Dienstag, 20 August 2013 09:06

Die Bäuerin vom Hof ohne Zufahrt

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s17 8086Rosane empfängt mich mit einem herzlichen, brasilianischen „abraco“. Dabei beklopft man sich gegenseitig die Schultern und drückt die rechte und linke Wange abwechslungsweise an die Wange des anderen.

 

von Andreas Waldner

 

Ich suche im Telefonbuch den Gandlatsch-Hof am Lichtenberger Berg, um mit der Bäuerin Rosane Dona Kristandl einen Gesprächstermin zu vereinbaren.Sie lädt mich dann zum Nachmittagskaffee für kommenden Dienstag ein. Weil der Hof keine Zufahrt hat, solle ich bis zur Linkskurve unter der Josefskapelle fahren und dann rechts den schmalen Steig nehmen, auf dem ich nach 300 Metern den Hof erreichen kann.

Im Juni 1994 hat Gesundheitsassessor Saurer 4 Ausbildungsplätze für Krankenschwestern aus der Dritten Welt in Südtirol zur Verfügung gestellt. Dieses Angebot leitete ich als Vorsitzender des Freundeskreises von Missionar Kassian Waldner an ihn weiter.
„Es ist ein glücklicher Zufall gewesen, dass gerade ich angesprochen wurde“, verrät Rosane. „Ich habe mit Kassian geredet und nicht lange überlegt. Ich habe im Krankenhaus „Semmelweis“ in Entre Rios bei den Donauschwaben 5 Jahre als Hilfskrankenschwester gearbeitet. Dort wurde Deutsch und portugiesisch gesprochen.“
Rosane hat die Krankenpflegeschule in Schlanders 1997 erfolgreich abgeschlossen. In der Zwischenzeit hat sie ihren Mann Arnold kennen gelernt. Nach der Geburt der Tochter zog sie auf den Hof und wurde Bäuerin. Mindestens einmal im Monat telefoniert sie mit der Mama und mit der Schwester, die in Entre Rios lebt. „Wenn ich gut informiert sein will, muss ich meine Mama anrufen, sie weiß alles, was drüben so läuft.“
 Rosane  ist zufrieden. Sie hat inzwischen 4 Kinder, drei Mädchen und oan Bua. Sie sind zwischen 6 und 16 Jahre alt. Die Arbeit hier oben ist streng. Aber das sei sie von zu Hause aus gewohnt. Sie ist auf einem Hof aufgewachsen. Nur: In Brasilien ist im Winter die strenge Arbeit und hier eher im Sommer.
In San Carlos im Staate Santa Catarina sind die Siedler deutsch- und italienischstämmig. Mein Heimatort Sao Carlos ist mitten drin, ungefähr 100 km von der Tirol-Siedlung Dreizehnlinden. Blumenau, das auch in der Nähe ist, ist aber bekannter. Das Hochland liegt auf 1000 m Meereshöhe und ist hügelig. Einige Felder sind auch dort sehr steil. Wenn Rosana der Mutter erzählt, dass sie hier am Berg wohnt, glaubt diese, sie wohne auf einem Hügel. Die Landschaften sind eben doch ganz verschieden.

Rosane wünscht sich eine gute Ausbildung für ihre Kinder. Das ist ihr sehr wichtig. Sie möchte weiterhin auf dem Hof bleiben und die Freiheit genießen. Eine Zufahrt tät vieles erleichtern. Wenn die Kinder im Winter mit der Rodel um halb sieben in die Schule gehen, muss man beten, dass sie heil hinunter kommen. Im Frühjahr und Herbst ist das Gras. Dann müssen die Kinder Gummihosen anziehen, damit sie trocken in die Schule kommen. Oder sie müssen sich im Schülerbus umziehen.
Die glücklichsten Augenblicke erlebte Rosana bei der Geburt ihrer Kinder. Besorgt und ängstlich war sie, als sie erfuhr, dass ihre Mama krank war. Da hat sie sich die Frage gestellt: Was geht jetzt? So weit weg! Bis heute hat sich alles immer wieder positiv erledigt. Die Entfernung spürt sie nur, wenn drüben eppas ist. Wenn sie gute Nachricht erhält, dann ist alles gut.

Den Unterschied zwischen Tiroler und Brasilianer beschreibt Rosane so: Die Tiroler wollen immer mehr. Wenn sie etwas erreicht haben, sind sie mit dem nicht ganz zufrieden, sie brauchen immer noch ein bisschen mehr. Sie sind verschlossen. Die Brasilianer haben Herzlichkeit, sind offen, wollen feiern. Auch wenn sie nichts haben und nur in einer Baracke leben, sie geben dir das Letzte. Sie sind nie unzufrieden. Mit dem, was sie haben, sind sie glücklich. Sie schauen nicht, wer oder was du bist. Sie sehen dich als Mensch. Ob du reich bist oder arm, das interessiert niemandem. Jeder wird gegrüßt.
Rosane ist bei den örtlichen Vereinen nicht aktiv tätig, sondern nur Mitglied. Wenn ein Fest ist, macht sie Kuchen. Gerne nimmt sie an den Ausflügen der Bäuerinnen teil. So und durch die Kinder hat sie guten Kontakt zur Dorfgemeinschaft. Es reiche, wenn ihr Mann bei allen Vereinen dabei ist. Jemand muss schließlich am Hof 365 Tage die Stellung halten.

Wir begeben uns auf den Söller. Dort zeigt mir Rosane die Grundstücksgrenze und eine mögliche Zufahrt. „Meine Schwiegermutter hat damals sicher einen Fehler gemacht, als sie die Durchfahrt der neuen Straße neben unserer Hofstelle verweigerte“, ließ mich Rosane wissen, „aber das muss man abhaken und eine Lösung finden, bevor die Kinder die Ausbildung abgeschlossen haben. Sonst sind sie weg. Das wäre dann das Ende des Gandlatschhofes.“


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