Mittwoch, 13 Juni 2012 00:00

„Di Muatr hot miar verschenkt“

Artikel bewerten
(0 Stimmen)

Josef Habicher, genannt Seppele, geboren 1942 in Meran

s15_7740Wenn ihm die Lebensgeschichten aus den „Vinschgerwind“ vorgelesen werden, hört Seppl immer aufmerksam zu. Oftmals bekundete er den Wunsch, auch mit seiner Geschichte „in die Zeitung zu kommen“. Nun hat sich dieser Wunsch erfüllt.

„Di Muatr hot miar verschenkt“, beginnt er zu erzählen, angespannt schluckt er dabei und ist für einen Augenblick den Tränen nah. „Si isch a Meranerin gweesn, fa main Votr woas i goor nichts“, erklärt er. Seppl stand von Geburt an auf der Schattenseite des Lebens. Im Kleinkindalter kam er zu seiner Ziehmutter Anna nach Völlan, die ihn nach ihrer Hochzeit mit Anton Habicher ins Oberland mitnahm. Dort wuchs Seppl zusammen mit zwei Geschwistern, ebenfalls Ziehkinder, in bescheidenen Verhältnissen auf. Er war gezeichnet von der Kinderlähmung, begleitet von Sprachstörungen und nächtlichen Anfällen. „Bis i zwölf Johr olt gewesn bin, hon i jede Nocht an Ounfoll kett“, sagt er. Seine Ziehmutter schlief neben ihm und umsorgte ihn. Seppl kam lange nicht auf die Beine. In einem hölzernen Ziehwagen brachte ihn die Mutter in die Schule. Seppl war verschüchtert und zitterte. „I bin nit instond gwesn z schreibm“, erinnert er sich. Er stand im Abseits und lernte weder lesen noch schreiben. Laufend hänselten ihn Mitschüler. Sein Bruder versuchte ihn zu schützen, was allerdings nicht immer gelang. Als Seppl acht Jahre alt war, traf er seine leibliche Mutter. Für Seppl war die Frau am Bahnhof in Meran eine Fremde, die ihn nicht in die Arme nahm. „A traurigs Treffn, s erscht unt s lescht“, meint er.
Im Alter von zwölf Jahren schaffte er es endlich, sich eigenständig fortzubewegen und auch die Anfälle blieben aus. „Di Muatr hot miar fa Kopf bis Fuaß olla Tog mit Schnops inngriebm, sell hot gholfn.“ Zu neuen Kräften gekommen, versuchte sich Seppl bei der täglichen Arbeit einzubringen, so gut er konnte. Er half beim Holzsammeln und beim Hüten. Oft begleitete er seine Mutter, wenn sie selbstgefertigte Papierblumen aus Krepppapier gegen Lebensmittel eintauschte. Die Beschäftigung beim Dorfmetzger gefiel ihm gut. „I hon  meischtns Darm putzt“, sagt er. Er wollte fleißig sein, sich gleich schnell bewegen wie andere, doch er stolperte oft. Eine Unglücksserie begann. Ein pickelharter Schneeball traf sein rechtes Auge und er verlor dort die Sehkraft. Kurz darauf geriet er mit der rechten Hand in eine Kreissäge und büßte einen Finger ein. Schlimm erwischte ihn 1982 ein herabstürzender Balkon. Es folgte ein langer Krankenhausaufenthalt in Brixen. „Oan Summer pin i an di Gwichter ghongan“, erinnert er sich. Besuch erhielt er vom Brixner Dekan Eduard Habicher, einem gebürtigen Oberländer. Nach seiner Entlassung kam er ins Altenheim nach Mals, wo inzwischen auch seine Zieheltern lebten. Das Malser „Spital“ wurde sein Zuhause. Er verstand sich gut mit den Klosterfrauen „Cerina“ und „Modesta“, und mit dem Malser Dekan Johann Pamer, bei dem er oft im Widum zu Gast war. Seppl war betrübt, als dieser versetzt wurde. Über das neue Martinsheim freut er sich. „Es isch do viel Plotz unt olz schean“, erklärt er. Trotz Krankheiten, Unfällen und Hänseleien hat Seppl seinen Humor nie verloren. Gut gelaunt und oft in spitzbübischer Art heitert er Mitbewohner und Pflegekräfte auf. „Miar geat´s do guat unt do bleib i“, betont er. Er hilft im Garten, schiebt Rollstuhlfahrer in den Speisesaal, ist ein eifriger Teilnehmer in den Freizeitgruppen und aufmerksamer Zuhörer, wenn vorgelesen wird. Eine besondere Lesestunde wird es für ihn sein, wenn man ihm seine Lebensgeschichte vorliest.

Magdalena Dietl Sapelza

Zeitung Vinschgerwind Bezirk Vinschgau


Warning: count(): Parameter must be an array or an object that implements Countable in /www/htdocs/w00fb819/vinschgerwind.it/templates/purity_iii/html/com_k2/templates/default/item.php on line 248
Gelesen 3532 mal

Schreibe einen Kommentar

Make sure you enter all the required information, indicated by an asterisk (*). HTML code is not allowed.

