Dienstag, 20 September 2016 00:00

Der Schlanderser Tschumpus

Artikel bewerten
(0 Stimmen)

Aus dem Gerichtssaal - Er gehört schon längst der Vergangenheit an und reicht in die Zeit zurück, als Schlanders nicht nur Gerichtsort, sondern auch Sitz eines Bezirksgefängnisses im „alten“ Gerichtsgebäude in der Schlandersburg war. Heute erinnert nichts mehr an die bewegte Geschichte des alten Ansitzes, in den vormaligen Gefängniszellen sind inzwischen Landesbeamte eingezogen. Das frühere Schlanderser Kittchen war nur selten „voll ausgebucht“. Durchschnittlich war es mit einer Handvoll „Insassen“ belegt, in der Regel keine richtigen Ganoven, sondern „kleine Fische“ aus der näheren Umgebung. Gefängniswächter war der legendäre Hans Schönthaler, welcher am Eingang zum Gerichtsgebäude in der vormaligen Schlosskapelle auch einen Ausschank betrieb. Die Haftanstalt selber funktionierte nach dem Muster des offenen Strafvollzugs, d.h. die Häftlinge konnten untertags mehr oder weniger machen, was sie wollten, sie mussten lediglich am Abend rechtzeitig wieder „zu Hause“ sein und sich einsperren lassen. Das war natürlich alles andere als legal, denn im Strafvollzug galt damals noch der alte Grundsatz, wonach der Häftling während der Dauer der zu verbüßenden Strafe einfach „einzusperren“ und die Gesellschaft vor ihm zu schützen war. Schönthaler ging da eigene Wege. Er nahm den Häftlingen das Ehrenwort ab, dass sie ihn nicht „verlassen“ würden, dafür konnten sie untertags sich im Dorf bei Bauern verdingen und sich ein Zubrot verdienen. Häufig brachte er die Häftlinge auch in seinen Weingarten nach Vezzan und unterzog sie dort einer nutzbringenden „Beschäftigungstherapie“. Nur selten wurde der Aufseher von seinen Schützlingen enttäuscht. Einmal kehrte ein wegen Wilderns einsitzender Bauernsohn vom Schlanderser Sonnenberg 2 Tage lang nicht von seinem „Heimaturlaub“ zurück. Am 3. Tag fuhr Schönthaler auf den Hof und stellte den Vater des Flüchtigen zur Rede. Dieser holte daraufhin seinen Sohn aus dem Versteck im Heuschuppen hervor und übergab ihn seinem Wächter. Ein anderes Mal kehrte Schönthaler nach seiner abendlichen Wirtshaustour noch beim „Schupferwirt“ ein. In einer Ecke gewahrte er drei seiner „Insassen“, welche sich beim Kartenspiel vergnügten. Die vom Aufseher zur Rede gestellten „Flüchtlinge“ luden ihn an ihren Tisch ein. Das ungleiche Quartett zechte noch bis zur Sperrstunde, um dann getreu dem Motto: “Wer schwankt, hat mehr vom Weg“, ins Gefängnis zurückzutorkeln. Während gewöhnlich nur Häftlinge wegen Bagatelldelikten einsaßen, hatte Schönthaler einmal sogar einen „politischen“ Gefangenen, nämlich den aus Schenna stammenden Sepp Mitterhofer, der wegen seiner Beteiligung an der „Feuernacht“ eingesperrt war und die letzten 3 Monate seiner 8-jährigen Haft in Schlanders verbüßte. Dem aufrechten Patrioten Mitterhofer galt die ganze Aufmerksamkeit und Sympathie seines Aufsehers. Er tat alles, um ihn die bitteren Jahre in italienischen Gefängnissen vergessen zu lassen und brachte ihn fast jeden Tag in das Gartenhäuschen in seinem Weingarten in Vezzan. Als Mitterhofer am Herz-Jesu-Sonntag im Juni 1969 aus dem Gefängnis entlassen wurde, verabschiedete ihn der Wächter persönlich und übergab ihn den wartenden Angehörigen und Freunden, unter ihnen auch Hans Dietl. Bei dieser Gelegenheit denke ich mir, dass es angebracht gewesen wäre, zwar nicht gegen die Schließung des Schlanderser Tschumpus, wohl aber des Bezirksgerichts mit der gleichen Energie zu protestieren, mit welcher gegen die Auflassung der Geburtsabteilung im Spital gekämpft wurde. Denn die Entfernung des Gerichts aus der Peripherie geht Hand in Hand mit einer Entmenschlichung und Bürokratisierung der am Hauptsitz in Bozen konzentrierten Justiz!
Peter Tappeiner,
Rechtsanwalt

{jcomments on}


Warning: count(): Parameter must be an array or an object that implements Countable in /www/htdocs/w00fb819/vinschgerwind.it/templates/purity_iii/html/com_k2/templates/default/item.php on line 248
Gelesen 2089 mal

Schreibe einen Kommentar

Make sure you enter all the required information, indicated by an asterisk (*). HTML code is not allowed.

