Dienstag, 22 Oktober 2013 09:06

Mit der Werkstatt auf dem Rücken

Artikel bewerten
(0 Stimmen)

s17 5589Mit der Werkstatt auf dem Rücken ging der Schuster Hans Unterholzner auf die Stör und heute noch findet man ihn tagtäglich bei Reparaturarbeiten in seiner Werkstatt in Naturns.

von Maria Gerstgrasser

Das Schaufenster gleicht einem kleinen Museum. Es zeigt Schuhe und Arbeitsgeräte aus früheren Zeiten und seiner Sammeltätigkeit. Damit macht er ein Stück Kulturgeschichte lebendig. Passanten bleiben stehen, fotografieren und erkundigen sich über das alte Handwerk.

Hans Unterholzner wurde 1929 in St. Walburg im Ultental in eine zwölfköpfige Kinderschar hineingeboren und besuchte dort die Schule. Da er einige Sommer auf der Alm verbrachte , erwuchs in ihm eine besondere Liebe zur Natur und vor allem zu den Tieren. Aber sein Wunsch, Tierarzt zu werden, konnte sich nicht erfüllen. Nun galt es, sich für einen Handwerksberuf zu entscheiden. Er fand eine Lehrstelle bei einem Schuster seines Heimatdorfes und musste gleich erfahren, dass „Lernjahre keine Herrenjahre“ sind. Es gab damals keinen Urlaub, keine Sozialversicherung, keine Unterkunft und Verpflegung, nur Tage mit vierzehn Arbeitsstunden und das gleich vom Anbeginn der Lehre. Diese strenge Zeit hat aber sein Leben geprägt und dieses Aufwachsen und Lebenlernen in einer Welt der Bräuche und Traditionen stählte seinen Willen und seine Kraft, bis auf den heutigen Tag. Lange Arbeitszeiten sind dem Schuster zur Lebensgewohnheit geworden. So ist er auch heute noch unermüdlich in seiner Werkstatt tätig. Auf die Frage, wie lange er dies noch machen will, antwortet er gelassen: „Bis i vom Schuasterstuahl oi foll.“
Erneut die Ärmel hochkrempeln musste er, als er 1950 nach Naturns zog und da das Schuhgeschäft im „Huaterhaus“ erwarb. Mit großem Tatendrang startete er dort gleich mit fünf Gesellen und einem Lehrling. Zu siebt arbeiteten sie im Betrieb und hatten die Hände voll zu tun, obwohl es in Naturns damals noch weitere fünf Schuhmacher gab. Insgesamt waren dann vierundzwanzig Leute in dieser Branche beschäftigt. Hans absolvierte auch einen Orthopädiekurs und erlangte bald den Meistertitel.
Als besonders schöne Zeit betrachtet Hans Unterholzner jene Zeit, in der er als Störschuster, zuerst in Ulten, dann auch noch in Naturns herumgezogen ist. Er besuchte die Kunden auf den entlegenen Bauernhöfen und fertigte dort jedem Hausbewohner Schuhe an. Der Störschuster störte zwar den gewohnten Tagesablauf der Bauernfamilie, daher vermutlich der Name, brachte aber auch Abwechslung in den bäuerlichen Alltag, für die Erwachsenen Neuigkeiten aus dem Tal, für die Kinder einen Anschauungsunterricht, den es heute nicht mehr gibt. Sie konnten den Werdegang eines Schuhes vom Maßnehmen bis zum Einfädeln der Schuhlitzen miterleben.
