Dienstag, 04 August 2015 00:00

Wie regiert man eine Gemeinde? – Erfahrungen und Vorstellungen aus Naturns, Mals und Prad

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s7 9887Früher gab es „Dorfkaiser“, welche die Gemeinden regierten, große Bauvorhaben durchführten und alles „regelten“, ohne lange Diskussionen. Böse Stimmen behaupten, dass in manchen Gemeinden in erster Linie die Gemeindesekretäre das Sagen haben. Diese Modelle, eine Gemeinde zu regieren, gibt es immer noch, aber es sind Auslaufmodelle. Die moderne Gemeinde gibt sich offen, bürgernah und transparent. Gemeindepolitiker sind nicht Einzelkämpfer, sondern Teamspieler, die den mündigen Bürger zu Wort kommen lassen und im Dialog, in Kooperation die Gemeinde verwalten und gestalten. 

von Heinrich Zoderer

Natürlich hat jede Gemeinde die verschiedenen Ämter, Gremien und Kommissionen. Bürgermeister, Gemeindeausschuss und Gemeinderat sind die zentralen Stellen.

Außerdem gibt es eine ganze Reihe von vorgeschriebenen Kommissionen. Die Gemeindebaukommission ist dabei die wichtigste Kommission. Trotzdem ist die Arbeitsweise in den Gemeinden sehr unterschiedlich. Es gibt Gemeinden, da werden alle wichtigen Vorentscheidungen im Gemeindeausschuss getroffen. Der Gemeinderat macht in den wenigen Ratssitzungen nur den formellen Beschluss. Andere Gemeinden besprechen jede Tagesordnung einer Ratssitzung zuerst in den verschiedenen Parteigremien der SVP: Sozialausschuss, Wirtschaftsausschuss, SVP-Fraktion und Koordinierungsausschuss. Dass nach den langen Diskussionen in den Parteigremien kaum noch Lust besteht, im Gemeinderat alles nochmals zu diskutieren, versteht sich von selbst. Die Entscheidungen fallen praktisch in den Parteigremien, der Gemeinderat muss nur alles absegnen. In diesem Modell gibt es eine breite Mitsprache der Parteimitglieder, aber nicht der Bürger. Gewählte Gemeinderäte der Opposition haben weniger mitzureden als Parteimitglieder, weil zu dem Zeitpunkt, wo sie mitreden könnten, bereits alles entschieden ist. In den letzten Jahren wurde der Ruf nach Mitsprache, Transparenz und Mitentscheidung immer lauter. Bürgerinitiativen und  Bürgerlisten, sowie die zunehmende Politikverdrossenheit haben den Ruf nach einem neuen Politikstil verstärkt. Der Gemeinderat soll aufgewertet werden, der Bürger mehr angehört und in die Verantwortung genommen werden. Besonders junge Bürgermeister, vielfach auch Quereinsteiger und Bürgerlistenbürgermeister haben nach neuen Wegen gesucht. Und auch gefunden.