Ausgaben zum Blättern

titel 5-25

titel Vinschgerwind 4-25

titel vinschgerwind 3-25

 winterwind 2024

WINDMAGAZINE

  • Warm und trotzdem atmungsaktiv. Funktionsbekleidung ermöglicht es uns, selbst bei klirrenden Temperaturen den Schnee und die traumhafte Winterlandschaft zu genießen, ohne ins Frösteln zu kommen. Baumwolle, Fleece oder Daunen? Was…
    weiterlesen...
  • Die tierischen Protagonisten aus der Weihnachtsgeschichte an den Futterkrippen anzutreffen, war einigermaßen überraschend. Weniger unerwartet war, dass ihre Landwirte auch im Winter tüchtig sind. Ein bisschen Zeit für die Ofenbank…
    weiterlesen...
  • Der junge Vinschger Martin Fahrner ist seit 2018 Chef der World Racing  Academy WRA. In der Skisaison 2024/2025 ist er mit 12 Athleten im  internationalen Skizirkus unterwegs. Sein Vater Hans…
    weiterlesen...
  • Promenaden verfügen standesgemäß über besondere Flanierqualitäten, bieten interessante Blickbeziehungen und dienen in der Regel dem Lustwandeln.  Der fünf Kilometer lange Rundweg um den Haider See im Vinschger Oberland vereinigt diese…
    weiterlesen...
  • Ein paar winterliche Überlebensstrategien von Alpentieren und -pflanzen stelle in diesem Beitrag vor. Vereinfacht und in einer systematisierenden Übersicht kann man aktive und passive Überwinterer unterscheiden. Von Wolfgang Platter, dem…
    weiterlesen...
  • Un racconto per immagini di Gianni Bodini   La Val Venosta offre agli amanti degli sport invernali diversi centri ben attrezzati, ma anche per chi si “accontenta” della natura non…
    weiterlesen...
  • Die magische Geschichte der „VALANGA AZZURRA“ („blaue Lawine“),  dem damals erfolgreichsten Ski-Team der Welt rund um Gustav Thöni wurde  verfilmt. Vorgestellt wurde der Kino-Film jüngst am Filmfestival in Rom. von…
    weiterlesen...
  • Unvergessliche Pistenerlebnisse Atemberaubendes Panorama und 44 bestens präparierte Pistenkilometer: In Sulden sind Wintersportträume Wirklichkeit.   Das Skigebiet in Sulden ist kein Geheimtipp, Sulden ist höchstes Niveau, Sulden ist „First Class“:…
    weiterlesen...
  • Schließen Sie die Augen und träumen Sie vom perfekten Winterurlaub mit der Familie … Text: Stephan GanderFotos: Lucas Pitsch / Sebastian Stip In Trafoi, mitten im Nationalpark Stilfserjoch erlebt man…
    weiterlesen...
  • Eine Oase der Ruhe, ein Ziel für Wanderungen, ein beliebter Treffpunkt für Genießer, auch zum Feiern, Ausgangspunkt für Skitouren, eingebettet in einer wunderbaren Bergkulisse: das ist die Berghütte Maseben. Die…
    weiterlesen...
  • Wusstest du, dass die Nährstoffe in Äpfeln die gesundheitliche Wirkung von anderen Lebensmitteln verstärken? VIP hat spezielle Kombinationen mit Vinschger Apfelsorten entwickelt, die überraschend gut schmecken und die Gesundheit fördern.…
    weiterlesen...
  • Die Tage werden kürzer, die Luft frischer, und die Landschaft erstrahlt in reinem Weiß – der Winter in der Ferienregion Reschensee ist da! Eingebettet im malerischen DreiländereckItalien-Österreich-Schweiz erwartet euch ein…
    weiterlesen...
  • Wo die heimischen Alpen in ein winterliches Wunderland verwandelt werden! Dieses Gebiet bietet nicht nur erstklassige Skimöglichkeiten, sondern ist auch ein Ort, der Tradition und Gemeinschaft inmitten der atemberaubenden Natur…
    weiterlesen...
  • Latsch-Martelltal Zwischen kristallklaren Bergseen, dem ursprünglichen Martelltal, dem kargen Sonnenberg und dem sattgrünen Nörderberg liegt das Feriengebiet Latsch-Martell - unterschiedlicher könnte es nicht sein. Als wahres Skitouren Eldorado ist das…
    weiterlesen...

Winterwind 2024

zum Blättern

Winter Magazin - Winterwind 2024 - Bezirk Vinschgau Südtirol - Skigebiete Skifahren Rodeln Langlaufen Winterwandern Schneeschuhwandern Eislaufen Schöneben Haideralm Sulden Trafoi Watles Ferienregion