Der Störschuster brachte all sein Werkzeug in einem Rucksack oder Ruckkorb selbst mit und baute sich in einer Stubenecke die Werkstatt auf. Da fanden Schusterstuhl, Dreifuß, Leisten, Raspeln, Hammer, Ahlen, Zangen und Schachteln mit „Scharnägeln“, „Mausköpfen“ und Holznägelchen ihren Platz. Das Schaff mit Wasser zum Einweichen des Leders besorgte die Bäuerin, und der Bauer Rind- und Ziegenleder beim Gerber. Nachdem alles vorbereitet war, ging es ans Maßnehmen, Nähen, Einbinden, Hämmern, Besohlen, gewaltsame Herausziehen der Leisten und das Beschlagen der Sohlen mit Nägeln. Der Schusterdraht aus verdrillten Hanffäden wurde mit Pech eingerieben und mit Honig geglättet. Gespaltene Schweineborsten ersetzten die Nadel beim Nähen des weichen Oberleders. So wurden Werktagsschuhe, Feiertagsschuhe und feine Hochzeitsschuhe angefertigt. Auch Flickarbeiten waren gefragt. Ein Kuriosum stellten Schuhe dar, die bei jedem  Schritt „greinten“. Besonders bei Hochzeitsschuhen stellten die
Bräute diese Forderung und waren  auch bereit, dem Schuhmacher dafür ein Trinkgeld zu geben. Also fügte der Schuster zwei Lederflecken lose übereinander in den Sohlen ein. Hans Unterholzner erzählte: „Af dr Stear isches lustig und voller Harmonie gwesen“. Die Abende verbrachte man oft bei froher Geselligkeit.
Heute geht niemand mehr auf die Stör. Das Schusterhandwerk wurde von der Industrie verdrängt. Die Gummisohlen lösten Ende der fünfziger Jahre auch die mit Nägeln beschlagenen Sohlen ab, und so ist der Schuhmacher zum Schuhhändler geworden. Hans Unterholzner bekam die Verkaufslizenz und verlegte anfangs der Achtzigerjahre seine Tätigkeit in die neu errichtete „Alte Post“.
Er bedauert es immer mehr, dass das Schustern ein aussterbendes Handwerk geworden ist und möchte an zuständige Stellen appellieren, durch gezielte Maßnahmen den Beruf attraktiver darzustellen.
Unter der Jägerschaft ist der Naturnser Handwerker als guter Kamerad geschätzt, weniger bekannt ist er als Filmer. Er hat auf seinen Wanderungen sämtliche Berghöfe und die Bauersleute bei der Arbeit, Tiere, Blumen und Besonderheiten der Natur gefilmt. Von seiner Sammlertätigkeit zeugen die Gerätschaften im Schaufenster seiner Werkstatt. Dort findet sich altes Schuhwerk vom Kriege bis auf den heutigen Tag. Mit Vorliebe zeigt Hans Unterholzner von ihm gefertigte Schmugglerschuhe, deutsche Wehrmachtsschuhe und Schuhe für Gebirgsjäger. Der bald Vierundachtzigjährige wird oft auf seinen Beruf angesprochen, er erzählt den Interessierten gerne von seinen Tätigkeiten und betont, dass er ganz sicher, auch heute, wieder Schuster werden würde.

