Dienstag, 15 Oktober 2013 12:00

Unverbesserlich, dieses Land!

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s8 7294von Albrecht Plangger, Kammerabgeordneter

9. Oktober 1963 - die Katastrophe von Vajont - 22.19 Uhr. Ein ganzer Bergrücken stürzt in einen Stausee - 4 Minuten später - 2.000  unschuldige Tote wegen menschlichem Versagen und privater und  staatlicher Gewinnsucht, die über die Sicherheit der Bürger gestellt  wurde.
9.Oktober 2013 - 50 Jahr Gedenkfeier im Parlament. WELCHE Lehren wurden aus dieser Katastrophe gezogen? Hier ein Kurzbericht, der dem Staat und seinen höchsten Repräsentanten leider kein gutes Zeugnis ausstellt. Die Parlamentspräsidentin Boldrini eröffnet die Sitzung.

Der Plenarsaal ist noch halb voll. Alle Abgeordneten stehen auf. Die Präsidentin  erinnert  an die Tragödie und die vielen Toten. Es war keine Naturkatastrophe, sondern die Katastrophe war vorhersehbar und die vielen Toten hätte es nicht geben müssen. Auch der Staat habe seine  Schuld und man erkenne diese in Gedenken an die vielen Toten  an. Eine Schweigeminute. Ich denke an die Toten und ob der Staat aus dieser Katastrophe auch etwas gelernt hat. Mir fällt Stava im Trentino ein, die Überschwemmung von Martell vor 25 Jahren....
Wir im Vinschgau hatten wohl  mehr Glück? Auch bei uns wurden  bei  der Reschenseestaumauer geologische Bedenken  über Bord geworfen und  die  geologischen Untersuchungen und Bohrungen - mit Staatshilfe-  gefälscht. Felsen wurde vorgegeben, Schotter oder fauler Fels war vorhanden. Der amerikanische Ingenieur war aber aus unserer Sicht ein Genie. Der hat zwar vorgegeben, eine auf felsgegründete Staumauer (diga  propria) zu errichten, in Wirklichkeit wurde aber eine »diga  impropria« geplant, die dem Wasserdruck nur mit dem eigenen Gewicht (550.000 m3) standhält. Es war die erste Staumauer dieser Art in Europa und die zweite weltweit.  Wir im Vinschgau hatten im Gegensatz zu den Bewohnern von «Longarone, Casso, Erto catellavazze«  wohl mehr Glück, aber auch bei uns hatte der Staat verantwortungslos seinen Bürgern  gegenüber weggeschaut und eine Katastrophe zumindest  riskiert. Mittlerweile wissen wir aber, dass unser Staudamm absolut sicher ist  - auch aus Erdbebensicht besser als jeder in Fels gegründete Staudamm. Dies haben mir Schweizer Ingenieure  und die Ingenieure im Staatsbauamt in Rom -als die Sicherheit des Staudamms vor Jahren ein Thema war- versichert. Seit »Vajont» sind die Staudammkontrollen in Italien schärfer als in allen anderen Ländern . Bei den Stauseen ja, so die Schweizer Ingenieure,  aber bei den Druckleitungen und  Wasserstollen ist sicher noch nicht alles getan. Man sollte also nicht ein weiteres Vajont abwarten, sondern endlich die Hausaufgaben machen.
Die Gedenkminute ist vorbei, man geht halt schon wieder zur Tagesordnung über. Die Präsidentin spricht noch  von einem  einstimmigen  Beschluss der Umweltkommission, den auch wir Südtiroler  Abgeordnete mitgetragen haben, welche den Staat auffordert , das  Territorium hydrogeologisch  besser zu schützen und der  rücksichtslosen Bodenversiegelung und Verwahrlosung bestimmter  Gegenden entgegenzuwirken. Ein guter Ansatz, aber  höchstwahrscheinlich wird er ohne Folgen bleiben, wenn die großen Winter und Frühjahrs-Regenmengen Italien wieder treffen werden. Wir können auf etwas  gefasst sein.
10 Redner sind  noch eingeschrieben. Niemand hört aber zu, auch nicht den Worten eines ehemaligen Bürgermeisters  der Gegend um Vajont, der uns alle darauf hinweist, dass wir Parlamentskollegen und die Mitglieder auf der Regierungsbank (als Vertreter des Staates) unsere Hausaufgaben leider  noch nicht gemacht haben, dass wir der Toten mit »gesenktem Haupt«   zu gedenken hätten, gerade weil wir  unsere Hausaufgaben auch bei Druckleitungen und Stollen bei Weitem noch nicht gemacht hätten. Während dieser wirklich eindrucksvollen Rede  muss die Präsidentin einige Male um Ruhe bitten, bevor sie selbst ihm - als direkt Betroffenen - das Wort entzieht, weil er einige Sekunden bei der Redezeit überzogen hat. Auch dies eine Respektlosigkeit. Als der letzte Redner über Vajont  und über die Lehren , die daraus zu ziehen wären, spricht  ist der Saal halbleer. Wen interessiert’s? Unverbesserlich dieses Land!


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