Dienstag, 03 Februar 2015 00:00

Zweiter Weltkrieg: Vier Jahre in russischer Gefangenschaft

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img022Hans Raffeiner aus Prad hat ein Buch über seine Erlebnisse in russischer Gefangenschaft geschrieben.

Bei der Musterung im Mai 1944 war Hans Raffeiner erst 16 Jahre alt. Er war 1,80 m groß, blond und blauäugig und damit ein richtiger Arier. Deshalb wurde er der Waffen-SS zugeteilt und bekam einen Stempel unter die Achsel. Kurz vor Kriegsende, im April 1945 kam der Einberufungsbefehl.

Als Einziger aus Laas wurde er nach Prag geschickt. Zuhause waren sieben Kinder und im Stall nur zwei Kühe. Bei so vielen Kindern musste einer für das Vaterland in den Krieg, hieß es damals. Auf der Fahrt lernte er Otto Pircher aus Göflan und Max Wieser aus Schlanders kennen. Sie blieben bis zur Heimkehr zusammen. Das war ein kleiner Trost. Hans Raffeiner  machte in Prag die Ausbildung zum Panzergrenadier. Am 8. Mai war der Zweite Weltkrieg zu Ende, Raffeiner versuchte sich mit anderen nach Westen durchzuschlagen, bis zu den Amerikanern. Es gelang ihm auch, doch die Amerikaner lieferten ihn an die Russen aus. Und damit begann für ihn der eigentliche Krieg, der Kampf ums Überleben, der Kampf gegen Hunger, gegen Demütigungen, gegen Krankheit, Heimweh und Verzweiflung. Erst nach vier Jahren, am 12. Oktober 1949 kehrte Hans Raffeiner nach Laas zurück. Er war 22 Jahre alt, ohne Beruf und traumatisiert von den Jahren in russischer Gefangenschaft. Später wurde er Versicherungsvertreter, gründete eine Familie und baute ein Haus in Prad. Doch die Zeit der Kriegsgefangenschaft beschäftigte ihn sein ganzes Leben lang, so als wäre für ihn der Krieg und die Kriegsgefangenschaft nie zu Ende gegangen. Es vergeht kein Tag, an dem er nicht darüber spricht, Alpträume verfolgen ihn in der Nacht und seit Jahren schreibt er seine Erlebnisse auf. An seinem 80. Geburtstag hat seine Frau Theresia, eine pensionierte Grundschullehrerin, angefangen zusammen mit ihrem Mann diese Erlebnisse zu ordnen und Kapitel für Kapitel niederzuschreiben, von seiner Kindheit in Laas bis zu seiner Rückkehr. Seine Enkelin Sara hat die handgeschriebenen  Geschichten mit dem Computer abgeschrieben. 2009 wurde das Buch im Athesia Verlag veröffentlicht. Bereits 2010 wurde die zweite Auflage gedruckt und Hans Raffeiner zeigte mir mit Stolz bei unserem Gespräch einen Brief der Verlagsanstalt Athesia, in dem diese mitteilt, dass eine dritte Auflage des Buches geplant ist.

Im Viehwaggon nach Rustavi im Südkaukasus (Georgien)

Da Hans Raffeiner das SS Abzeichen unter der Achsel trug, wurde er wie ein Kriegsverbrecher und nicht nur als gewöhnlicher Kriegsgefangener behandelt. Zusammen mit 40.000 Mann musste er tagelang nach Brünn marschieren, in die Ungewissheit. Sehr viele überlebten den Marsch nicht. Sie waren dem Regen und der Brutalität der Russen ausgesetzt. Später wurden sie in einem Viehwaggon nach Georgien gebracht. Die Reise dauerte eine Woche. „Die Ungewissheit, die Langeweile, das monotone Geratter der Räder, die Platzangst in den engen Waggons, der Hunger, der Durst, der Gestank und das Ungeziefer zehrten an unseren Nerven und machten uns gesundheitlich und moralisch so fertig, dass wir den Tod als Erlösung empfunden hätten“, schreibt Raffeiner. Einmal im Monat kam ein LKW mit Verpflegung. Dann gab es einen Monat lang eine fast ungenießbare Mehlsuppe ohne Salz und pro Tag 450 Gramm Brot. Im nächsten Monat gab es täglich Hirsesuppe. „Das Leben war von einer Eintönigkeit sondergleichen. Jeden Tag dieselbe Arbeit, derselbe Hunger, derselbe Kampf ums Überleben. Es gab keinen Sonntag, somit auch keinen Ruhetag. Wir hatten keinen Kalender und folglich keine Zeitorientierung.“