Naturns: Leitbild, Arbeitskreise, Bürgerrat und Bürgercafé
Die Gemeinde Naturns hat eine lange Erfahrung mit verschiedenen Formen der Bürgerbeteiligung. Bereits in den 90er Jahren erarbeitete die Bevölkerung unter dem damaligen Bürgermeister Walter Weiss ein Leitbild. Rund 200 Personen haben in vier Arbeitsgruppen mitgearbeitet und dabei 180 konkrete Maßnahmen erarbeitet.  „Eine Politik für den Bürger und eine Politik mit dem Bürger“, war das Motto der neuen politischen Kultur. Und diese Kultur hat die Gemeinde beibehalten, wie der derzeitige Bürgermeister Andreas Heidegger erklärte. Bürgerbeteiligung ist nach seiner Überzeugung ein Mehrwert.
Die Bürgerbeteiligung muss gewollt sein, sie darf keine Feigenblattfunktion haben und sie ist kein Wundermittel. Und natürlich ist der Zeitaufwand groß. Aber wenn sich die Leute bei der Projektvorstellung wiedererkennen, dann tragen sie die Entscheidungen auch mit, meinte Heidegger. Im Jahre 2003 wurde nach dem Bau der Umfahrungsstraße ein Dorferneuerungsprozess eingeleitet. Es ging darum, die Bevölkerung auf die Änderungen nach dem Eröffnen des Umfahrungstunnels vorzubereiten. Die Dorfgestaltung, ein Wirtschaftsleitbild und ein Tourismusentwicklungskonzept standen im Mittelpunkt dieses Prozesses. In mehreren Arbeitsgruppen wurde unter der Leitung von externen Moderatoren wie Marlene Preims, Alois Kronbichler und Johannes Haller die Konzepte erarbeitet. Nicht immer ging alles reibungslos, bemerkte Heidegger. Manchmal musste die Methode gewechselt und einiges neu begonnen werden. In der letzten Legislatur wurde ein sehr umfangreicher Prozess der  Bürgerbeteiligung eingeleitet. Es wurde eine eigene „Steuergruppe Bürgerbeteiligung“ eingerichtet, um diesen Prozess zu konzipieren, zu begleiten, zu reflektieren und  zu korrigieren. In Naturns gibt es seit der Leitbilddiskussion verschiedene Arbeitskreise, in denen Gemeinderäte, Vereinsmitglieder und verschiedene Bürger zu ganz konkreten Themen Vorarbeit leisten, Konzepte erarbeiten und so dem Gemeindeausschuss und dem Gemeinderat zuarbeiten.  Es gibt Arbeitskreise zum Thema Energie, Gemeindeimmobiliensteuer, Integrierte Altenarbeit, Naturparkaus, um nur einige zu nennen. Eine Besonderheit in Naturns ist die Einführung des Bürgerrates und des Bürgercafés. Der Bürgerrat trifft sich einmal im Jahr an einem Wochenende im Herbst, um ein Stimmungsbild über das Dorf zu erarbeiten. Dieses Gremium besteht aus 12 bis 16 Personen, die jedes Jahr neu ausgelost werden. Insgesamt werden 120 Personen durch das Los ermittelt, 60 Frauen und 60 Männer unterschiedlichen Alters. Von diesen Personen bilden dann jene den Bürgerrat, welche sich als erste in der Gemeinde melden.
Letztes Jahr trat der Bürgerrat das erste Mal am 7. und 8. November zusammen. Die Ergebnisse wurden am 14. November in einem Bürgercafé präsentiert. Beide Veranstaltungen wurden von den zwei Moderatoren Katharina Erlacher und Christian Hörl von der Sozialgenossenschaft blufink moderierte und von Katherina Longariva dokumentiert. Als Ergebnis konnte ein umfangreicher Bericht, sowie 44 konkrete Ideen der Gemeindeverwaltung übergeben werden. Noch zwei Besonderheiten gibt es in Naturns. Die Gemeinderatsitzungen finden immer am Montag statt und beginnen um 19 Uhr. Nach 2 Stunden wird eine Pause von 10 Minuten gemacht und nachher können die Bürger Fragen stellen. Zu den jährlich stattfindenden Bürgerversammlungen erhalten die Naturnser nicht nur eine Einladung, sondern mit der Einladung bereits einen Kurzbericht über durchgeführte und geplante Projekte, so dass im Mittelpunkt der Bürgerversammlung nicht der Bericht des Bürgermeisters, sondern die Diskussion steht.


Mals: Workshops, Arbeitsgruppen, Volksabstimmung, Bürgerhaushalt
Die Gemeinde Mals hat in der letzten Verwaltungsperiode unter Bürgermeister Ulrich Veith viele neue Akzente in Sachen Bürgerbeteiligung gesetzt. Es gab zwei Volksabstimmungen, eine über den Bau eines Wasserkraftwerkes am Rambach und eine über das Verbot von Pestiziden in der Gemeinde Mals. Aber die Hauptarbeit passierte unbeachtet von der breiten Öffentlichkeit in verschiedenen Workshops und Arbeitsgruppen, welche zu Beginn der Amtsperiode eingerichtet wurden. Bürgermeister Veith berichtete mir, dass er ohne Programm als Bürgermeister zu den Wahlen angetreten ist. Seine Vorstellung von Politik mit einer starken Beteiligung der Bevölkerung und der direkt Betroffenen stellte er in den Mittelpunkt seines Wahlkampfes. Und nach den Wahlen wurden Arbeitsgruppen eingerichtet. Unter der professionellen Begleitung von Bernd Karner von der Firma Chiron wurde zwei Jahre lang an konkreten Themen gearbeitet. Es gab verschiedene Workshops zu den Themen Energie, Mobilität, Jugend, Senioren, Kultur und Soziales, wobei Probleme aufgezeigt, Ideen vorgetragen und Meinungen gesammelt wurden. Zur konkreten Umsetzung einzelner Ideen wurden dann Arbeitsgruppen eingerichtet. Ein Fragebogen wurde verteilt, um auch die Meinung derjenigen einzuholen, die sich an den Arbeitsgruppen nicht beteiligten.
Es gab einen Rückfluss der Fragebögen von 70%. Auf diesem Wege wurde ein Energieleitbild entwickelt und acht Wasserkraftwerke gebaut, 13 Photovoltaikanlagen installiert, die Fußgängerzone umgesetzt und auch in anderen Bereichen einiges realisiert. Das Vereinslokal in Matsch wurde von den Vereinen von Matsch geplant, das Konzept für die Dorfplatzgestaltung in Schleis entwickelte die Bevölkerung von Schleis. In den verschiedenen Arbeitsgruppen wurden die Vorstellungen ausdiskutiert und dann der Gemeindeverwaltung vorgetragen. Nach den Erfahrungen von Veith sind Projekte, die auf diese Weise entstanden sind, viel besser, weil mehrere Sichtweisen einfließen. Arbeitsgruppen verzögern auch nicht den ganzen Prozess. Die Vorbereitungen gehen etwas langsamer. Es muss viel diskutiert und oft auch ausgestritten werden, Beispiele in anderen Gemeinden werden angeschaut, Fachleute müssen herangezogen werden. Aber nach diesem Prozess ist die Umsetzung viel leichter und die Leute tragen das Projekt dann auch mit, meinte Ulrich Veith. Dieses Jahr will der Bürgermeister mit dem „Projekt Bürgerhaushalt“ starten. Die Bürger sollen den Haushalt der Gemeinde besser verstehen und mitreden können, wofür das Geld verwendet wird. Die Genossenschaft Politis mit Thomas Benedikter aus Bozen wird diesen Prozess begleiten. Es geht darum zu verstehen, woher das Geld kommt und wohin es geht, wo es Spielräume gibt und welche Gelder bereits fix verplant sind. Die Bürger sollen ein Gespür für die öffentlichen Gelder erhalten und mitreden können beim Investitionsprogramm, bei den Gebühren, bei den Beiträgen an die Vereine und bei der Immobiliensteuer GIS.
In Deutschland gibt es bereits mehrere Gemeinden mit einem Bürgerhaushalt, die Gemeinde Mals wird in Südtirol eine der ersten sein, die ein solches Projekt durchführt.