Ausgaben zum Blättern

titel 23-24

titel Vinschgerwind 22-24

titel vinschgerwind 21-24

 sommerwind 2024

 

WINDMAGAZINE

  • Jörg Lederer war ein Holzschnitzer aus Füssen und aus Kaufbeuren. Die Lederer-Werkstatt hat viele Aufträge im Vinschgau umgesetzt. Wer will, kann eine Vinschgautour entlang der Lederer-Werke machen. Beginnend in Partschins.…
    weiterlesen...
  • Die Burgruine Obermontani bei Morter am Eingang ins Martelltal wurde für einen Tag aus ihrem "Dornröschenschlaf" wachgeküsst. von Peter Tscholl Die Akademie Meran, die Gemeinde Latsch und die Bildungsausschüsse Latsch…
    weiterlesen...
  • Vinschger Radgeschichten - Im Vinschgau sitzen alle fest im Sattel: Vom ultraleichten Carbon-Rennrad bis hin zum E-Bike mit Fahrradanhänger, Klapprad, Tandem oder Reisefahrrad. Eine Spurensuche am Vinschger Radweg. von Maria…
    weiterlesen...
  • Kürzlich wurde von den Verantwortlichen im Vintschger Museum in Schluderns das Kooperationsprojekt Obervinschger Museen MU.SUI gestartet. Es handelt sich um den gemeinsamen Auftritt der Museen in Schluderns VUSEUM/Ganglegg, Mals, Taufers…
    weiterlesen...
  • Blau, dunkelgrün, schneeweiß schäumend, türkis oder azur - Wasserwege im Vinschgau von Karin Thöni Wasser ist Quell des Lebens und unser kostbarstes Gut. Aber es wird knapper. Der „Wasserfußabdruck“ jedes…
    weiterlesen...
  • Martin Ohrwalders Liebe zu den Pferden muss ihm wohl in die Wiege gelegt worden sein. Bereits im Alter von drei Jahren schlug er seiner Mutter vor, die Garage in einen…
    weiterlesen...
  • Manfred Haringer ist Sammler, Modellbauer und Heimatforscher. Im letzten Jahr konnte er seinen alten Traum verwirklichen. In seinem Elternhaus in Morter, wo bis Ende des Zweiten Weltkrieges die Dorfschule untergebracht…
    weiterlesen...
  • Die historische Bedeutung von Schlossruinen und ihre Geschichte faszinieren die Menschen. Mit mehreren Revitalisierungsmaßnahmen erwacht derzeit die Ruine Lichtenberg in der Gemeinde Prad am Stilfserjoch zu neuem Leben. von Ludwig…
    weiterlesen...
  • Il grano della Val Venosta era conosciuto e apprezzato in tutto l' impero Austroungalico. Testo e Foto: Gianni Bodini Oggi sono i monotoni ed estesi meleti punteggiati da pali in…
    weiterlesen...
  • Questa importante strada romana attraversava tutta la Val Venosta. Testo e Foto: Gianni Bodini Iniziata da Druso nel 15 a.C., venne completata dall’imperatore Claudio Cesare Augusto. Questa importante via transalpina…
    weiterlesen...
  • von Annelise Albertin Das Val Müstair mit seiner intakten Naturlandschaft und den kulturellen Besonderheiten ist das östlichste Tal der Schweiz. Es liegt eingebettet zwischen dem einzigen Schweizerischen Nationalpark, den „Parc…
    weiterlesen...
  • Eine Symbiose zwischen der Geschichte und dem Lebensraum rund um das kunsthistorische Hotel „Chasa Chalavaina“ im benachbarten Val Müstair von Christine Weithaler Das Hotel Chasa Chalavaina wurde am 13. November…
    weiterlesen...

Sommerwind 2024

zum Blättern

Sommer Magazin - Sommerwind 2024 - Bezirk Vinschgau Südtirol - Wandern, Menschen, Urlaub, Berge, Landschaft, Radfahren, Museen, Wasser, Waale, Unesco, Tourismus

wanderfueher 2024 cover

zum Blättern

Wanderführer 2024 - Bezirk Vinschgau Südtirol - Traumhafte Touren Bergtouren Wanderungen Höhenwege

 

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.