden-Kalk, den sie über das Wurzelsystem aufnehmen, aktiv ausscheiden und sich dadurch entgiften: Sie lagern ihn als eine Kalkkruste außen an den Blatträndern ab. Diese Kristallkruste ist als weißer Rand auch makroskopisch sichtbar.
Die Steinbrech-Arten sind in ihrem Blütenaufbau an der radiär symmetrischen Form und an der Fünfzahl der Kelch- und Kronblätter in den Blütensternchen erkennbar. Auch die Steinbreche haben wie die Enziane Zwitterblüten. Die Zahl der Staubgefäße als männliche Blüten-elemente liegt bei 10. Der weibliche Teil der Zwitterblüte endet über dem Fruchtknoten in zwei Narben. Die befruchteten Fruchtknoten bilden eine zweischnäbelige Samenkapsel. In der heimischen Flora sind die Steinbreche mit zahlreichen Arten vertreten: Im bereits genannten pflanzlichen Bestimmungsführer „Schul und Exkursionsflora für die Schweiz“, welches als Standardwerk auch die Pflanzenvorkommen im Vinschgau einschließt, führen die Autoren August Binz und Alfred Becherer für die Gattung Steinbrech (Saxifraga) 45 verschiedene Arten auf.
Bildernachweis: Archiv Nationalpark Stilfserjoch (Walter Anselmi), Wolfgang Platter.
Zeitung Vinschgerwind Bezirk Vinschgau