Prad: Sitzungskalender, Beiräte, Klausurtagungen und Gemeinderatssitzungen mit Bürgerfragen
Karl Bernhart, der neue Bürgermeister von Prad, ist erst knapp zwei Monate im Amt, aber er hat schon sehr klare Vorstellungen über die Arbeitsweise in der Gemeinde. Vor allem ist er gewillt den Gemeinderat aufzuwerten und die Bürger stärker in die Entscheidungen einzubinden.  Er hat keine Angst vor Diskussionen und unterschiedlichen Meinungen. Gegenteilige Meinungen sind gefragt, denn sie regen zum Denken an, meinte er. Wichtig ist es vor den Entscheidungen zu informieren und die Mitsprache zu suchen. Bernhart will mehr Gemeinderatsitzungen durchführen, mindestens 7-8 im Jahr. Jedes Jahr wird ein Sitzungskalender erstellt. Die Ratssitzungen sollten aber nicht zu lange dauern, nur rund 2 bis 2 ½ Stunden. Bernhart möchte bei den Gemeinderatsitzungen auch den Bürgern die Möglichkeit gegeben, Fragen zu stellen. Wichtige Tagesordnungspunkte sollten zuerst behandelt werden, reine Verwaltungsbeschlüsse und nicht so dringende Punkte zuletzt. Jeder Gemeindereferent soll an seiner Seite einen oder zwei Beiräte haben, die ihm zuarbeiten und unterstützen. Sowohl Gemeinderäte, als auch interessierte Bürger sollen in den Beiräten mitarbeiten. Auf diese Weise hat jeder Referent wichtige Ansprech- und Diskussionspartner. Die Bürger können sich mit ihren Vorschlägen, Bedenken und Beschwerden an die Referenten wenden, sie können aber auch mit den Beiräten reden und diesen ihre Anliegen vorbringen. Wer Ideen hat und mitarbeiten will, soll mitarbeiten können, meinte Bernhart.
Wichtig ist dem Bürgermeister, dass für die Allgemeinheit gearbeitet wird und die Parteipolitik in den Hintergrund rückt. Jeder Gemeindereferent soll mit seinem Beirat die kurz-, mittel- und langfristigen Aufgaben festlegen und eventuell auch in Zusammenarbeit mit Experten konkrete Lösungen erarbeiten. Jährlich soll eine Klausurtagung des Gemeinderates stattfinden. Dabei muss es eine Standortbestimmung geben. Was wurde gemacht, was wurde erreicht und wie geht es weiter?  Mindestens einmal im Jahr will Bernhart eine Bürgerversammlung abhalten. Bei aktuellen Themen sollte es aber auch in den Vierteln oder Fraktionen Bürgerversammlungen geben. Wichtig sind ihm auch die Kontakte mit den Verbänden und Interessensgruppen. Wenn die Bürger das Gefühl haben, dass sie mitreden können und Beiräte oder Kommissionen nicht nur ein demokratisches Feigenblatt sind, dann werden die Bürger die Entscheidungen auch mittragen, davon ist der neue Bürgermeister überzeugt.

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