Der Engel von Rustavi und russische Gastfreundschaft

s31 Hans RaffeinerIm Buch erzählt Hans Raffeiner, dass viele seiner Kameraden starben, an Krankheiten, an Unterernährung. Viele machten Selbstmord. Auch er wurde krank, wog nur mehr 40 Kilo und wäre oft lieber gestorben. Im Buch schreibt er aber auch von unvergesslichen Menschen, die durch einfache Gesten, durch wenige Worte Mut und Kraft gegeben haben. Er spricht von einer jungen Ärztin, die sie Engel von Rustavi nannten, weil sie alles tat, was in ihrer Macht stand, um den Gefangenen zu helfen. Sie hielt die Hand der Gefangenen und es tat gut. Sonja, eine russische Lehrerin und ihre Mutter halfen ihm, ein paar Sojabohnenfladen zu ergattern. Der Koch machte damit einen Brei und man konnte sich wieder einmal satt essen. Ein Diplomlandwirt lud Hans Raffeiner zu sich nach Hause ein. Seine Frau spielte am Klavier das Lied „Am Brunnen vor dem Tore“. Es waren schöne Stunden und er musste an seine Heimat denken. Zuletzt wurde Raffeiner im Hauptverpflegungslager untergebracht. Er war dort „Mädchen für alles“ und musste u. a. für einen Oberst die Hühner und Hasen füttern. Innerhalb eines halben Jahres nahm er 32 kg zu. Er konnte sich endlich mit Brotabfällen satt essen, es kam ihm vor wie im Schlaraffenland. Groß war die Freude als Raffeiner im Jahre 1948 dreimal ein Paket mit Zwieback und Ovomaltine von der Tiroler Landesregierung erhielt. Am 27. August 1949 wurde Raffeiner entnazifiziert und kam später nach Hause. Mit den wenigen Rubeln, die er hatte, kaufte er eine Armbanduhr und einen Silberring. Den Ring besitzt er noch heute.

Auszug aus dem Buch
„Meine Erlebnisse in russischer Gefangenschaft“ Die Unkrautsuppe
(Seite 76)

Im Sommer 1947 arbeitete ich eine Zeit lang in Rustavi auf einer Baustelle. Diese war mit einem Stacheldrahtzaun umgeben, damit kein Gefangener abhauen konnte. Außerhalb des Zaunes stand ein Wachturm, auf dem ein Rotarmist mit Gewehr saß und die Aufgabe hatte, uns zu bewachen. Eines Tages, um die Mittagszeit, nachdem wir unser dünnes Süppchen abgeholt hatten, bemerkte ich, dass außerhalb des Stacheldrahtzaunes ein bestimmtes Unkraut wuchs, das essbar sein musste. Gerne hätte ich das Unkraut gepflückt und in mein dünnes Süppchen gekocht, um satter zu werden. Ich überlegte, wie ich es anstellen könnte, zu Unkraut zu gelangen. Da bemerkte ich eine schadhafte Stelle im Stacheldrahtzaun. Ich schaute unauffällig zum Wachsoldaten auf den Wachturm hinauf und bemerkte, dass er eingenickt war. Sofort versuchte ich durch die schadhafte Stelle im Zaun zu kriechen, um das Unkraut zu pflücken. Kaum hatte ich ein Bündel Unkraut in der Hand, schrie der Wachsoldat: „Stoj!“ (Halt!), und hantierte gleichzeitig am Gewehr herum. Ich wollte zurückkriechen, konnte aber nicht, weil ich wie erstarrt auf dem Bauch lag, in Erwartung des Schusses, der mein Leben beenden würde. Als der Wachsoldat das Unkraut in meiner Hand erblickte, brach er in ein schallendes Gelächter aus. Sofort lockerte sich meine Verkrampfung und ich konnte wieder zurückkriechen. Dankbar zeigte ich ihm das Unkrautbüschel, das ich darauf in meine Suppe brockte. Der Rotarmist ersparte sich die Kugel, und für mich gab es eine dickere Suppe. Nur wer etwas riskiert und keine Mühe scheute, konnte in der Gefangenschaft überleben.
Heinrich Zoderer

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1 Kommentar

  • Kommentar-Link Wayne Freitag, 17 Mai 2019 09:03 gepostet von Wayne

    Wollte Euch einfach mal in diesem Gaestebuch einen Gruss hinterlassen. :)

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