 

 


Warning: count(): Parameter must be an array or an object that implements Countable in /www/htdocs/w00fb819/vinschgerwind.it/templates/purity_iii/html/com_k2/templates/default/item.php on line 248
Gelesen 3597 mal

Schreibe einen Kommentar

Make sure you enter all the required information, indicated by an asterisk (*). HTML code is not allowed.

Ausgaben zum Blättern

titel 25-24

titel Vinschgerwind 24-24

titel vinschgerwind 23-24

 weihnachtsbroschüre 2024

 winterwind 2024

WINDMAGAZINE

  • Warm und trotzdem atmungsaktiv. Funktionsbekleidung ermöglicht es uns, selbst bei klirrenden Temperaturen den Schnee und die traumhafte Winterlandschaft zu genießen, ohne ins Frösteln zu kommen. Baumwolle, Fleece oder Daunen? Was…
    weiterlesen...
  • Die tierischen Protagonisten aus der Weihnachtsgeschichte an den Futterkrippen anzutreffen, war einigermaßen überraschend. Weniger unerwartet war, dass ihre Landwirte auch im Winter tüchtig sind. Ein bisschen Zeit für die Ofenbank…
    weiterlesen...
  • Der junge Vinschger Martin Fahrner ist seit 2018 Chef der World Racing  Academy WRA. In der Skisaison 2024/2025 ist er mit 12 Athleten im  internationalen Skizirkus unterwegs. Sein Vater Hans…
    weiterlesen...
  • Promenaden verfügen standesgemäß über besondere Flanierqualitäten, bieten interessante Blickbeziehungen und dienen in der Regel dem Lustwandeln.  Der fünf Kilometer lange Rundweg um den Haider See im Vinschger Oberland vereinigt diese…
    weiterlesen...
  • Ein paar winterliche Überlebensstrategien von Alpentieren und -pflanzen stelle in diesem Beitrag vor. Vereinfacht und in einer systematisierenden Übersicht kann man aktive und passive Überwinterer unterscheiden. Von Wolfgang Platter, dem…
    weiterlesen...
  • Un racconto per immagini di Gianni Bodini   La Val Venosta offre agli amanti degli sport invernali diversi centri ben attrezzati, ma anche per chi si “accontenta” della natura non…
    weiterlesen...
  • Die magische Geschichte der „VALANGA AZZURRA“ („blaue Lawine“),  dem damals erfolgreichsten Ski-Team der Welt rund um Gustav Thöni wurde  verfilmt. Vorgestellt wurde der Kino-Film jüngst am Filmfestival in Rom. von…
    weiterlesen...
  • Unvergessliche Pistenerlebnisse Atemberaubendes Panorama und 44 bestens präparierte Pistenkilometer: In Sulden sind Wintersportträume Wirklichkeit.   Das Skigebiet in Sulden ist kein Geheimtipp, Sulden ist höchstes Niveau, Sulden ist „First Class“:…
    weiterlesen...
  • Schließen Sie die Augen und träumen Sie vom perfekten Winterurlaub mit der Familie … Text: Stephan GanderFotos: Lucas Pitsch / Sebastian Stip In Trafoi, mitten im Nationalpark Stilfserjoch erlebt man…
    weiterlesen...
  • Eine Oase der Ruhe, ein Ziel für Wanderungen, ein beliebter Treffpunkt für Genießer, auch zum Feiern, Ausgangspunkt für Skitouren, eingebettet in einer wunderbaren Bergkulisse: das ist die Berghütte Maseben. Die…
    weiterlesen...
  • Wusstest du, dass die Nährstoffe in Äpfeln die gesundheitliche Wirkung von anderen Lebensmitteln verstärken? VIP hat spezielle Kombinationen mit Vinschger Apfelsorten entwickelt, die überraschend gut schmecken und die Gesundheit fördern.…
    weiterlesen...
  • Die Tage werden kürzer, die Luft frischer, und die Landschaft erstrahlt in reinem Weiß – der Winter in der Ferienregion Reschensee ist da! Eingebettet im malerischen DreiländereckItalien-Österreich-Schweiz erwartet euch ein…
    weiterlesen...
  • Wo die heimischen Alpen in ein winterliches Wunderland verwandelt werden! Dieses Gebiet bietet nicht nur erstklassige Skimöglichkeiten, sondern ist auch ein Ort, der Tradition und Gemeinschaft inmitten der atemberaubenden Natur…
    weiterlesen...
  • Latsch-Martelltal Zwischen kristallklaren Bergseen, dem ursprünglichen Martelltal, dem kargen Sonnenberg und dem sattgrünen Nörderberg liegt das Feriengebiet Latsch-Martell - unterschiedlicher könnte es nicht sein. Als wahres Skitouren Eldorado ist das…
    weiterlesen...

Winterwind 2024

zum Blättern

Winter Magazin - Winterwind 2024 - Bezirk Vinschgau Südtirol - Skigebiete Skifahren Rodeln Langlaufen Winterwandern Schneeschuhwandern Eislaufen Schöneben Haideralm Sulden Trafoi Watles Ferienregion

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.